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Staatliche Entschädigung bei Corona-Schließung: Kommt da doch was?

Seit dem Beginn der umfassenden Corona-Schließung wird immer wieder über angebliche Ansprüche auf Schadensersatz bzw. Entschädigungszahlungen gesprochen, die Gewerbetreibende gegenüber dem Staat geltend machen können. Ist da was dran?

Der Gedanke liegt nah: Wenn der Staat, wie derzeit aufgrund der Corona-Krise, anordnet, dass bestimmte Firmen ihren Betrieb vorübergehend einstellen müssen, warum soll dieser Staat sie nicht auch für den entstehenden Schaden entschädigen? Schließlich trägt ja das jeweilige Unternehmen keinerlei eigenes Verschulden an den Ursachen der Schließungsverordnung. Und als normales Betriebsrisiko ist der aktuelle Lockdown definitiv nicht auslegbar, der kein Gewerbe derart hart trifft wie die Branchen Gastronomie, Tourismus und Veranstaltungsgeschäft.

Immer wieder schwadronieren Gastwirte in den letzten Wochen, es fänden sich z.B. im Infektionsschutzgesetz (IfSG) oder gar im Grundgesetz entsprechende Passagen, die auf etwaige Entschädigungsansprüche von Unternehmern hindeuten, denen durch den Lockdown die Grundlage für ihren Umsatz und damit auch sehr schnell für ihre Existenz genommen wurde. Das große Problem an der Sache ist natürlich wie bei aktuell so vielen Fragestellungen rund um das Coronavirus: Es existiert so gut wie keine Rechtsprechung – also noch keinerlei Präzedenzen, keine Urteile, auf die sich Gerichte berufen können. Tatsächlich bedeutet Covid-19 auch für die Rechtsprechung ein Novum: Es liegen zu zahlreichen Belangen Gesetze vor, aber sie wurden im Prinzip bislang nicht angewendet.

Was ist also dran an der steilen These mit den staatlichen Entschädigungen aufgrund der Corona-Schließungen?

Corona, die geschlossene Gastronomie und Entschädigungsansprüche

Der MIXOLOGY-Redaktion liegt beispielsweise eine Pressemitteilung des bayrischen DeHoGa von Ende April vor, in der berichtet wird, der Verband habe gemeinsam „mit Hilfe einer externen Anwaltskanzlei“ die Möglichkeiten und Aussichten geprüft, staatliche Entschädigungsleistungen aufgrund von Schließungsanordnungen zu beantragen. Das Resultat: „Das von der Kanzlei erstellte Rechtsgutachten kommt zu dem wesentlichen Ergebnis, dass Entschädigungsansprüche für die betroffenen Betriebe auf Grund des Infektionsschutzgesetzes und weiterer, außerhalb dieses Gesetzes bestehender Anspruchsgrundlagen gegeben sein können.“

Die Skurrilität an der DeHoGa-Meldung ist allerdings: Konkreter wird es nicht. Zwar spricht die Verbandsleitung davon, mit dem Gutachten „an die Politik“ gehen zu wollen, um die Einrichtung eines Entschädigungsfonds zu erstreiten – von Individualanträgen oder gar Sammelklagen rät sie jedoch ab. Spezifische Nachfragen zum Thema seitens MIXOLOGY wurden an den Bundesverband delegiert, der wiederum liefert eine „allgemeine Einschätzung“, die im Wesentlichen nichts Neues bietet.

Die Politik will über Entschädigungen auf keinen Fall laut sprechen

Ebenso frustrierend wird es, wenn man mit dem Thema bei der Politik selbst anklopft. So gibt sich zunächst das Bundesjustizministerium keine Blöße zu der Fragestellung, sondern verweist „an das Bundesministerium für Gesundheit, das innerhalb der Bundesregierung für das Infektionsschutzgesetz federführend“ sei. Dort angefragt, entgegnet das Pressebüro von Minister Jens Spahn: „Hier liegt keine Zuständigkeit auf Bundesebene vor. Bitte wenden Sie sich an die zuständigen Länder.“ Eine schräge Begründung, schließlich haben die angesprochenen Fragen eine grundsätzlich bundesweite Tragweite und Bedeutung. Das Berliner Ministerium scheint sich um eine Stellungnahme zu drücken mit der schlichten Begründung, dass die ursprüngliche Sachlage von einer bayrischen Verbandsmeldung angestoßen wurde.

Im bayrischen Ministerium schließlich reagiert zuerst niemand, auf erneute Nachfrage stellt sich heraus, dass erst – Überraschung – mit weiteren Stellen und Ministerien eine Abstimmung erfolgen muss, bevor Fragen beantwortet werden können. Über eine Woche soll die Beantwortung von vier Fragen somit dauern, heißt es.

