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Der Pousse L'Amour im Teil 4 der Serie „Die Geschichte des Pousse Café“

Die Geschichte des Pousse Café, Teil 4 – Französische Kaffeehauskultur

Pousse Cafés sind heute weitestgehend vergessen und spielen in der zeitgenössischen Barkultur keine Rolle. Trotzdem sind sie für die Drinks-Historie ebenso wichtig wie der Punch. In unserer zehnteiligen Serie „Die Geschichte des Pousse Café“ widmet sich Armin Zimmermann allumfassend den bunten Schichtgetränken. In Teil 4: Das Aufkommen der französischen Kaffeehauskultur als Wegbereiter.

Wir haben betrachtet, wie die Sitte des Kaffeetrinkens nach Europa kam und wie der Botschafter des Osmanischen Reiches ganz wesentlich dazu beigetragen hatte, Kaffee zu einem Modegetränk werden zu lassen. Infolge dieser Mode entstanden mehr und mehr Kaffeehäuser. Ein guter Grund, sich näher mit der kulturellen Bedeutung dieser Kaffeehäuser zu beschäftigen.

Pousse L'Amour

Zutaten

1/3 Maraschino
1/3 Vanilla (hier: Giffard Vanille de Madagascar)
1/3 Cognac
Eigelb

Der „Pousse L'Amour“ war zur Zeit dieses Textes noch nicht erfunden. Diese Rezeptur entstand dem Werk von Harry Johnson (1882)
Der „Pousse L'Amour“ war zur Zeit dieses Textes noch nicht erfunden. Diese Rezeptur entstand dem Werk von Harry Johnson (1882)

Die ersten Kaffeehäuser

Den Kaffeehäusern kam nicht nur im Osmanischen Reich, sondern auch in Frankreich und Europa eine wichtige soziokulturelle Bedeutung zu.

Die ersten Kaffeehäuser wurden ab Mitte des 17. Jahrhunderts errichtet und verbreiteten sich schnell über Europa. Im Jahr 1700 soll es beispielsweise in England bereits 500 davon gegeben haben. In Paris gab es im Jahr 1715 rund 300 Kaffeehäuser. Unter Ludwig XV., bis 1774 französischer König, stieg ihre Zahl auf rund 600. Ende des 18. Jahrhunderts waren es bereits über 800, um 1830 mehr als 3000.

Die Besucher:innen

Man sagt, die ersten Kaffeehäuser seien im orientalischen Stil gehalten gewesen und hätten sich an die ärmeren Bevölkerungsschichten und an Ausländer gewandt. Ob dies wirklich stimmt, lasse ich einmal dahin gestellt, schließlich war Kaffee zunächst ein teurer Luxus. Es wird wohl eher so gewesen sein, dass es sich um Treffpunkte für den Adel und reiche Bürgerliche handelte und nicht um Spelunken für die Unterschicht. Die Frage danach, wie die ersten Kaffeehäuser eingerichtet waren und wer sie besuchte, lässt sich aber aufgrund der schlechten Quellenlage jedoch schwer beantworten.

Jedenfalls scheint es so gewesen zu sein, dass das Publikum auf den Promenaden und in den Kaffeehäusern gemischt war. Darunter befanden sich Angehörige des Hochadels und Tagelöhner. Vermutlich waren die Hälfte der Kaffeehausbesucher Handwerksmeister, Ladenbesitzer und Angehörige der Elite. Soldaten, Dienerschaft und Tagelöhner machten jeweils um die zehn Prozent aus. Hinzu kamen kleine Handwerker und Arbeiter.

Weiterentwicklung

Die Kaffeehäuser entwickelten sich im Laufe der Zeit weiter. Als die Gäste begannen, dort mehr und mehr Zeit zu verbringen, bot man auch Speisen an. Um noch attraktiver zu sein, entstanden am Anfang des 19. Jahrhunderts sogenannte „café concerts“, in denen Unterhaltung in Form von Liedern, Monologen, Tänzen, kleinen Theaterstücken und Possen für das Mittel- und Kleinbürgertum kostenlos dargeboten wurden. Im Jahr 1850 gab es von diesen Einrichtungen in Paris bereits um die 200, viele davon unter freiem Himmel entlang der Champs-Élysées.

Das Café Procope

Einige Kaffeehäuser in Paris waren besonders beliebt und berühmt. Beispielhaft seien zwei genannt. Das erste ist das Café Procope. Es wurde vom italienischen Edelmann Procopio dei Coltelli, der sich in Frankreich François Procope nannte, im Jahr 1686 eröffnet, nachdem er auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain Kaffee verkauft hatte. Das Café hatte großen Erfolg und zog eine große und angesehene Kundschaft an. François Procope war Limonadier und Destillateur.

