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Ein Dash? Mehr als ein Tropfen, weniger als ein Schuss.

Seit 5000 Jahren kennt die Menschheit bittere Heilmittel. Auch die moderne Cocktailkunde verwendet sie zur Veredelung. Welche Methoden und welche Flaschen gibt es hierfür und wie wird die Enheitlichkeit eines »dashes« definiert?

Magenbitter sind zur Zeit ein ganz heißes Thema in der Barszene und das zu Recht. Schließlich lässt sich der Unterschied zwischen den eher mittelmäßigen Drinks von gestern und den perfekten Kreationen von heute ganz einfach durch die Wiedereinführung von Magenbittern erklären. Wie »Drink Boy«-Hess bemerkt, sind Magenbitter für einen Cocktail, was das Salz für die Suppe ist.

Bittere Heilmittel wurden bereits vor 5000 Jahren hergestellt und spielten sowohl in traditionellen chinesischen wie auch ayurvedischen Methoden eine große Rolle. Westliche Ärzte haben in den letzten fünfhundert Jahren damit gearbeitet, bis sie durch modernen Arzneien ersetzt wurden und als Hokuspokus in die Welt der Schlangenölverkäufer, des Obskurantismus, in die staubigen Ecken der Likörschränke verbannt wurden.

Das Flaschendesign

Während Magenbitter ein allgemeines Comeback feiern, scheint sich niemand für die Flaschen zu interessieren, in denen sie aufbewahrt werden. Es handelt sich dabei um ein ganz einfaches Design: ein Gefäß mit einer Öffnung an seinem oberen Ende, durch die eine kleine Menge an Flüssigkeit abgegeben wird. Solche Gefäße hat es seit Tausenden von Jahren in der einen oder andern Form gegeben.

Die Bezeichnung »to dash« (spritzen), die in einem Wörterbuch von 1600 als »befeuchten« definiert wird, ging damals in den allgemeinen Sprachgebrauch über. Es gab ihn jedoch schon vor seiner Definition. Primär ist die Magenbitterflasche eine extrem einfache Konstruktion, die es erlaubt, die Flüssigkeit zu dosieren. Bevor auf die industrielle Revolution der Ära der Massenproduktion folgte, waren viele Produkte noch sehr kostbar und wurden entsprechend sparsam verwendet. Ein Spritzer war sinnvoll, wenn es Wochen oder Monate brauchte, um ein kleines Sortiment von Magenbitter, Essig, Öl oder Parfum herzustellen.

Im Lauf der Jahrhunderte wurden ganze Sortimente von Spritzflaschen entwickelt. Die Unterschiede waren jedoch nicht sehr groß, was Form und Funktion betraf: Immer handelte es sich um ein Gefäß mit einem kleinen Loch.

Als das ursprüngliche Design von Spritzflaschen für Magenbitter – auf dem auch die modernen Dekanter Spritzflaschen beruhen – gilt eine Vorrichtung, bei der ein Federkiel durch einen Korken gesteckt wird. Die Flasche war auslaufsicher, und die Spritzvorrichtung des herausragenden Federkiels genau und zuverlässig. Andere Flaschen waren noch rudimentärer. Die Flüssigkeit lief einfach durch ein Loch im Korken.

Wann ist ein dash ein dash

Auf einer Auktion am 1. Juni 2010 erzielte eine solche Spritzflasche in den USA 64 960 Dollar. Es handelte sich um eine Powell & Stutenroth »Favorite Bitters« Flasche, patentiert am 28. Juli 1868 und als Qualitätsprodukt ausgewiesen. Sie hatte aber einen kleinen Fehler, der für jeden Bartender erklärlich war: Der Originalkorken war zwar intakt, hatte aber ein kleines Loch. Natürlich war da eines! Was aber waren die Zutaten für Favorite Bitters? Sie enthielten Sarsaparill, Löwenzahn, Wildkirsche, Buccoblätter, Kubebe, Orangenschale, Enzian, Columbo und Sassafras.

Sehr viel billiger und nützlicher hinter de Bar waren antike Hazel Atlas Bitters Flaschen mit klassischen Metall- und Korkenden. Diese Flaschen aus mattiertem Glas gibt es online schon für 20 Euro. Etwas teurer, dafür aber die kunstvollsten Flaschen, die je hergestellt wurden, waren die mit Blattsilber und Ranken verzierten Angosturaflaschen aus den 20er Jahren.

Obwohl es inzwischen Flaschen zu kaufen gibt, die mit integrierten Plastikscheiben und Metall- und Korkimitationen der frühen Federund Kork Spritzflaschen ausgestattet sind, werden wir bald nur noch ein Zehntel der Magenbitter haben, die noch vor 150 Jahren auf dem Markt waren.

Die exakte Menge eines Spritzers ist immer noch nicht festgelegt. Je nach Flasche variiert die abgegebene Flüssigkeit von ein paar Tropfen bis zu mehr als der doppelten Menge. Doch Spritzflaschen sind nicht die einzige Möglichkeit, hinter dem Tresen einen dash beizumengen. Die heutigen Bartender wissen meistens, dass sie dafür nur die große Öffnung der Tülle abdecken müssen und das kleine Luftloch für einen Schuss benötigen. Manche Bars begnügen sich auch mit billigen Versionen – mit Gewürzflaschen wie z. B. für scharfe Soßen, in deren Metallverschlüsse ein Nagel getrieben wird.

Die Ungenauigkeit dieser unterschiedlichen Methoden bedeutet für akkurat arbeitende Bartender, dass sie sich mit Pipetten und Tropfflaschen behelfen müssen, bis eine akzeptable Lösung gefunden wird. Alle andern müssen sich einfach auf die Tradition berufen und mit der Ungenauigkeit abfinden. Falls ein Drink am folgenden Tag besser schmeckt als am Tag davor, hat uns die Magenbitterspritzflasche eben besonders verwöhnt.

Dieser Artikel erschien erstmals in MIXOLOGY Issue 5/2010. Das Printmagazin MIXOLOGY erscheint alle zwei Monate. Informationen zum Abonnement finden Sie hier auf MIXOLOGY ONLINE.)

Foto: Tim Klöcker

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