Solange also noch keinerlei Antragsflut vorherrscht, scheint sich die Politik mit diesem Thema öffentlich lieber nicht auseinandersetzen zu wollen. Diese Vermutung hat auch Dr. Ludolf von Usslar, Fachanwalt aus Deutschland und heute wohnhaft in England. „Es ist wichtig, dass jetzt Druck gemacht wird. Nur so kann der Staat motiviert werden, sich überhaupt mit der Thematik auseinanderzusetzen. Wie machtlos das Gastgewerbe ohne wirkliche Lobby ist, merken wir derzeit ohnehin, auch der DeHoGa enttäuscht viele Unternehmer.“

Ja: der Staat darf Grundrechte einschränken

Von Usslar kennt mehrere Aspekte der Krise, er vertritt mit deutschen Partnern einige Gastronomen, aber auch Immobilieneigentümer, die nun von ausbleibenden Pachtzahlungen betroffen sind. So hat er die generelle Gesetzeslage und auch die ersten Gerichtsentscheidungen bewertet: „Der Staat darf Grundrechte, wenn überhaupt, nur durch Gesetze einschränken, welche die betroffenen Grundrechte nennen. Die aktuellen Schließungen beeinträchtigen das durch Art. 12 und 14 Grundgesetz gesicherte Recht am eingerichteten und ausgerichteten Gewerbetrieb, weswegen sich die Bundesländer, die ja die Schließungen jeweils angeordnet haben, daher auf §§ 32, 28 IfSG berufen.“

Allerdings kommen die Verwaltungsgerichte in den ersten Eilverfahren zu einem für die Gastronomie unschönen Ergebnis: „Die meisten Verwaltungsgerichte halten bisher nach summarischer Prüfung die §§ 32, 28 IfSG für eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage; allerdings mit der Einschränkung, dass deren Anwendung durch die epidemische Notlage jedenfalls vorübergehend gerechtfertigt sei.“ Im Kern bedeutet das laut von Usslar: „Selbst wenn die Lage rund um die Schließungen grundsätzlich rechtswidrig sein mag, erklären die Gerichte sie derzeit aus der Situation heraus für rechtens.“

Dennoch bleibt die Gesamtsituation überaus dynamisch, wie der Jurist anmerkt: „Nicht geäußert haben sich die Gerichte bislang zur Rechtsfolge, also insbesondere zu § 56 IfSG, wo es um Entschädigungen an Betroffene geht. Wenn die Schließungen aufgrund einer sehr großzügige Auslegung der Ermächtigungsgrundlage §§ 32, 28 IfSG erfolgt, müsste das für die Rechtsfolge – also Anspruch auf Entschädigungen – eigentlich vergleichbar geschehen.“

Entschädigungszahlung: Nicht immer ist das Gesundheitsministerium der Ansprechpartner

In Ermangelung einer starken Interessensvertretung sieht der Anwalt den konkreten Handlungsbedarf jetzt beim einzelnen Gastronomen: Spätestens drei Monate nach dem Beginn der Schließung müsse der Antrag auf Entschädigung beim jeweils verantwortlichen Ministerium eingehen (Achtung: nicht in jedem Bundesland wurde die Schließung vom Gesundheitsministerium angeordnet). Dem Antrag sollten als Anlage die letzte Steuererklärung sowie eine Aufstellung der aktuellen Fixkosten beigefügt werden. „Im Idealfall reicht man gleich noch einen Vorschussantrag mit ein“, ergänzt von Usslar. Wichtig ist: Der Antrag kann auch zurückgewiesen werden. „In diesem Fall müsste dann der Weg über die Klage gegangen werden.“

Hat der Antrag auf Entschädigung wegen der Corona-Schließungen wirklich Aussicht auf Erfolg?

Doch hat solch ein Antrag eine wirkliche Aussicht auf Erfolg? Zumindest der Fachjurist gibt eine verhalten positive Prognose, allerdings nur im Fall extrem vieler Anträge: „Die Gastronomie kann die Politik durch massenhafte Anträge unter Druck setzen, nur so entsteht bei der Politik eine Motivation, sich damit auseinanderzusetzen. Und sollte sich ein Erfolg für die Gastronomie einstellen, dann wird es ein Teilerfolg sein, den die Politik auch für sich verbrämen kann: Also etwa durch ein weiteres, gesondertes Hilfspaket für die Gastronomie, dessen Inanspruchnahme durch eine Firma dann automatisch die Entschädigungsansprüche für abgegolten erklärt.“

Es bleibt beim blanken Überleben

Kein wirklich schönes Szenario. Andererseits könnte ein weiterer, gesonderter Schwung an Hilfszahlungen – freilich je nach Höhe – für viele Betriebe erneut ein, zwei Monate der Existenzverlängerung bedeuten. Am Ende würden die kumulierten Kosten für den Staat bei einer kompletten Entschädigung aller deutschen Gastronomen, wohlgemerkt für ein ganzes Jahr, bei schätzungsweise 30 Milliarden Euro liegen (zzgl. Kurzarbeitergeld), merkt von Usslar abschließend an. Wenn ein Einzelunternehmen wie die Lufthansa gerade mit knapp zehn Milliarden abgesichert wurde, sollte der Erhalt einer ganzen, vielfach mehr Umsatz generierenden Branche eigentlich eine Formsache sein.

Anmerkung: MIXOLOGY liefert als Medium in juristischen Themen eine allgemeine Einschätzung der Lage. Vor rechtlichen Schritten sollte stets eine Rechtsberatung durch einen Fachmann erfolgen.

Credits

Foto: Editienne

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