Ein Limonadier war ursprünglich jemand, der Limonade herstellte, im weiteren Sinne ist es ein Verkäufer von Limonade und anderen Getränken, insbesondere auch von alkoholischen. Ein Limonadier besaß eine königliche Lizenz für den Verkauf von Gewürzen, Eis, Limonade und anderen Erfrischungsgetränken. Deshalb schenkte man im Café Procope auch Kaffee aus.
Als Destillateur servierte er auch Liköre und andere alkoholische Getränke. Darüber hinaus gab es auch kandierte Früchte und eine weitere Neuheit: Eiscreme. Er servierte zahlreiche Frucht- und Blumeneiscremes und begründete so das „Eiscafé“. Vornehme Damen fuhren mit ihren Kutschen vor, um sich Kaffee auf einem silbernen Tablett bringen zu lassen.

Aufgrund seiner Lage direkt gegenüber der Comédie Française war das Café Procope ein Künstlertreff und auch eine Stätte des politischen Austauschs. In ihm entwickelte sich die französische Aufklärung. Unter den Gästen waren beispielswese Voltaire, Jean-Jacques Rousseau, Denis Diderot, Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, Honoré de Balzac und Victor Hugo.
Das Café Procope spielte auch in der Französischen Revolution eine Rolle, denn dort trafen sich beispielsweise Jean Paul Marat, Maximilien de Robespierre, Georges Danton, Jacques-René Hébert und Camille Desmoulins, um bei Kaffee und alkoholischen Getränken über die aktuelle Situation zu diskutieren. Auch Napoleon Bonaparte nahm daran teil.

Der Palais Royal und das Café de la Régence

Der Palais Royal befindet sich etwa 150 Meter nördlich des Louvres. Rund um den Palastgarten wurde zwischen 1781 und 1784 die Galerie de Bois erbaut. Sie umfasste rund 60 Häuser mit Arkadengängen, Wohnungen, Gastronomiebetrieben und Vergnügungseinrichtungen. Das Pariser Nachtleben konzentrierte sich dort. Mädchen und Frauen aus allen Ständen prostituierten sich dort, die Promenade war in ganz Europa dafür berühmt.

Man konnte aber auch Angehörige des Hochadels treffen. Da das Gelände im Besitz des Herzogs von Orléans war, hatte die Polizei keinen Zutritt, so dass es eine gewisse Versammlungsfreiheit gab. Hier traf man sich, hier rief man zu bewaffnetem Widerstand auf – zwei Tage später war die Bastille gestürmt.

Das Café de la Régence befand sich an diesem Ort und wurde bereits im Jahr 1681 unter dem Namen Café de la Place du Palais Royal eröffnet. Ab 1740 trafen sich dort die Schachspieler von Paris, die sich zuvor im Café Procope getroffen hatten. Schachspielen im Kaffeehaus war etwas, das bereits in orientalischen Kaffeehäusern üblich war. Außerdem spielte man dort das zuvor dem Adel vorbehaltene Billard.

Im Café de la Régence traf sich der Adel, nachdem er dem Hof seine Aufwartung gemacht hatte, aber auch andere bedeutende Persönlichkeiten fanden sich ein. Darunter auch Denis Diderot, der von seiner Frau täglich neun Sous erhielt, um dort Kaffee trinken zu können und an seiner Encyclopédie zu arbeiten.

Auf dem Gelände gab es noch zahlreiche andere Kaffeehäuser, umgeben von zahlreichen Geschäften, war doch der Palais Royal zu jeder Tageszeit ein beliebter Treffpunkt der Gesellschaft. Auch Jahrzehnte später, 1825, war die Situation nicht wesentlich verändert. Ein Reisebericht jener Zeit schildert sie mit den Worten: „Dies ist kein Garten im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern ein längliches Viereck von wenigen Morgen, mit einigen verkrüppelten Bäumen und Gesträuchen, aber durch die Umgebung merkwürdig und daher Versammlungsort aller Müßiggänger; denn auf 3 Seiten derselben laufen unter dem Palast vergitterte Bogengänge herum, hinter denen die Kaufladen und Kaffeehäuser sich befinden, die besonders des Abends bei Erleuchtung den bezauberndsten Anblick gewähren. Die Fülle und Mannichfaltigkeit dessen was hier zum Kauf ausgestellt ist, gewährt Fremden und Einheimischen die angenehmste Unterhaltung; aber da es nun einmal zum Ton gehört, hier zu kaufen, so bezahlt man auch für Alles die höchsten Preise. … Schon früh, d. i. im Sommer um 8 Uhr … . Nach 10 Uhr füllen sich die Cafés mit Einheimischen und Fremden; man liest, hört und verkündigt die Tagesneuigkeiten. … Die Zeit des Diner gegen 5 Uhr führt große Menschenmassen ab und zu, da man bei den Restaurateurs um den höchsten und niedrigsten Preis speisen kann. Mehr noch füllen sich die Räume nach der meist kurzen Mahlzeit, wo Jedermann, besonders in der schönen Rotonda (einem freundlichen, von allen Seiten offenen Pavillion), seine Demitasse und sein Gläschen Liqueur, chasse-café genannt, einnimmt. Am lebhaftesten wird das Palais, wenn am Abend Alles erleuchtet ist und die Schauspiele geendet sind. Dann drängen sich Menschen aller Stände und Alter umher, und die vornehmern und mittlern Classen der Buhldirnen, von denen viele die obern Zimmer und Dachstuben bewohnen, treiben dann ihr Unwesen. Um Mitternacht werden die Thüren der eisernen Gitter geschlossen, welche gegen den Garten zu die Arkaden verbinden, und nun verliert sich allmählig das unruhige Umherwogen.“ – Hier taucht in unserem Bericht erstmals das auf, worum es in dieser Serie geht – eine Tasse Kaffee und ein dazugehöriges Gläschen mit Likör, „chasse-café“ genannt.

