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Craft am Scheideweg? Bierbetrachtungen 2015

Craft Beer wird 2015 sein Gesicht wandeln. Und es wird sich manchmal mehr bemühen müssen, denn der Kuschelkurs könnte bald vorbei sein. Peter Eichhorn mit einer mutigen Vorhersage.

Was war doch 2014 für ein fulminantes Bier-Jahr. Zahllose neue Brau-Start-ups bereichern die Szene, internationale Spezialitäten werden täglich mehr und besser verfügbar und die Qualität der Biere aus den Kesseln der deutschen Crafties scheint von Sud zu Sud zu steigen.

Auch die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung für Bier und Craft Beer ist nicht nur auf Fachpublikationen beschränkt, sondern wird vermehrt von Publikumsmedien aufgegriffen und an neue Zielgruppen und interessierte Genießer vermittelt.

Aber Obacht, liebe eingefleischte Craft-Enthusiasten, es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht für euch. Und es ist die Gleiche: Handwerklich gebrautes Bier wird 2015 ein richtiger Markt. Mit neuen und erweiterten Rahmenbedingungen.

Heraus aus der Kuschelecke

Craft in Deutschland wird erwachsen. Aus einem kuscheligen Krabbelgruppen-Kollektiv werden halbstarke Teenager und einige werden sogar schon flügge, beinahe volljährig. Es erwartet sie ein zunehmender, veränderter Wettbewerb. Die Konkurrenz wächst im In- und aus dem Ausland. Um 2015 zu überstehen, müssen sich einige kräftig ins Zeug legen. Bier wird eine ernste Sache. Ach, stimmt. Das war es ja eigentlich schon immer.

Noch wird jedes neue Start-up von der Craft-Fanbase bejubelt: „Toll! Die Marke ist klein, sie ist ,crafty’. Wir haben sie lieb!“
Schmeckt’s denn? Das ist oft erst einmal egal. 2015 wird das Jahr werden, in dem die Vielfalt und somit die Vergleichbarkeit zwischen Bierstilen und Brauereien im Craft- und Pseudo-Craft-Segment so anwachsen wird, dass wir endlich ehrlich sagen dürfen: „Dieses Bier ist handwerklich mangelhaft und es schmeckt furchtbar.“

Wir müssen es sagen, wenn es so ist! Aber das ist großartig, denn es bedeutet gleichzeitig, dass wir gelernt haben, wie ein handwerklich tadelloses und köstliches Bier schmeckt.

2015 wird auch unerbittlich sein: Craft bedeutet nicht immer “gut”

Die Zahl neuer Brauprodukte wächst beständig. Immer öfter entstammen die neuen Biere nicht der Inspiration engagierter Brauer, sondern dem Kalkül forscher Marketing-Leute die beobachten, dass der Boden für eine Bier-Unternehmung mittlerweile bereitet ist. Akzeptanz für Produkt und Preis sind gewachsen.

Es gibt also Geld zu verdienen. Viele der Produkte taugen durchaus. Sie verfügen über eine ansprechende Aromatik, einen geschmackvollen Markenauftritt und eine einprägsame Hintergrundgeschichte, dann dürfen sie gerne den Markt bereichern.

Wenn ich aber von Etikett und Storytelling eingelullt werde und danach mangelhafter Geschmack und unterirdische Karbonisierung meinen Gaumen und mein Portemonnaie beleidigen, dann dürfen diese Flaschen gerne bald wieder aus den Regalen verschwinden.

Bier in falschen Händen?

Da werfe ich lieber noch einen genussvollen Blick auf die Guten! Einige bewährte Kreativbrauer lernen ständig hinzu und verbessern und feinjustieren ihre Biere von Sud zu Sud. Hinzu kommen weitere neue Marken, bei denen eine vortreffliche Mischung aus Inspiration und Talent für Glücksgefühle im Glas sorgt.

Das neue Jahr freut sich auf die nächsten Erzeugnisse von Heidenpeters, Brewcifer, Kuehn Kunz Rosen, Kehrwieder, Ale Mania, Mashsee, BrauKunstKeller und Hanscraft & Co. Diese Hersteller müssen keine Sorgen vor 2015 haben. Wenn sie klug sind, werden sie Kooperationen bilden, um Abfüllanlagen gemeinsam zu betreiben und Vertriebswege miteinander zu optimieren.

Ihre Brauer kennen die Qualitäten der internationalen Craft-Brews und wissen, dass Deutschland noch nicht auf Augenhöhe mit den Kollegen in USA, Norwegen, Italien oder Japan ist. Diese sind den Crafties aus Deutschland einige Jahre und hunderte von Suden voraus.

Ein eindrucksvoller Moment war eine Bierreise durch Israel, die ich im Sommer 2014 auf Einladung des israelischen Tourismus-Ministeriums unternehmen durfte. Dort wird auch schon fünf Jahre länger kreativ gebraut, als in Deutschland.

Den Vorsprung schmeckt man deutlich. Mit einer Mischung aus Stolz und Verlegenheit lauschte ich den Vorträgen der Brauer und wie sie mit großer Hochachtung von der herausragenden Brauerausbildung in Deutschland sprachen. Dabei trank ich den grandiosen hellen Bock der Golan Brewery, die aufregenden Gebräue von Dancing Camel und das wohl beste und komplexeste Porter, das ich jemals trinken durfte, das Alexander Black.

Der Umgang muss sich ändern!

Ich verkoste liebend gerne Bier und spreche und schreibe auch leidenschaftlich darüber. Die Zahl von gleichgesinnten Kollegen steigt glücklicherweise an und so berichten Zeitschriften, Online-Magazine und Blogs teilweise auf sehr anspruchsvollem und ansprechendem Niveau über den Gerstensaft und seine Macher. Das ist gut so und hilft womöglich, ein breiteres Publikum im Gastro-Bereich für Bier zu interessieren.

