TOP

Der Longdrink. Ein Diskurs des missverstandenen Durstlöschers.

Wie klingt es doch so simpel: Ein bis zwei Zutaten auf Eis in ein Glas, mit einem nicht-alkoholischen Filler aufgegossen. Fertig. Und doch kann dabei eine ganze Menge daneben gehen. Aber: Was ist eigentlich ein Longdrink? Gedanken zu einer  unterschätzten Disziplin am Bartresen.

Gleich vorneweg muss die Wahrheit auf den Tisch, respektive auf die Theke: Der Longdrink existiert nicht. Zumindest nicht im englischsprachigen Raum, wo mit dem Begriff „Highball“ unsere Getränkegattung seit den 1890er Jahren in den USA Verbreitung findet. Allen voran der Ur-Ahne aller Highballs und Longdrinks, der Whisky-Soda. In Amerika streiten Experten bis heute, woher der Begriff kommt. Verwendeten die damaligen Bartender dort tatsächlich die Bezeichnung „Ball“ für „Glas“? Oder ist der Highball zurückzuführen auf das gleichnamige Eisenbahnersignal für „Freie Fahrt voraus“ und den Ausschank alkoholischer Getränke in den Speisewagen der Züge?

Die deutsche Zunge ist offensichtlich überfordert mit dem hohen Ball, der eher nach Sportlermilieu klingt, als nach Trinkkultur. Hilft ein Blick in ein frühes deutschsprachiges Cocktailbuch? „Das Getränkebuch“ von Hans Krönlein und F.-J. Beutel aus den 1930er Jahren erfüllt die Hoffnung nicht. Das Kompendium (in diesem Fall die 6. Auflage von 1938) überrascht durch die konsequente Verwendung der englischen Barsprache in allen Details. Ungewöhnlich in einer deutschnationalen Un-Zeit, in der die Toilette durch den Abort ersetzt wurde und die Berliner „Queen Bar“ den Namen in „Königin Bar“ wechseln musste.

Leider geben die Autoren sich nicht mit Mixgetränken mit weniger als vier Zutaten ab, weshalb unsere Getränkegattung unterrepräsentiert ist. Womöglich helfen die Bezeichnungen der Gläsergrößen. Sind doch in der englischsprachigen Cocktailliteratur die Begriffe Highball-  oder Collins-Glas bereits weit verbreitet. In seiner Erstauflage von 1919 vermeidet Herr Beutel den Bereich der Glasware soweit er kann und schreibt: „Diese Gegenstände sind stets der Mode unterworfen“. 1938 kommt Krönlein nicht umhin, die passenden Gläser zu benennen, verwendet dabei aber gerne Bezeichnungen, wie „80er Schwenkschale“ oder „65er Cocktailglas“. Einzig ein Rezept für den Horse´s Neck, verspricht Erhellung bei der Highball-Recherche, wo das „Whisky-Soda-Glas“ gefordert wird. Ob die Rezeptur mit Zitronenspirale, Grenadine, Dry Gin und Ginger Ale heute noch zu begeistern vermag?

Verlegenheitsgetränk für verlebte Herren?

Schnell also weiter in die Nachkriegszeit, wo Gustav Fink im „Handbuch für Barmixer“ von 1949, im Gästeglas aufgegosse Getränke, wie die Gattung der Slings, als „Verlegenheitsgetränk“ bezeichnet. Nein, dann wollen wir doch lieber Highball oder Longdrink, wie es endlich auch der Ur-Vater der Barerziehung, Harry Schraemli, verwendet. In seinem „Das große Lehrbuch der Bar“, 8. Auflage, definiert er Long-Drink mit: „Ein großes Getränk. Wird meistens mit Trinkhalmen und Barlöffel serviert“. Bei den Getränkegattungen handelt er dafür die Highballs ab, als „long drinks, die meistens von Herren bestellt werden. Serviert werden sie mit Vorliebe in ballonförmigen, ziemlich großen Gläsern“. Möchte Schraemli mit dem Ballonglas die unklare Begriffssituation des Highballs bereinigen? In Spanien folgen die Bartender noch heute der Vorgabe des Altmeisters und nehmen große, runde Weingläser zur Hand. Besonders Barcelona gilt derzeit als Welthauptstadt des Gin & Tonic (MIXOLOGY berichtete in Ausgabe 1/2012), wo Trendsetter Mike Cruickshank in seiner Xixbar die Bewegung auslöste. Der Schotte betreibt den Pilgerort nun bereits im achten Jahr und bietet mit 130 Gins und einem Dutzend Tonic Waters eine beachtliche Reise in die Welt des beliebtesten Drinks. „Mittlerweile stehen in den bescheidensten Tapa-Bars etliche Gin und Tonic Sorten und zahlreiche Marken produzieren Sonderabfüllungen nur für den spanischen Markt“, erklärt der Barmann stolz, während er mit zwei großen Pinzetten kunstvoll die Öle aus der Zeste ins Ballonglas zupft.

