TOP

Die Enzyklopädie alkoholischer Heißgetränke, Teil 7: Der Sangaree

Erfunden wurde der Sangaree wohl als Antwort auf den Gin Act von 1736, in dem man Gin im Punch durch Madeira ersetzte. Die ursprüngliche Variante eines Sangaree war also wohl eine Mischung aus Madeirawein, Wasser, Zucker und Zitrusfrüchten. In seiner Definition entspricht der Sangaree heute dem, was wir unter einer Sangría verstehen.

Ein gewisser Mr. Gordon erfand den Sangaree. So berichtet es das Gentleman’s Magazine im Jahr 1736. Der unterhaltsame Text berichtet über die Folgen der Gin-Verordnung, mit der der Verkauf von kleineren Gin-Mengen verboten wurde. Das Ergebnis waren Unruhen, Berufsänderungen und Tricksereien, mit denen man das Gesetz umging: „Als die Zeit nahte, dem Einzelhandel mit destillierten Spirituosen in kleinen Mengen ein Ende zu setzen, begannen die Personen, die zu diesem Zweck Läden betrieben, eine Parade von Scheinzeremonien für Madam Geneva [Anmerkung: gemeint ist Gin] […] zu veranstalten, was einen Mob um ihre Läden auslöste, und die Richter hielten es für angebracht, einige der wichtigsten Trauernden ins Gefängnis zu stecken. Auch die Zeichen der Punchhäuser wurden auf Trauer gesetzt; andere sollten die Bitterkeit ihres Herzens durch Gewalttaten zum Ausdruck bringen, und die Pferde- und Fußwachen sowie die Trained Bands [Anmerkung: das sind Teilzeit-Milizen] wurden auf Befehl ordnungsgemäß stationiert. Aber viele der Destillateure, anstatt ihre Zeit in leeren Klagen zu verbringen, verlegten sich auf andere Industriezweige; einige auf das Brauereigewerbe, wodurch die Preise für Gerste und Hopfen anstiegen; einige übernahmen Tavernen in den Universitäten, was vor dieser Gin-Verordnung niemand ohne Erlaubnis des Vizekanzlers tun konnte; andere richteten Apotheken ein: nur Herr Ashley vom Londoner Punch-House, und noch einer mehr, hatte 50-£-Lizenzen erworben […]. Herr Gordon, ein Punch-Verkäufer aus The Strand, hatte einen neuen Punch aus starkem Madeira-Wein erfunden, der Sangre hieß. Andere tun so, als ob ein Vertrag über zwei Gallonen Brandy oder andere Spirituosen ein rechtmäßiger Kauf und Verkauf wäre, und wenn der Käufer nur einen Teil der besagten zwei Gallonen nimmt und der Verkäufer Kredit und Lagerraum für den Rest davon gibt, wer hat dann damit zu tun? Dies ist ein allgemeiner Brauch in allen Branchen, den kein Gesetz verhindern kann.“

Sangaree, ein Kind des Gin Act

Der Sangaree entstand also als Reaktion auf den im September 1736 in Kraft tretenden Gin Act. Mr. Gordon wurde kreativ und bereitete Punch nicht mehr mit Gin, sondern mit einem Madeira-Wein zu. Leider wird ein genaues Rezept nicht angegeben. Wie bisherige Analysen aber vermuten lassen, wird es eine Mischung aus Madeirawein, Wasser, Zucker und Zitrusfrüchten gewesen sein, eventuell auch mit etwas Muskat versehen.

Der Sangaree wurde schnell bekannt und verbreitete sich weltweit. Bereits im Jahr 1744 trank man ihn in Virginia: „Montagmorgen, 25. Juni 1744. Um 10 Uhr trafen die Indianerhäuptlinge den Gouverneur, die ehrenwerten Kommissare von Virginia und von dieser Provinz, als Seine Ehren eine Rede hielt, auf die Cannasateego im Namen aller anderen Anwesenden eine Antwort gab. Die Indianer blieben etwa zwei Stunden im Gerichtssaal und wurden mit etwas Bumbo und Sangree bewirtet.“

Die älteste von mir gefundene Rezeptur aus dem Jahr 1759 stammt von Israel Aurelius, einem schwedischen, lutheranischen Missionar, der ab 1749 in Delaware gewesen war und über die dortigen Gebräuche schrieb. Er vermerkte: „Sangaree wird aus Wein, Wasser, Zucker, einem Schuß Muskatnuß und einigen Melisseblättern hergestellt.“ Anstelle von Zitronen verwendete man dort offensichtlich Zitronenmelisse, um so zitrusartige Aromen in den Punch zu bekommen.

