Die knackigste Margarita? Zehn Tequila Blancos in der Cocktail-Blindverkostung
Dieser Text erschien ursprünglich in unserer Sonderausgabe 2019. Vermixt wurden die Blanco-Basisqualitäten zehn unterschiedlicher Hersteller, die allesamt auf regulärem Vertriebsweg in Deutschland erhältlich sind. Für diese Wiederveröffentlichung wurde der Text formal adaptiert. An den Bewertungen wurden keine Änderungen vorgenommen.
In gewisser Weise werden sämtliche Ergebnisse sämtlicher Blindverkostungen durch folgende Erkenntnis geeint: Vorher hätte man nie gedacht, dass Produkt A, das man doch eigentlich sonst grandios findet, einem ohne Namen und Etikett nun plötzlich nicht mehr wirklich zusagt. Und umgekehrt: Produkt B, das ist doch vom Industrieriesen, das würde ich nie guten Gewissens vermixen – und auf einmal scheint’s doch ziemlich stark zu sein.
Der aromatische Teufel im Detail
Für das dritte MIXOLOGY Taste Forum (MTF, Regelwerk siehe hier), das sich anstatt purer Spirituosen einen Cocktail in der Querverkostung zur Brust nahm, kamen zehn Margaritas mit zehn unterschiedlichen Tequilas (alle Blanco sowie 100 % aus Agave) auf den Tisch – und sie alle waren sich von der aromatischen und texturellen Grundanlage her sehr ähnlich. So die beinahe einhellige Meinung der Verkoster während des Tastings.
Wie bei den zwei vorigen Cocktail-MTFs (Dry Martini und Daiquiri) kamen auch diesmal statt echter Cocktailgläser wieder handelsübliche Nosing-Gläser zum Einsatz, serviert wurden die Cocktails einzeln aufeinanderfolgend mit einem Zeitabstand von ca. 6 bis 7 Minuten. Nur so kann jeder Cocktail frisch und eiskalt gleichermaßen verkostet und bewertet werden. Auch auf Garnituren, in diesem Fall den mehr oder minder obligatorischen Salzrand, wurde verzichtet.
Nach kurzer Diskussion einigten sich die Tester auf das klassische, eher säuerliche Mischungsverhältnis von jeweils 6 cl Tequila, 3 cl frischem Limettensaft und 1,5 cl Orangenlikör. Um Schwankungen auszugleichen, wurde ein Batch Limettensaft gepresst, als Orangenlikör kam der ebenfalls agavenbasierte Patrón Citrónge zum Einsatz.
Eine Margarita – was ist das eigentlich?
Einig sind sich alle Verkoster darin, was der durchschnittliche Gast von einer klassischen Margarita erwartet: Als erster Punkt wird eine spezifische, herbe Süffigkeit genannt, hinzu kommen eine leichte Fruchtigkeit und eine Spur der für Tequila gattungstypischen Würzigkeit. Laura Maria Marsueschke ergänzt sowohl aus der Erfahrung mit ihren Gästen als auch mit Blick auf die eigenen Vorlieben: »Der Abgang darf nicht zu stark sein. Eine Margarita sollte auf der Zunge und am Gaumen schnell und crisp präsent sein, danach aber auch schnell wieder Platz für den nächsten Schluck machen. Wichtig ist, dass immer ein wenig der gekochten Agave mit durchkommt – also Karamell gepaart mit Mineralität.« Konrad Friedemann wiederum ergänzt die Beobachtung, dass »ätherische Noten den Drink meist wesentlich interessanter und komplexer« machen, auch wenn sie nur selten als typische Komponente einer Margarita genannt werden.
Mit Blick auf die relative Ähnlichkeit vieler der getesteten Cocktails merkt Hauke Thüring an: »Man merkt hier wieder ganz deutlich, dass Tequila, auch aufgrund der vergleichsweise niedrigen Alkoholstärke, trotz seines Charakters ein sehr fragiles Produkt bleibt, das im Cocktail mit viel Vorsicht behandelt werden sollte.«
Zu diesem Punkt entspinnt sich im Anschluss an die Verkostung eine interessante Diskussion unter den MTF-Mitgliedern. Denn so fein die Unterschiede zwischen den verschiedenen Margaritas einerseits sind, so deutlich sind sie doch in ihrer Charakteristik: Manche Tequilas heben die Säure der Limette hervor, andere begünstigen eher die Süße oder die Konfitürennote des Likörs. Wiederum gleitet bei manchen der verkosteten Produkte die Agaven-Aromatik leicht ins Vegetale ab, während sie bei anderen stabil bleibt oder aber sich in rauchige bzw. blumige Richtungen auswächst. Einige wenige Tequilas gehen in der angewendeten Rezeptur sogar recht stark im Drink unter und wirken nicht mehr wie eine wirkliche Basis.
