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Cuisine Style in der Bar

Das Primat der Pfanne: Reicht’s mit Cuisine Style?

Der Gin Basil Smash war so etwas wie der deutsche Urknall von Cuisine Style in der Bar. Quiz-Frage: Welchen Cocktail servierte der NDR zur 100. Sendung von „Tim Mälzer kocht“? Genau. Einen Gin Basil Smash. Hanseat Mälzer mixt den Schlager aus dem Hamburger Le Lion. Ist die Bar endgültig in der Küche gelandet?
Wenn man will, kann man mit Joerg Meyers Rezept, vor etwas mehr als zehn Jahren im längst stillgelegten Bitters Blog veröffentlicht, in der Geschichtsschreibung eine neue Phase der deutschen Mixologie beginnen lassen.
Und wie so oft öffnete sich nach dem Küchenkraut Basilikum, dem alten Pizza-Behübscher, schnell eine ganze Büchse der Foodora. Denn auch der Pizzabelag wollte jetzt im Shaker bearbeitet werden. Brachen danach die Dämme? Sind sie gar mittlerweile mit dem Baumharz der „Forager“ gekittet worden? Das wollten wir genauer wissen und fragten bei prominenten Protagonisten des „Cuisine Style“ nach: Wo steht diese insgesamt recht unscharf definierte Arbeitsweise 2018?

Cuisine Style in der Bar: Scherenschnitte statt Schnittchen-Sour

Da wären zunächst die Neo-Klassiker. Dreiteiler in der Coupette, keine Garnitur und bei Zimmertemperatur serviert, um das Extrembeispiel zu nennen. Wer es mit Charles Schumann hält, hat das ohnehin immer schon gewusst: „Die Salami gehört zum Drink, aber nicht ins Glas“.
Die italienisch inspirierten Mixologen der bella figura lassen lieber den Drink glänzen. Oliven und Chips sättigen, sie sind aber auch das monocolore Beiwerk, auf dass der Glasinhalt umso mehr funkele. Figur und Hintergrund, ein klassischer Scherenschnitt, nur halt flüssig.
Im Zweifel hilft allenfalls ein Likör als Stimmungsaufheller, aber man braucht nicht tagelang am Herd stehen für ein Aromaöl oder einen Sirup – außer es ginge um Grenadine. Da erkennt dann auch die Bar-Klassik das Primat der Pfanne an. Monaco/Bavaria locuta, causa finita? So einfach lässt sich die Entwicklung der letzten Jahre nicht kleinreden. „Generell vertrete ich die Meinung, dass Hausgemachtes oder Selbstgekochtes beziehungsweise Selbstgemachtes immer der richtige Weg ist“, reiht etwa Marie Rausch den neuen Küchenansatz durchaus in die alte Bar-Tradition.

Auch Früchtequälen ist ein Tatbestand

Die „Cocktailköchin“ (unter dieser Arbeitsbezeichnung führt sie im Münsteraner Rotkehlchen das Bar-Restaurant mit dem einzigartigen Food-Pairing-Konzept) verortet das Kochen aber auch in anderer Beziehung in aktuell gefragten Bar-Zugängen: Zum einen könne man so auch seinen persönlichen Stil ausdrücken, wichtiger sei aber das Bewusstsein für Jahreszeiten oder die Verfügbarkeit der Zutaten.
„Bestimmte Nichtverfügbarkeiten zu hinterfragen kann auch einen Weg aufzeigen, sich für die richtigen Zutaten seiner Drinks zu entscheiden, sie bewusst ökologisch zu wählen oder zu vermeiden“, präzisiert Rausch ihre Sichtweise.
Die routinierte Bartenderin stellt aber auch klar: Nicht immer bedeutet „selbstgemacht“ auch zugleich „besser“. Konkrete Fragen überfordern – neben dem Zeitmangel, der nicht viel Zeit für Experimente lässt – die Kollegen mitunter. „Wieviel Hitze ist bei manchen Früchten erlaubt? Wie lagere ich Selbstgemachtes richtig und hygienisch? Welche chemischen Reaktionen gibt es, wenn ich Zutat A mit Zutat B in Alkohol mazeriere?“ Ganz konkret verweist sie auf einen großen Widerspruch, der schon vor einem Job in der Bar beginnt: „Viele Menschen sind gar nicht mehr in der Lage, selber ‘frisch’ zu kochen, aber meinen, Zutaten für ihre Cocktails selbst herzustellen“.

