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Die Geschichte des Pousse Café: Der American Pousse Café

Die Geschichte des Pousse Café, Teil 10: Höhepunkt und Niedergang des Pousse Café

Pousse Cafés sind heute weitestgehend vergessen und spielen in der zeitgenössischen Barkultur keine Rolle. Trotzdem sind sie für die Drinks-Historie ebenso wichtig wie der Punch. In unserer zehnteiligen Serie „Die Geschichte des Pousse Café“ widmet sich Armin Zimmermann allumfassend den bunten Schichtgetränken. In zehnten und letzten Teil: Die Entstehung des Schichtens, der Höhepunkt des Pousse Cafés und sein Verschwinden.

In Nordamerika gab es französische Kolonien, und dort war die französische Kultur des Pousse-Café-Trinkens ebenfalls allgegenwärtig. Deshalb wird im Jahr 1869 über New Orleans berichtet: „Die Kreolen nennen das kleine Glas Schnaps oder Likör am Ende des Abendessens immer pousse-café.“

American Pousse Café

Zutaten

1/4 Maraschino
1/4 Curaçao
1/4 Chartreuse verte
1/4 Brandy

Ein Schichtgetränk

In den alten Bar-Büchern wird der Pousse Café als ein Schichtgetränk dargestellt. Seit wann schichtete man den Pousse Café? Der älteste von mir gefundene Hinweis stammt aus dem Jahr 1851, ein englischsprachiger Kapitän empfahl eine Schichtung von Curaçao und Kirschwasser. Ungefähr zeitgleich entstand in Deutschland der Knickebein, der ebenfalls geschichtet wurde. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Schichtung etwas war, das außerhalb Frankreichs entstand. Berücksichtigt man, dass jedes deutsche Regiment seine eigene Regimentsmischung besaß, die aus – höchstwahrscheinlich geschichteten – Spirituosen bestand, so darf man vermuten, dass die Schichtung ursprünglich eine deutsche Erfindung war. Zumindest war sie in Deutschland außerordentlich beliebt und verbreitet.

Kulturelle Verschmelzung

Es zeigt sich darin eine Vermengung der Kulturen. David Wondrich schreibt, die Verwendung von Sirupen und Likören sei eine Spezialität der Pariser Limonadiers gewesen. Im Regent’s Punch, entstanden in den 1820er Jahren, zeige sich, wie alte englische und neue französische Traditionen miteinander verbunden wurden, dabei aber auch deutsche Einflüsse eingeflossen seien. Entwickelt hat diesen Punch wohl Philippe Wattier, der in des englischen Prinzens Haushalt für die Punch-Zubereitung zuständig war. David Wondrich schreibt: „Es ist auch erwähnenswert, dass Wattier aus Metz stammte, denn der Regent’s Punch weist viele der prismatischen Merkmale der französischen und deutschen Punchherstellung des späten 18. Jahrhunderts auf. Der Regent’s Punch diente in der Tat als Wegbereiter für solche Ideen und für Zutaten wie Curaçao, Maraschino und Champagner, die in die britische und amerikanische Mixologie Einzug hielten.“

Eine ähnliche Symbiose halte ich bei der Weiterentwicklung des Pousse Cafés zu einem Schichtgetränk für wahrscheinlich. Die französische Sitte des Pousse Cafés und die Deutsche Vorliebe für Liköre und Knickebein trafen auf amerikanische Traditionen und beeinflussten sich gegenseitig. Vielleicht geschah dies in New Orleans, denn dort war nicht nur die französische Kultur verwurzelt, sondern es gab auch einen großen deutschstämmigen Bevölkerungsanteil, und viele deutsche Auswanderer fanden ihren Weg in die Gastronomie.

Ob die Schichtung nun ausgehend vom Knickebein in den Pousse Café überging, lässt sich natürlich nicht eindeutig beweisen, doch ich halte es für wahrscheinlich. Man nehme einen Knickebein und lasse das Eigelb weg – fertig. Zudem deuten die zahlreichen Regimentsmischungen darauf hin, dass die Schichtung in Deutschland nichts unbekanntes war. Auch Robert F. Moss führt die Schichtung des Pousse Cafés auf die große Zahl deutscher Einwanderer zurück, die in den USA als Bartender arbeiteten.

Flair-Bartending im 19. Jahrhundert

Schon damals wollten Bartender ihre Kunstfertigkeit zeigen. Flair-Bartending ist keine Erfindung aus jüngster Zeit. Bereits Jerry Thomas wurde in den 1860er Jahren mit seinen Blue Blazer berühmt, für den er eine brennende Flüssigkeit zwischen zwei Bechern hin- und herkippte. Warum also nicht auch die eigene Kunstfertigkeit unter Beweis stellen, indem man verschiedenfarbige Spirituosen und Liköre übereinanderschichtete?