„Ein Martini vergibt. Ein Gin & Tonic nie!“

In der österreichischen Hauptstadt Wien gehören die Longdrinks ebenfalls zum Wichtigsten was eine Bar zu bieten hat. In der Bar „The Sign“, erklärt Bartender Kan Zuo die Bedeutung: „Es gibt Gäste, die nach einem langen Arbeitstag Entspannung und Erfrischung suchen, aber nicht angestrengt über einen Cocktail nachdenken oder diskutieren möchten. Dann kann ein gut zubereiteter Gin & Tonic, Dark & Stormy oder Moscow Mule der perfekteste Drink sein“. Zuo selbst genießt zum Ende einer anstrengenden Schicht am liebsten einen Gin & Tonic, der ihm hilft, in den Feierabend-Modus umzuschalten, am liebsten in der nahe gelegenen Halbestadt Bar, deren Cocktails und Longdrinks er in den höchsten Tönen lobt.

Dennoch wird die Qualität in der Zubereitung eines Longdrinks viel zu oft vernachlässigt. „Acht von Zehn Longdrinks taugen nichts“, schüttelt der Betreiber der Berliner Bar „Windhorst“, Günter Windhorst, den Kopf. Er missbilligt, wenn er sieht, wie viel zu oft zur abgestandenen Großflasche gegriffen wird, um einen Cuba Libre oder einen Gin & Tonic aufzufüllen. Windhorst legt großen Wert darauf, seinen Gästen eine frische Flasche mit dem Filler zum Drink zu reichen. Zunächst nur ein kleiner Schuss Tonic aufgegossen: „Der Gast muss die Chance haben, die Qualität des Gins zu schmecken“. Danach entscheidet jeder selbst über die ideale Zusammensetzung von Alkohol und Spritzigkeit. Windhorst nickt schmunzelnd, wenn es um Wacholder als Liebling der Bartender geht: „Ein Martini vergibt. Ein Gin & Tonic nie!“ Er selbst fügt, je nach Ginmarke, gerne noch eine winzige Dosis Limettensaft hinzu.

Barbara „Piri“ Ettel aus der Bar „Voima“ verweist zudem auf die Bedeutung der Eisqualität: „Der Longdrink muss kalt bleiben, ohne zu verwässern. Wenn angeschmolzene Eisstücke aus dem Eiseimer lieblos ins Glas wandert, schadet das der Spirituose, wie dem Filler“.

Plan B: Macht doch was ihr wollt!

Plan A lautet eindeutig: Sauberes Glas, hochwertige Spirituose, frischer Filler und gutes Eis. Damit kann die Verwirrung auch gleich wieder von vorne beginnen, wenn Franz Brandl und Charles Schumann in ihren Standardwerken erklären: „Ein Longdrink ist ein Getränk mit großer Flüssigkeitsmenge in einem großen Glas“. Gut, so halten dann in „The Ultimate Bar Book“ von André Dominé auf Seite 728 folgende vier Drinks als Repräsentanten des klassischen Longdrinks her: Long Island Ice Tea, Prince of Wales, Hurricane und Singapore Sling. Aha. Halten wir uns lieber an die Formel im Cocktailian: Spirituose plus Soda, Saft, Limonade und gegebenenfalls etwas Frucht.

Ansonsten darf gerne weiter gestritten werden. So waren beim Moscow Mule die Meinungen der Befragten sehr kontrovers, ob es sich um einen Longdrink oder einen Cocktail handelt. Aber lassen wir das Kriegsbeil ruhen, greifen stattdessen zur Eisschaufel, freuen uns an dem niedlichen Druckfehler in Brandls Mix Guide, der mit dem Moscow Mole  aus dem Esel – Mule! – einen Maulwurf macht und stoßen an nach dem Moscow-Mule-Rezept des legendären Harry Schraemli: ½ Messglas Zitronensaft, ½ Messglas Vodka und auffüllen mit hellem Bier.

 

 

(Dieser Artikel erschien erstmals in MIXOLOGY Issue 2/2012. Das Printmagazin MIXOLOGY erscheint alle zwei Monate. Informationen zum Abonnement finden Sie hier auf MIXOLOGY ONLINE.)

Kommentieren