Cuisine Style in der Bar: Chefkoch und Barchef im Gleichschritt

Womit man auf die Kochprofis zu sprechen kommen sollte. Denn geändert hat sich im letzten Jahrzehnt auch die Anzahl an Bar-Restaurants mit ernst zu nehmender Cocktailkultur, jenseits von Premix-Orgien. Das Zusammenspiel aus Küche und Bar hat dadurch ebenfalls Auftrieb erhalten, ohne dass das jetzt schon als konzeptuell zu bezeichnen wäre. Die Küche ist top ausgestattet, die Crew kümmert sich vormittags um die Mis en Place, da stört ein Topf mehr ja nicht unbedingt. Zumal auch die von Marie Rausch angesprochene Unwissenheit in dieser kulinarischen Co-Kreation wegfällt. Merke: Beim Chefkoch kann der Barchef gern auch mal Azubi sein.
Entsprechend zählt der Hamburger Jan Pflüger („Brooklyn BBQ Bar“) eine Reihe von Küchen-Aktivitäten für das Getränkeangebot auf: „Wir smoken unseren Tomatenmix für die Bloody Maria, infusionieren viel, beispielsweise Jalapeño-Tequila oder Möhren-Vodka, kochen auch Pfeffersirup oder Rote-Bete-Sirup, flambieren und karamellisieren Ananas und bereiten für unseren ‘Popcorn Bourbon’ das Popcorn selbst vor.“
Pflüger zeigt aber neben diesem Crash-Kurs in klassischen Küchentechniken (ohne Rotovap und Sous Vide), dass die Zusammenarbeit vor allem neuen Geschmacksmöglichkeiten dient: „Aus dem Fond der Rinderbrust (Beef Brisket) generieren wir unsere Beef Bitters.“ Limonaden und Espumas runden das Sortiment in Ottensen ab. Kein Wunder, dass das Fazit an der Elbe schlicht lautet: „Cuisine Style ist schon ein sehr wichtiger Part für uns“.

Zehn Jahre Lernprozess für das Aromenverständnis

Doch es geht auch ohne Küchenbrigade im Hintergrund. In Wien sieht Kan Zuo zumindest das Kleine Küchenlatinum heute schon als Standard an. Der Wiener, der in der Frühzeit seiner The Sign Lounge  – lang entfernt von den Auszeichnungen für mixologische Qualität – auch Essen angeboten hatte, verdankte einen großen Teil der Wiener Mundpropaganda wie auch der internationalen Beachtung der Tatsache, dass hier einst die „Eitrige“ – das lokale Würstelstand-Heiligtum namens Käsekrainer – in den Cocktail kam.
Lang ist es her seit den Tagen des „Bloody Caesar“, Kan sieht diese Pionierarbeit als wesentliche Lernphase an: „Cuisine Style in der Bar ist definitiv heute im Mainstream der Szene angekommen. Man merkt, dass seit Jahren fleißig daran gearbeitet wurde – Handwerk, Technik und Aromen-Experimente sind heute eine Selbstverständlichkeit geworden.“ Allein die Vielfalt an wirklich „hausgemachten“ Limonaden sieht der Mann aus der Liechtenstein Straße als unübersehbares Indiz dafür. Zehn Jahre nach dem Gin Basil Smash wisse heute ein Azubi selbst nach einer Woche an der Bar, „dass ein Sour mit fast jedem Kräutlein gemixt werden kann und gut schmecken würde“.

Cuisine Style in der Bar: Es köchelt weiter, aber mit Tiefgang

Die Folge sei eigentlich logisch: Von diesem Bar-Mainstream könne man sich nur durch noch mehr Individualität abheben. Der eine macht Sous Vide, eine anderer aromatisiert sein Eis per Vakuumdestillation, der Dritte schwört für seine Cocktails auf Stäube und Öle. Für Zuo selbst liegt die Antwort in einer Kombination aus Küchentechniken und radikalem Minimalismus. „Es wird bei uns nur halb so viel an Infusionen und Sirups gemacht wie früher“, hat er à la minute zubereitete Cuisine-Style-Drinks für sich entdeckt. Tofu, Avocado, Joghurt und Mascarpone sind aktuelle Zutaten in der The Sign Lounge, die auch das Mundgefühl ansprechen sollten. Texturen statt Tinkturen, könnte man sagen.
Langweilig werde auch diese reduzierte Küchen-Mixologie nicht. Allerdings: Umami im Cocktail sei für einige Gäste noch zu experimentell. „Das erinnert zu sehr ans Essen“, heißt es schnell, wenn fermentierter Tofu, Sojasauce, Mirin oder andere Deftigkeiten in den Shaker kommen. „Uns macht das viel Spaß und das wird uns noch ein paar Jahren begleiten“, sieht Kan Zuo die Küche als Inspirationsquelle ungebrochen. Oder den Cuisine Style in der Bar eigentlich als „gegessen“.

Credits

Foto: Shutterstock

Comments (1)

  • Marc

    Großer Applaus für “Büchse der Foodora”!

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