Wenn die Klischees der Gattung zum Problem werden
Lucia Schürmann bringt es auf den Punkt: »Schon merkwürdig, dass man nur nach der Gattung geht und immer mit dem gleichen Konzept an den Drink herantritt, obwohl doch jedes Produkt anders ist.« Und Maria Gorbatschova pflichtet bei: »Wir, also die meisten Bartender, haben insbesondere bei Tequila und Mezcal noch immer sehr viele Klischees im Kopf. Man muss sich da eigentlich frei machen von Erwartungen.« Für Thüring und Marsueschke ist die letzte Konsequenz klar: »Eigentlich muss man wirklich so strikt sein und eine Rezeptur für jede Marke aufs Neue anpassen.«
Ein klarer Champion aus der Hand einer Frau
Umso interessanter ist angesichts der vielschichtigen und teilweise deutlich divergenten Bewertung der Drinks, dass die Runde der sechs Tester sich in der anonymen Punktevergabe letztlich auf einen deutlichen Sieger einigt, den die Hälfte der Tester nach ganz vorn platziert hat: Der Calle 23 Blanco erhält in der Abschlusswertung eine durchschnittliche Punktzahl von 98 von 100 möglichen Zählern und damit die MTF-Bestnote »Excellent«. Hergestellt wird der Tequila von einer der wenigen weiblichen tequileras, nämlich von Sophie Decobecq im Hochland von Jalisco. Die Runde beschreibt die Margarita mit Calle 23 z. B. als »angenehm spannend«, »zitrusfrisch«, »unfassbar balanciert«, und Marsueschke formuliert in der Nachbesprechung: »Eine besondere Margarita – einerseits recht klassisch, aber gleichzeitig modern und funky.«
Mit deutlichem Abstand folgt – für viele dürfte das eine Überraschung sein – auf dem zweiten Rang Sierra Antiguo Plata mit 91 Punkten und dem Prädikat »Very Good«. Die seit 2013 erhältliche 100 %-Agave-Version des deutschen Marktführers mit dem ikonischen Sombrero hatte bereits das MTF zur Kategorie Blanco Tequila für sich entscheiden können und geht als günstigstes getestetes Produkt auch aus dem Margarita-Tasting als klarer Preis-Leistungs-Sieger hervor. Die Tester attestieren eine frische Vollmundigkeit mit Vanille-Würze, viel Agave und reicher Komplexität.
Dahinter wird es sehr knapp beim Ringen um den Bronze-Platz: Nicht mal ein voller Punkt liegt zwischen den beiden folgenden Produkten, in der Rundung verweist schlussendlich Topanito Blanco mit 89 Punkten seinen Kontrahenten auf Rang vier: Fortaleza Blanco, erst seit Anfang 2019 offiziell in Deutschland vertrieben und der teuerste Tequila im Test, schrammt mit 88 Punkten haarscharf am Podium vorbei. Seine starke Aromatik spaltet die Gemüter der Jury: Einige vergeben Höchstnoten, während ein anderer Teil der Runde die Margarita mit Fortaleza als unausgewogen und schwierig bezeichnet. Für Topanito und Fortaleza bedeuten die jeweiligen Punktzahlen in beiden Fällen die Note »Good«.
Ein enges Mittelfeld. Und der Blick in die Zukunft
Mit recht großer Distanz folgt dann ein Mittelfeld, dessen Angehörige jeweils nah beieinanderliegen: Mit Patrón Blanco (81), Corralejo Blanco (80), Arette Blanco (77) und Don Julio Blanco (76) tummeln sich dort gleich einige echte »Dickschiffe« der Kategorie. Den Schluss der Abrechnung bilden Altos Blanco (70) und Weltmarktführer Jose Cuervo Tradicional Blanco (69), die in der gemixten Rezeptur-Variante bei den Verkostern auf ein durchwachsenes Echo stoßen.
Dieser springende Punkt bewegt die Runde wie schon bei den vorigen Cocktail-Ausgaben des MTF: Eine derartige Querverkostung kann und will nie den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, sie bleibt eine Momentaufnahme. Denn zu viele Aspekte und Stellschrauben könnten geändert werden, und jedes Mal ergäbe sich eine komplett andere Wertung. Angefangen beim allgemeinen Mengenverhältnis der drei Zutaten über die Wahl des jeweiligen Orangenlikörs und die Beschaffenheit des Eises bis hin zum jeweiligen tagesaktuellen Zustand des Limettensaftes – womit nur die wichtigsten Punkte genannt wären.
Ein Verkoster merkt zudem an: »Spannend wäre es doch, genau die gleiche Auswahl noch mal in der Tommy’s Margarita zu verkosten und die unterschiedlichen Platzierungen zu analysieren.« Womit also eine Art Anschlussfähigkeit für die Zukunft schon geleistet wäre. Und die ist ja immer irgendwie wichtig.
Die Tester waren Maria Gorbatschova (Green Door Bar), Laura Maria Marsueschke (Thelonious Bar), Lucia Schürmann (Galander Haifischbar), Hauke Thüring (Schloss Neuschweinsteiger) und Konrad Friedemann (Das Stue) sowie MIXOLOGY-Herausgeber Helmut Adam.
Credits
Foto: Editienne