Die Rolle der Kaffeehäuser

Kaffeehäuser waren eine politische Institution. Sie popularisierten das Wissen und verbanden Gastlichkeit mit Aufklärung. Dort war es möglich, einen öffentlichen Diskurs zu halten. Das Kaffeehaus führte zur Einführung von Zeitungen und ist deshalb die Wiege der heutigen Printmedien. Dort standen Zeitungen zur Verfügung, die von jedermann gelesen werden konnten. Ohne diese Voraussetzungen wären die Lesemanie des Biedermeiers, die aufkommende Briefkultur und die Lesegesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts undenkbar.

Damit verbunden ist natürlich auch, dass die Kaffeehäuser – wie schon zuvor im Osmanischen Reich – als Orte des Aufruhrs galten. Man versuchte erfolglos sie zu verbieten, nicht nur in Frankreich, sondern auch in England und an anderen Orten. Man sah in ihnen „Brutstätten aufrührerischer Gespräche und verleumderischer Angriffe auf Personen in hohen Positionen.“ Auch waren den Obrigkeiten die Zeitungen ein Dorn im Auge. Man wollte verhindern, dass „alle skandalösen Zeitungen, Bücher und Verleumdungen darin gelesen werden; und jede Person daran … hindern, skandalöse Berichte gegen die Regierung zu verbreiten“.

Kultur der Neuigkeiten

Kaffeehäuser waren Nachrichtenbörsen. Deshalb wurden sie von der Polizei beobachtet. Die pariser Geheimpolizei hatte ihre Spitzel, täglich wurden Berichte verfaßt. Kritik am und Spott über den König wurden tagtäglich ausgesprochen; häufig schritt die Polizei ein. Im Jahr 1749 entschuldigte sich ein Angeklagter mit den Worten „seine Worte wären zwar ein Fehler gewesen, aber kein Staatsverbrechen, eben weil sie in der Atmosphäre des Café Procope geäußert wurden, wo ein jeder so rede.“ Solche Reden wurden von der Polizei geduldet (oder mussten geduldet werden); sie schritt nur bei Mord- und Komplottphantasien ein oder bei Äußerungen, die einen großen Aufruhr hervorriefen.

Jens Ivo Engels beschreibt die Situation treffend: „Die Diskussionsbeiträge zum König waren Teil einer regelrechten Kultur des städtischen Meinungsaustausches. Wohl kann man darin den Ausdruck einer politischen Öffentlichkeit sehen. Aber er war nicht auf Politik beschränkt. Begreifen wir ihn lieber in seiner umfassenden Art als Geselligkeitsform und Gestaltung von Mußestunden. Das Ziel der Gesprächspartner war es weniger, Politik zu machen, als vielmehr Zerstreuung zu finden. Reden über den König oder den Krieg war eingebettet in verschiedene Handlungen vom Genuss der modischen Getränke wie Kaffee oder Likör bis hin zu galanten Spaziergängen unter schattigen Bäumen. Eine Neuigkeit zu wissen, sei es über den König oder die Opernskandale, diente offenbar ebenso wie ein eleganter Auftritt dazu, das Ansehen ihres Überbringers zu erhöhen, um den sich ein Kreis aufmerksamer Zuhörer scharte. So boten die Nachrichten, das Trinken und Wandeln vor allem auch eine Bühne, um Identität oder soziale Beziehungen zu schaffen und zu ‚feiern‘.“ Diese Kultur der Neuigkeiten trug sicherlich wesentlich zum Erfolg der Kaffeehäuser bei.

Fazit

Alle Bevölkerungsschichten besuchten das Kaffeehaus. Es war ein beliebter gesellschaftlicher Treffpunkt. Dort diskutierte man die Ideen der Aufklärung und suchte Zerstreuung, es war Nachrichtenbörse und ein Ort, an dem Zeitungen zu lesen waren, alles eingebettet in den Genuß von Kaffee und Likör. Dies erinnert an den osmanischen Brauch, zum Kaffee auch Süßigkeiten zu reichen.

Der Pousse Café ist nicht nur eng mit der Kaffeehauskultur verbunden; sein zweites Standbein ist der französische Salon, weshalb sich der nächste Beitrag dieser Serie mit der Entwicklung und Bedeutung des Salons beschäftigen wird.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

Comments (2)

  • Thomas Wilsch

    Gibt es die wunderbaren A.-Zimmermann-Stories auch als Buch?

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    • Mixology

      Hallo Thomas,

      nein, leider (noch) nicht.

      Viele Grüße
      // Nils Wrage

      reply

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