Harry Johnsons Buch „Practisches, Neues und Verbessertes Handbuch für Barkeeper“ aus dem Jahr 1882 lohnt einen Blick. Er ist genauer als Jerry Thomas im Jahr 1862 – der das Rezept für Pousse Café und Knickebein falsch oder unvollständig aufführt. Dem deutschstämmigen Harry Johnson zufolge ist der Pousse ein Lieblingsgetränk nicht nur der Franzosen, sondern auch der Amerikaner, und er schichtet bereits sechs verschiedene Zutaten übereinander. Er verweist auch auf den Ursprung des Pousse Cafés, wenn er schreibt, dieser sei sehr nach einem Mittagsmahl zu empfehlen, oder vorzüglich nach dem Genusse von schwarzem Kaffee – hier zeigt sich wieder sein Ursprung in der französischen Kultur.

Hat Harry Johnson noch mit sechs Zutaten geschichtet, wurde dies im Laufe der Zeit mehr. Man liest von 11 bis 14 Schichten. Auch begannen einige Bartender damit, einen zuoberst geschichteten Brandy anzuzünden. Der Pousse Café war in den USA sogar so beliebt, dass dort im Jahr 1907 ein Patent für eine Pousse-Café-Maschine erteilt wurde, die nach Einwurf einer Münze automatisch einen Pousse Café zubereitete.

Das Verschwinden des Pousse Cafés

Während der Prohibition wurden kaum Pousse Cafés getrunken. Nach deren Beendigung wurde er jedoch wieder zu einer festen Größe in der amerikanischen Bar. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand er jedoch mehr und mehr und wurde bedeutungslos. 1972 kannte man ihn praktisch nicht mehr. Dennoch gab es Orte, an denen er überlebte. Einer davon war die Nick’s Big Train Bar in New Orleans. Dort erlangte Nick Castrogiovanni eine lokale Berühmtheit, denn er schichtete jede Nacht Dutzende Pousse Cafés und er war sogar in der Lage, einen Pousse Café mit 34 Schichten zuzubereiten.

Epilog

Der Pousse Café ist zu unrecht in Vergessenheit geraten. Sicher, er ist in der Regel eine süße Angelegenheit, doch gibt es nicht Gelegenheiten, zu denen man genau das möchte, wie beispielsweise nach einem ein mehrgängiges Menü abschließenden Kaffee, quasi als ein Dessert? Wir sollten uns auch erinnern, dass manche Getränke, die wir heute mischen, ursprünglich Schichtgetränke, also Pousse Cafés waren. Dazu gehören beispielsweise der B&B oder auch der Grasshopper.

Zudem möchte ich eine Lanze brechen für den Knickebein. Sicherlich, er hat es in heutigen Zeiten schwer, denn rohes Eigelb ist für viele einfach zu herausfordernd. Doch geschmacklich lohnt es sich. Ich werde nicht vergessen, wie ich mir aus historischem Interesse einen Golden Slipper zubereitete – eine Schichtung aus gelbem Chartreuse, Eigelb und Danziger Goldwasser. Damals schrieb ich: „Das Goldwasser harmoniert auf wunderbare Weise mit dem gelben Chartreuse. Und dann, am Ende, wenn das Eigelb im Mund aufplatzt und sich der Inhalt mit dem gelben Chartreuse vermengt, bemerkt man erneut, wie perfekt die Aromen zueinanderpassen. … Das, was auf den ersten Blick vielleicht fast schon eklig erscheinen mag und unausgewogen, entpuppt sich manchmal dann doch als ein kleines Juwel, ein meisterhaft komponiertes Getränk. Man darf nicht voreingenommen sein, sondern muss sich ganz bewusst auf manche historischen Gepflogenheiten einlassen, um Neues zu entdecken.“

Und dann, wenn ihr einen Pousse Café oder Knickebein vor Euch habt, und ein wenig Zeit, um darüber zu kontemplieren, erinnert Ihr Euch vielleicht an diese Serie und denkt an den soziokulturellen Hintergrund dieser Getränkekategorien, vom ersten Kaffeegenuß im Jemen, der osmanischen und französischen Kaffeehauskultur, dem Kaffeehaus als Ort der Neuigkeiten, der Wiege des Publizismusses, an dem die Aufklärung entstand und Revolutionsgeschichte geschrieben wurde, an die Salonkultur nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa, die für die Emanzipation der Frau so bedeutend war, an die Geschichte des Likörs und des Zuckers und an die vergangene Allgegenwärtigkeit im vergangenen französischen und deutschen Alltagsleben.

Was für ein geschichtsträchtiges Getränk!

Credits

Foto: Sarah Swante Fischer

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