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Morning Glory Fizz Cocktail | Mixology Magazin für Barkultur

Warum der Morning Glory Fizz tatsächlich das beste Getränk gegen Kater ist

Schon seine Namensbezeichnung macht den Morning Glory Fizz zum Kater-Drink schlechthin. Aber ist er es auch wirklich, oder ist alles nur eine Legende? Nein. Armin Zimmermann belegt, warum der Scotch-Cocktail mit Absinth, Soda und Eiweiß auch aus wissenschaftlicher Sicht der perfekte Drink „am Tag danach“ ist.

Beginnen wir gleich mit dem Originalrezept des Morning Glory Fizz von Harry Johnson aus dem Jahr 1882:

„(Gebrauche ein grosses Glass.)
In den ersten Class Geschäften ist es Regel, dass
man das Eiweiss separat vom Dotter in einer dazu be-
stimmten Flasche hält, welche immer kalt gestellt wer-
den muss. Menge wie folgt:
Dreiviertel Esslöffel voll Zucker;
3 oder 4 dashes Citronensaft;
2 oder 3 dashes Limesaft;
3 oder 4 dashes Absinth;
menge dieses gut auf mit ein wenig Wasser;
Dreiviertel Glass voll fein zerschlagenes Eis;
Ein Eiweiss;
Ein Weinglass Scotch Whiskey;
schüttele dieses gut mit einem Schüttelbecher auf und
siebe es in ein ziemlich grosses Glass, fülle das Glass
auf mit Syphon oder Vichywasser und servire solches.“

Meine Interpretation:

5 cl Laphroaig Quarter Cask
3 cl Zitronensaft
2 cl Zuckersirup (2:1)
1 cl Duplais Verte Absinth
1 Eiweiß (kleines Ei, 30 ml)
1,5 cl Soda
Dry Shake (ohne Soda). Soda hinzugeben und ins Highballglas gießen.

Ich empfinde den ausschließlichen Einsatz von Zitronensaft als geschmacklich überzeugender. Wie sich jedoch im Folgenden zeigen wird, ist der Limette der Vorzug zu geben.

Der Morning Glory Fizz als Medizin gegen Kater

Harry Johnson, einer der Begründer des professionellen Bartendings und in meinen Augen der bedeutendste Bartender aller Zeiten, ist der erste, der eine Rezeptur für den Morning Glory Fizz veröffentlicht, im Jahr 1882, und er merkt an: „Der Herausgeber empfiehlt dieses Getränk als vorzüglichen Morgentrunk, indem es den Appetit reizt und die Nerven beruhigt.“ Markus Bredenbek wird 1934 deutlicher und empfiehlt ihn nach einer durchfeierten Nacht, wenn die gute Laune des Vorabends abgeklungen ist.

Harry Johnsons Wort hat Gewicht, und so muss man sich doch fragen, wie er und seine Kollegen darauf gekommen sind, dass ein Morning Glory Fizz gegen einen Kater helfe. Man mag es als Geschwätz oder als ein gutes „Argument“ betrachten, um unverzüglich weiterzutrinken. Es muss ja nicht immer nur ein Konterbier sein.

Die Gründe für den Katzenjammer

Doch Harry Johnson hatte Recht, denn jede der einzelnen Zutaten ist aus bestimmten Gründen gut, wenn es einem am nächsten Morgen nicht ganz so gut geht. Warum eigentlich nicht?

Der Grund hierfür ist eine Alkoholvergiftung, die oft mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit und Schläfrigkeit einhergeht. Der Alkohol wird im Körper durch das Enzym Alkoholdehydrogenase (ADH) abgebaut, dabei entsteht kopfschmerzverursachendes Acetaldehyd. Dieses wiederum wird durch das Enzym Aldehyddehydrogenase (ALDH) abgebaut. Doch wenn Zucker im Spiel ist, wird dieser Abbau gehemmt. Deshalb sind Kopfschmerzen nach dem Genuß von süßen, alkoholischen Getränken in der Regel stärker.

Der Alkohol bewirkt auch, dass weniger Vasopressin im Körper vorhanden ist. Dieses Hormon wird normalerweise nachts ausgeschüttet, um den Harndrang zu reduzieren. Geschieht dies nicht, kommt es aufgrund der vermehrten Wasserausscheidung oft zu einem Flüssigkeitsmangel, der ebenfalls Kopfschmerzen verursachen kann. Der „Nachdurst“ am nächsten Morgen ist eine Folge dieser Hormonstörung. Da Kaffee die Nierendurchblutung fördert und diuretisch wirkt, sollte man diesen dann übrigens nicht trinken. Des weiteren kommt es durch Alkoholgenuß zu einem Mangel an B- und C-Vitaminen, von Kalium, Magnesium und Zink. Dieser und der gesunkene Blutzuckerspiegel sind ebenfalls für Müdigkeit und Schmerzen verantwortlich. Darüber hinaus sorgt eine Unterzuckerung manchmal auch zu einer verminderten Hirnleistung, zu Krampfanfällen, zittrigen Händen und Schweißausbrüchen.

