Der eigene Gin – ein Einblick hinter die Kulissen
Freund oder Feind – der eigene Gin? Angeblich binnen weniger Tage aus dem Boden zu stampfen, haben neue Gins mit schlechtem Ruf zu kämpfen. Doch die Realität ist komplexer. Alexander Mayer gewährt uns einen Einblick in die Fragen, die bedacht werden wollen. Warum man besser nicht alles selber macht. Und warum der Brenner vielleicht Gesellschafter werden sollte.
Wie Löwenzahn im Frühling schießen jede Woche neue Gins auf den deutschen Markt. Als Barchef vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht ein neues „Super-Handmade-Small-Batch“-Produkt vorgestellt bekommt. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Dennoch bleibt er ein Traum fast jedes „kleinen Jungen“ im Bartender: der eigene Gin.
Der eigene Gin: der Aufwand ist doch größer als man denken mag
Wenig Aufwand – so scheint’s zumindest – ist zu betreiben, um einen eigenen Gin auf den Markt zu werfen. Ein minimales Kapital reicht aus, gelabelt wird dann von Hand, das erhöht den „Craft“-Faktor. Schnell produziert, abgefüllt und an den Mann gebracht sind die ersten Flaschen; beworben mit dem einzigartigen Botanical, das bestimmt in noch keinem anderen Gin zu finden ist.
Immer seltener überzeugt ein solches Produkt nach gewissenhafter Verkostung allerdings tatsächlich. Zu austauschbar das Aromaprofil, zu hoch der Preis. Manchmal abstrus aufwendige Flaschen/Labels/Korken/Verpackungen. Oft schlägt ein simpler Pouring-Gin, blind probiert, das brandneue Premiumgesöff. Möchte man also ernsthaft in den Ring, zu den etablierten und anderen hervorragenden Produkten steigen, gehört eben doch etwas mehr als ein paar Nachmittage in der Garage und die Ersparnisse vom Tagesgeldkonto.
Der große Schritt: Von Lokal zu National
Hat ein simpel produzierter Gin mit einfachem Label und lokalem Bezug die Ambition beim Getränkehändler von nebenan gelistet zu sein, außerdem in den lokalen Feinkostläden sowie in der Nachbarschaftskneipe zu stehen, ist das Gesamtkonzept stimmig. Eine bestimme Anzahl von Abnehmern findet der eigene Gin einem wenigstens soliden Produkt mit persönlichem und regionalem Bezug immer. Kommt der Vörstetter-Fachwerk-Gin jetzt aber auf die Idee, national mitspielen zu wollen, reicht das Konzept nicht und führt zu Enttäuschung und Verwunderung – besonders, weil der Gin Zuhause ja funktioniert.
Die angestrebte Reichweite sollte also noch vor Erstellung des Aromakonzepts und Designs grob feststehen. Soll diese größer sein als bis zum übernächsten Ortsschild, muss Stück für Stück ein Produkt zusammengebaut, ja wirklich entwickelt werden, das insgesamt ein stimmiges Bild abgibt, ohne zu sehr auf eine Region fixiert zu sein. Eine schöne Story will gesponnen werden, in der das Produkt mit Güte und Aussage im Mittelpunkt steht.
Wie, wo und von wem wird der eigene Gin gebrannt? Eine zentrale Entscheidung!
Produziert wird der eigene Gin im besten Falle entweder selbst, oder – bei fehlender Brennkompetenz bzw. -ausstattung – von einem auszuwählenden Brenner. Findet und gewinnt man ein in der Szene bekanntes Gesicht, wird man weniger Probleme haben, potentielle Kunden oder Gäste von der Qualität seines Produktes überzeugen zu können.Viele Destillateure haben jahrelange Erfahrung und können eine Aromaidee nach anfänglicher Rezeptfindung in hervorragender Qualität umsetzen. Ein großes Stück des Kuchens geht dann an den Brenner, das Geschäftsmodell muss ihn also als Gesellschafter einbinden, oder die Produktionskosten steigen neben Rohmaterialien um seinen Lohn.
Eine ungelabelte Flasche allein – und sei sie mit noch so einem brillianten Gin gefüllt – wird sich natürlich nur sehr schwer verkaufen lassen. Ein Gesicht muss her, in Form eines Label- und Flaschendesigns, und einer guten Story, die unseren Wacholdergeist zu einem Protagonisten in der großartigen Spirituosenwelt werden lässt. Im Idealfall greifen Aromaprofil, Story, Flaschendesign und andere Faktoren wie Produktionsstandort oder -charakter des Erfinders stimmig ineinander.
