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Zehn Jahre. Vom Saftladen zur innovativen Bar.

Zehn Jahre und 50 Ausgaben Mixology. Zeit für einen persönlichen Blick zurück auf die fulminante Entwicklung eines Bar-Jahrzehnts.

Der australische Bar-Betreiber Matthew Bax, der häufig in Deutschland weilt, nutzte vor ein paar Jahren den Begriff »German Style Bartending«, um die Art zu beschreiben, wie hierzulande Bars geführt und mit Leben gefüllt werden. German Style Bartending, was genau soll das sein? Ihren Ursprung hat die moderne Barkultur ja bekannterweise vor allem in den Vereinigten Staaten.

Aus Anlass der fünfzigsten Ausgabe von Mixology möchte ich im Rückblick anhand einiger Beispiele zeigen, dass der deutschsprachige Raum in den letzten Jahren einige Innovationen hervorgebracht hat, die vielleicht nicht ein eigener Stil, aber auf jeden Fall eine Bereicherung der internationalen Barkultur darstellen oder darstellen werden.

Raus aus den Neunzigern!

Als wir als Bartender mit Mixology eine Plattform gründeten, um innovativen Ideen Öffentlichkeit zu geben, taten wir dies unter dem Eindruck, dass in Deutschlands Bars Stillstand herrschte. Charles Schumann hatte in den 1990ern die Barkultur geprägt wie kein anderer zuvor. Sein Buch »American Bar« war inoffizielle Ausbildungslektüre für junge Bartender. Auch wir hatten mit der kleinen roten Bibel gelernt.

Über Schumann hinaus war aber niemand in Erscheinung getreten, der in der Lage war, die Bar öffentlichkeitswirksam qualitativ fortzuentwickeln. Gerade Anfang der Nuller-Jahre lagen Welten zwischen einer kreativ explodierenden Londoner Barszene, in der wir zum Teil unsere Sporen verdient hatten, und dem deutschsprachigen Raum. In Großbritannien war ein experimenteller Boom ausgebrochen, der frische Produkte in Fülle in die Bar brachte. Der klassische Short Drink erlebte dort bereits seine Renaissance, während in Berlin, München und Köln noch pappige Saft-Sirup- Kombinationen in großvolumige Gläser wanderten.

Der Erdbeer-Maracuja- Moment

In der Anfangsphase des Magazins gab es ein entscheidendes Ereignis, das mit als Gründungsmoment eines losen Netzwerks gesehen werden kann, das sich über innovative Ideen austauschen wollte. Mixology hatte begonnen, regelmäßig Newsletter zu versenden, in denen auf spannende Themen hingewiesen und verlinkt wurde. In einem dieser Newsletter wurde der Erdbeer-Maracuja-Fetisch der Deutschen Bartender Union veräppelt. Über Jahre hinweg hatten bei der internen Meisterschaft dieses Vereins immer Drinks die vorderen Plätze errungen, die sich dieser gefälligen Fruchtkombination bedienten.

Der salopp verfasste Maracuja-Erdbeer-Text löste sowohl fulminante Zustimmung als auch empörte Ablehnung aus. Während unter Bartendern, die sich fortentwickeln wollten »Erdbeer-Maracuja« zum geflügelten Spottwort wurde, störten sich selbsternannte Bar-Granden an unserem provokanten Auftreten. Der Definitions-Anspruch einiger Personen und Organisationen war infrage gestellt worden. Man störte sich am Hinweis, dass im Markt der Ideen, die populärste nicht zwingend die innovativste und beste ist.

In der Folge lernten wir schnell andere Bartender kennen, die sich ebenfalls an der Saft- Sirup-Gleichschaltung der heimischen Tresen störten und den Blick auf die Trends anderer Märkte werfen wollten. Der jährliche Trek zur London Barshow, der damals führenden internationalen Barmesse, vertiefte die Kontakte untereinander in dieser wachsenden Gruppe von Bar-Enthusiasten. Man reiste gemeinsam, besuchte sich gegenseitig und half sich mit Wissen und Kontakten weiter. »Als ich anfing hinterm Tresen, war alles noch sehr Neunziger und Fancy Drinks. Dass die internationalen Themen nach Deutschland kamen, hat begonnen, die Barwelt auch hier zu verändern«, bestätigt auch Alexander Hauck, damals Bartender der Luna Bar in Frankfurt.

Ganz vorn im Bitters-Trend

Alexander Hauck und der zu der Zeit in der Münchner Pusser’s Bar tätige Stephan Berg sollten für den ersten »Aha«-Moment dieser aufstrebenden Szene sorgen. Sie begegneten sich bei einem Cocktailwettbewerb sowie der London Barshow und gründeten in der Folge gemeinsam ihr Label The Bitter Truth. Sie hatten erkannt, dass es mit dem Wiederauferstehen klassischer Cocktailkultur einen Bedarf nach einer größeren Auswahl von Cocktail Bitters geben würde.

Das Bartender-Start-up erlangte in wenigen Monaten weltweite Bekanntheit und stürmte von Erfolg zu Erfolg. In dem mittlerweile fast übersättigten Bitters-Markt ist das Münchner Label hinter dem Klassiker Angostura zur bekanntesten Marke aufgestiegen, wenn man einen globalen Blick einnimmt. Auf fast allen Kontinenten sind die schön gestalteten Flaschen auf den Tresen zu finden. Auf den Spuren des deutschen Arztes Dr. Siegert ist der deutschsprachige Raum erneut mit Bitters auf die weltweite Barkarte zurückgekehrt. The Bitter Truth war der erste große Trend, der im neuen Jahrtausend vom deutschsprachigen Raum ausging, beziehungsweise mitgestaltet wurde.

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