Was also hilft dagegen? Die Komponenten des Morning Glory Fizz!

Morning Glory Fizz

Zutaten

6cl Scotch Whisky (bevorzugt von der Insel Islay)
1,5 cl Limettensaft
1,5 cl Zitronensaft
2 cl Zuckersirup
3 Dashes Absinth
1 Eiweiß
Soda

Die Wirksamkeit der Zutaten

Soda ist ein mit einem Natriumsalz der Kohlensäure versetztes Wasser, und bestens geeignet, um der Dehydration des Körpers entgegenzuwirken.

Um eine Unterzuckerung zu beseitigen, soll man einfache Kohlenhydrate zu sich nehmen, die schnell verstoffwechselt werden können. Deshalb ist Zuckersirup durchaus etwas Sinnvolles, um schnell Energie geliefert zu bekommen.

Im Eiklar bzw. Eiweiß sind Mineralstoffe enthalten, und zwar hauptsächlich Schwefel, Natrium und Kalium, doch auch Phosphor, Magnesium, Calcium und Eisen. Hinzu kommen wichtige Elektrolyte, Spurenelemente und zahlreiche verschiedene B-Vitamine. Da Eiweiß Kalium, Magnesium, B-Vitamine und Elektrolyte liefert, ist Eiklar in einer Anti-Kater-Medizin ein geeigneter Zusatz.

Vitamin C wird durch Zitronen- und Limettensaft als morgendliche Stärkung bereitgestellt.

Absinth besteht hauptsächlich aus Wermut, Fenchel und Anis. Wermut dient der Appetitanregung, aber auch als Mittel gegen Kopfschmerzen. Anis wirkt krampflösend und regt den Magen- und Darmtrakt an. Fenchel wirkt magen- und darmstärkend und soll bei Bauchweh und Magenkrämpfen helfen. Etwas Absinth kann also im Morning Glory Fizz nicht schaden.

Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?

Kommen wir zur letzten Zutat, dem Scotch. Wozu soll er gut sein? Die Probleme haben doch mit einem Zuviel an Alkohol begonnen, sollte man ihn dann nicht meiden? Das kommt ganz darauf an. In jedem alkoholischen Getränk ist auch Methanol enthalten. Durch Enzyme wird dieses in Ameisensäure und Formaldehyd aufgespalten. Beide sind hochgiftig und tragen vermutlich auch zu einem Kater bei. Diese Enzyme bauen jedoch bevorzugt Ethanol, den „guten“ Alkohol, ab. Ist also Ethanol vorhanden, entstehen Ameisensäure und Formaldehyd nicht, und das Methanol wird stattdessen über Urin und Atem ausgeschieden. Die Gabe von Ethanol als Gegenmittel bei einer Methanolvergiftung wird übrigens noch heute ärztlich verordnet.

Versetzen wir uns nun einmal ins 19. Jahrhundert zurück. Es gab damals oft gepanschten Alkohol, in schlechter Qualität, und oft sicherlich auch Fusel mit viel Methanol. Doch warum sollte man dann Scotch trinken? Nun, Analysen aus jener Zeit zeigen, dass in den Vereinigten Staaten Scotch am wenigsten verfälscht wurde. Er war also praktisch das einzige Produkt, bei dem man davon ausgehen konnte, dass er von einigermaßen guter Qualität war und wenig Methanol und andere schädliche Begleitstoffe enthielt. Deshalb ist der Morning Glory Fizz mit Scotch zuzubereiten, quasi als Gegenmittel zur Methanolvergiftung.

Die Erkenntnis der Altvorderen

Es zeigt sich also, dass alle Zutaten für sich genommen schon als Mittel bei einem Kater helfen können, und in Summe daher ganz gewiß. Doch es gibt noch weitere faszinierende Erkenntnisse. Wie bereits erwähnt, wird Alkohol im Körper durch die Enzyme ADH und ALDH abgebaut. Eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2019 untersuchte, ob verschiedene Lebensmittel zur Steigerung oder Verringerung der Aktivitäten dieser beiden Enzyme führen. Dabei zeigte sich, dass man auf einen Kaffee verzichten sollte, denn dieser verringert die Aktivität des ADH um 43% und die des ALDH um 53%. Für Zitrone ergab sich ADH +47% und ALDH -20%; für Limette hingegen ADH +30% und ALDH +33%. Der Limette ist also eindeutig der Vorzug zu geben.

Diese positive Wirkung des Limettensaftes war schon den Altvorderen bekannt. Bereits in den 1720er Jahren empfahl man Punch mit Limettensaft zuzubereiten, denn „es wird festgestellt, daß es den Kopf weniger stark beeinträchtigt und für den Magen wohltuender ist.“

Man sieht: Die alten Schriften stecken voller Erkenntnis und Überraschung, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheint.

Credits

Foto: Caroline Adam

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