Der Sangaree verwandelt sich früh

Es ist jedoch leider so, dass schon zahlreiche frühe Rezepturen unter einem Sangaree etwas anderes verstanden, nämlich überwiegend eine Mischung aus Wein, Zucker und Gewürz. Das Weglassen des Wassers könnte man noch verstehen, da Wein bereits einen geringeren Alkoholgehalt als Branntwein hat, so dass man ihn für einen Punch nicht unbedingt verdünnen muss. Wichtiger ist jedoch das Weglassen der Zitrone – doch dadurch ist das Mischgetänk kein Sangaree, sprich: Wein-Punch mehr, sondern vielmehr so etwas wie ein gewürzter Wein-Toddy. So kommt es, dass bereits Johann David Schöpf über seine 1783 bis 1784 stattgefundene Reise in die nordamerikanischen Staaten schreibt: „aus Wein, Zucker, Wasser und etwas Muskatennuß entsteht Sangry“.

In der überwiegenden Mehrheit der Fälle wurde der Sangaree mit Wein hergestellt, manchmal jedoch auch mit Branntwein. Eine der wenigen Ausnahmen wird bereits 1785 genannt. Ein in London erschienenes Lexikon definiert: „SANGAREE. Rack punch was formerly so called in bagnios.“ Sangaree ist dort also ein Arrak-Punch, den man früher in Bordellen als Sangaree bezeichnet hätte. Wie man sieht, gab es also schon frühzeitig Verwirrung darüber, was ein Sangaree ist. Man verwendete nicht nur Arrak, sondern auch Bier oder Rum, trank den Sangaree kalt oder warm.

Doch woher erhielt der Sangaree seinen Namen? Allgemein ist man der Ansicht, die Bezeichnung stamme von dem spanischen Wort für Blut, sangre. Das legt nahe, dass man einen Sangaree mit einem roten Wein zubereiten sollte.

… oder gleich von der Tafelrunde

Doch wie so oft gibt es auch hier andere Theorien, und ein Leserbrief aus dem Jahr 1856 behauptet sogar, dass der Heilige Gral Namensgeber sei, der auf englisch „sangreal“ genannt wird – und kommt dann im Zuge seiner Argumentation noch auf König Artus und seine berühmte Tafelrunde und darüber hinaus auf mittelalterliche Troubadoure zu sprechen.

Auch wenn wir aufgrund der Quellenlage davon ausgehen müssen, dass der Sangaree eine Erfindung des Mr. Gordon ist, könnte es sein, dass er das Rezept dazu aus Spanien erhalten hatte. Dort ist Sangaree noch heute von Bedeutung, wird als Sangría bezeichnet und ist sogar durch eine europäische Verordnung geschützt. Diese definiert Sangría als ein aromatisiertes weinhaltiges Getränk, das aus Wein hergestellt und mit natürlichen Zitrusfruchtextrakten oder -essenzen aromatisiert wird, Gewürze enthalten darf, mit Kohlensäure versetzt sein kann, nicht zusätzlich gefärbt wurde, einen Alkoholgehalt von mindestens 4,5 Vol% und weniger als 12 Vol% besitzt und feste Bestandteile des Fruchtfleisches oder der Schale von Zitrusfrüchten enthalten darf. Ein Zuckerzusatz ist zulässig. Sangría darf als Verkehrsbezeichnung allerdings nur dann verwendet werden, wenn das Mischgetränk in Spanien oder Portugal hergestellt worden ist.

Eine Sangría entspricht in ihrer Definition also voll und ganz der eines Sangaree.

Sangaree in den alten Bar-Büchern

Wie sieht es nun nach 1862 in den Bar-Büchern aus? Dort gibt es natürlich Sangaree, der mit Wein zubereitet wird, es finden sich jedoch auch Varianten, die stattdessen Branntwein verwenden. Definitionsgemäß sind diese Rezepturen dann aber kein Sangaree mehr; sie entsprechen leider noch nicht einmal der Definition eines Punches, denn fast alle Rezepturen sind nichts anderes als ein Toddy, und zwar praktisch fast ausschließlich ein klassischer, gewürzter Toddy.

Die Enzyklopädie alkoholischer Heißgetränke

Teil 1: Einleitung

Teil 2: Der Punch

Teil 3: Der Toddy

Teil 4: Der Grog

Teil 5: Der Skin

Teil 6: Der Negus

Teil 7: Der Sangaree

Teil 8: Hot Buttered Rum & Co.

Teil 9: Der Sling

Teil 10: Der Bumbo

Credits

Foto: Editienne

Kommentieren