Von Patenten und Designern…
Hat man mit einem professionellen Designer ein tolles Label für eine passende Flasche entwickelt, muss unbedingt die dauerhafte Verfügbarkeit des Glaskorpus und der Rohstoffe sichergestellt werden. Schlimm ist es, wenn das Produkt voll vom Markt angenommen wird, der Glashersteller in Italien aber erst wieder produziert, wenn er Aufträge für insgesamt 50.000 Flaschen zusammenhat und man selbst somit nicht abfüllen kann! Möchte man sogar außerhalb Deutschlands aktiv sein, müssen die entsprechenden Designrechte vom Eigentümer, also dem Zeichner oder Produktdesigner erworben werden. Schnell befinden sich die Kosten hierfür im fünfstelligen Bereich! Geschützt wird das Design und der Name beim Patentamt in München. Hat man einen Profi, also Patentanwalt zur Seite kostet das einmalig etwa 1.000 bis 2.000 Euro. Diese Kosten fallen zwar nicht direkt ab der ersten Flasche an, müssen jedoch langfristig eingeplant werden.
Hat man endlich ein wohlschmeckendes Destillat in einer schönen Flasche mit passender Geschichte und Hintergrund entwickelt, muss der Stoff nur noch mit einem Preis versehen, und an den Mann gebracht werden. Für die Kalkulation spielen allerdings furchtbar viele Faktoren eine Rolle: Produktionskosten, also Flasche, Inhalt, Etikett, Korken und Verpackung. Dann der Versand, der angestrebte Gewinn in realistischer Einordnung: Also wieviel ist der Kunde bereit, für das Produkt zu bezahlen und wie sind die Preise ähnlicher Produkte? Wie ist der Werbeaufwand mit Blick auf die angestrebte Absatzmenge? Soll mein Produkt bei einer Bar im Pouring stehen, sprich günstiger sein und einen höheren Absatz haben, oder ein Exklusivprodukt mit geringerem Absatz, aber auch mehr Gewinn sein? Ebenfalls einzuplanen ist Spielraum für Freiware und Rückvergütungen, um Bars einen Anreiz zu geben den Besten der Besten auch auszuschenken.
Verschicken wir das jetzt alles selbst?
Für den konkreten Vertrieb gibt es ebenfalls unterschiedliche Modelle. Möchte ich selbst ausliefern und versenden, habe ich wesentlich mehr Arbeit, aber auch einen höheren Gewinn pro Flasche. Soll ein Großhändler meinen Gin zum Kunden bringen, muss dieser einen Teil abbekommen. Je größer dieser Teil, desto geringer zwar der eigene Gewinn, desto motivierter aber auch der Händler, das Produkt zu verkaufen.
Flitzt also der Getränkehändler des Vertrauens mit dem eigenen Wacholderschnaps durch die Stadt, kann man sich dafür mehr um Werbung kümmern. Der eigene Gin will schließlich auch die richtigen Leute kennenlernen. Probierfläschchen, T-Shirts, Servietten – beim Besuch in den Bars an die Bartender gebracht, Schulungen oder „Masterclasses“, Klinkenputzen bei Händlern, Cateringunternehmnen, Spirituosengeschäften, die Werbemöglichkeiten sind schier unerschöpflich. Wichtig ist: Was passt zu mir, meiner Firma und dem Produkt, mit welchem Charakter trete ich auf? Und: Der Grat zwischen einem sicheren, gewinnenden Autreten einerseits und Angeberei und überzogener Erwartungshaltung andererseits ist schmal. Fingerspitzengefühl und eine Spur gesunden Understatements im persönlichen Gespräch können Wunder wirken. Gerade in diesen Tagen darf man (siehe oben) nicht vergessen: Es ist nicht unbedingt so, dass ein Barbetreiber unbedingt darauf angewiesen ist, dass man ihm einen neuen Gin anbietet.
Damit mein endlich hervorragend laufendes Vertriebsunternehmen nicht mit der ersten Steuerprüfung Konkurs geht, muss schlussendlich eine saubere Büroarbeit geleistet werden. Mit einem Steuerberater zur Seite tritt man in nicht so viele Fettnäpfchen und hat einen kompetenten Ansprechpartner für alle buchhalterischen Fragen. Der ist für einen Quereinsteiger auch bitter nötig und hilft beim erstellen der ersten Rechnungen, Monatsabschlüsse, sowie der Gewerbeanmeldung und Findung der Unternehmensform. Oh die will natürlich auch mit Bedacht gewählt werden! Aber das ist dann wirklich noch mal ein Thema für einen eigenen Text. Und wie sagten die Fantastischen Vier schon: GbR, GmbH – ihr könnt mich mal.
Ich brauch jetzt erstmal einen Gin & Tonic.
Offenlegung: Der Autor, Alexander Mayer, ist Bartender in Stuttgart und schon seit längerer Zeit regelmäßiger Gastautor bei MIXOLOGY ONLINE. Zuletzt entwickelte er gemeinsam mit einem Geschäftspartner und dem hoch angesehenen Brenner Florian Faude seine Marke Rubus Gin. Dass die Marke im Text nicht erwähnt wird, darf als ausreichendes Zeichen dafür gelten, dass Mayer an dieser Stelle keine Werbung für sein Produkt macht, sondern über generelle Aspekte des Themas spricht.