Bislang befindet sich die Kommunikations-Majorität noch zu sehr in den Händen von selbst ernannten Fachtrinkern, einer Pseudo-Elite, die Bier mehr als geekiges Fandom behandelt und zu wenig als anspruchsvolles Genussmittel würdigt. Da werden Marken gesammelt und trophäenartig gepostet.

Blogs und Facebook überquellen mit derlei Frohlockungen: „Seht her, ich habe mal wieder ein Bier ge-instagramt. Und hier noch meine anspruchsvolle Verkostungsnotiz: Es war echt lecker!“ Manche selbst ernannten Craft Beer-Freunde entblöden sich nicht, mit sonderbaren Getränkeverkostungen in Form von stundenlangen Podcasts zu dilettieren.

Derlei ist nicht hilfreich, wenn es darum geht, die moderne Brauwelt in genussreiche Kreise zu tragen, die womöglich bereit sind, mehr als nur eine Flasche zu erwerben und Bier demnächst als hochwertiges Genussmittel und Essensbegleiter zu akzeptieren.

Die Craft-Revolution hat hier nur dann eine Zukunft, wenn endlich mehr Restaurantbetreiber und Küchenchefs das Potenzial der neuen Biervielfalt erkennen und auch anwenden. Die neuen Kreativbiere müssen dort zur Geltung kommen, wo sie gleichrangig mit Wein behandelt und konsumiert werden.

Auch Bier muss auf Etikette(n) achten

Was erwartet uns noch in 2015? Craft wächst weiter als urbanes Phänomen. Hamburg wächst dabei allmählich auf Augenhöhe mit Berlin. Quantitativ. Qualitativ hat die Hansestadt womöglich die Nase bereits vorn. Franken bleibt inmitten der Craft-Belagerung ein gallisches Dorf mit zahlreichen wundervollen Zaubertränken.

Dazu wird die internationale Biervielfalt wachsen. Engagierte Importeure, wie Dérer in Berlin und Brausturm in Hamburg werden die wachsende Zahl an Händlern und Bierspezialitäten-Bars zunehmend abwechslungsreicher versorgen. Brauereien aus aller Welt erkennen das Marktpotenzial in Deutschland.

Stone Brewing baut eine Brauerei in Berlin, Urban Chestnut erobert den hiesigen Markt von Bayern aus und womöglich entwickeln sich die Initiativen von BrewDog und Brooklyn Brewery demnächst über das Gerüchte-Stadium hinaus.

Was bedeutet es, wenn insbesondere die US-Brauer den deutschen Markt künftig stärker attackieren? Ihre Biere sind teilweise deutlich ausgereifter. Ihr Etikettendesign, Markenauftritt und Storytelling sind unterhaltsamer und einprägsamer.

Neue Vertriebskanäle werden dafür sorgen, dass diese Biere preislich keinen größeren Unterschied zu den einheimischen Produkten aufweisen. Jenseits des Atlantik wirken oft spritzige und visionäre Unternehmer und nicht wortkarge Eigenbrötler ohne vernünftiges Grafikprogramm und fehlendem Verständnis für clevere Kommunikation und sinnvolle Multiplikatoren.

Genuss oder Gesinnung

Just in diesen Tagen deutet eine Nachricht aus dem Hause Braufactum an, wie rasch sich krasse Veränderung in Markt und Einstellung verändern können. Braufactum wird den Exklusivvertrieb für die Biere des dänischen Kult-Wanderbrauers Mikkeller übernehmen. So schnell kann das gehen. Noch gestern hatten alle die sympathischen Brau-Rebellen aus Kopenhagen ganz doll lieb.

Schon heute geht der Aufschrei durch die Craft-Szene: „Schock. Sell out!“,  „Verrat an der Craft-Community!“ und „Wir wollen kein Bier, das jemand verkauft, der sonst Tiefkühl-Pizza handelt!“ Gemeint ist der Oetker-Konzern, zu dem die Radeberger-Gruppe und somit auch Braufactum zählt.

Anlässlich der vom 6. Bis 8. März stattfindenden Braukunst Live! in München stellen Mikkeller und Braufactum die frisch geschmiedete Kollaboration offiziell vor.

In diesem Jahr der erste wirklich laute Schlag auf die Bier-Pauke!

Dies war ein langer Artikel. Und von den Ambitionen und Entwicklungen bei den mittelständischen Brauern, Familienunternehmen und Großbetrieben haben wir noch gar nicht gesprochen. Ich hoffe, sie haben nebenher ein herrliches Bier genossen. Ich selbst konsumierte während des Verfassens einen Firestone Walker Double Jack, ein Kentucky IPA und einen Hofstettner Granitbock. Ich werde die Biere später instagrammen …

Wie bemerkte einst der Schriftsteller Edgar Allan Poe: „How care I how time advances? I am drinking ale today!“ In diesem Sinne: Happy New Beer 2015!

Credits

Foto: Pfad und Löwe via Shutterstock. Postproduktion:Tim Klöcker

Comments (2)

  • Wartmann

    Genau so ist es…..!!!
    Super Artikel. Nach dem ewigen Halleluja der Medien, wenn wieder einer in der Garage “Bier” anrührt mit einer Anleitung aus dem Internet und einer riesen Klappe dazu, endlich einmal jemand der den “Puck sieht”
    Bierbrauen ist eine Wissenschaft. Dipl. Braumeister ein akademischer Beruf. Und sauber Arbeiten kostet einiges Geld in die Infrastrukturen.

    Bravo!

    Martin Wartmann, Bierbrauer

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