Fass und Fassade – Die Top 5 Whisky-Designs aus GSA
Whisky-Designs aus dem deutschsprachigen Raum bringen unseren Designkritiker Iven Sohmann in Pöbellaune. Nicht einmal der Erstplatzierte kommt ohne Seitenhieb aus, aber es gibt auch Lichtblicke. Auf zu einer Reise von Norddeutschland nach Südtirol.
Mann, Mann, Mann, ey. Kurz mal aus dem Schmähkästchen geplaudert: Es ist ja nun wirklich nicht so, dass sich das Top Fünf-Format sonst problemlos auf zehn oder gar zwanzig vorzeigbare Vertreter erweitern ließe. Verpackungsdesign genießt im deutschsprachigen Raum längst nicht den Stellenwert, den es beispielsweise in den USA oder auf den britischen Inseln innehat, und dieser Unterschied wird natürlich umso deutlicher, wenn es heute um Spezialitäten dieser Herkunft geht. Schon klar!
Wenn einen bei der Recherche im Vorfeld aber – wohlgemerkt hauptberufliche – Whiskybrenner darauf hinweisen, dass es ihnen „nur um das Produkt“ und eben „nicht um die Verpackung geht“, dann kann man aus professioneller Sicht nur den Kopf schütteln. O-Ton: „Da bin ich vielleicht etwas altmodisch.“ Das ist nicht altmodisch, das ist nachlässig.
Nach Tolkien, Fitzgerald und May
„Altmodisch“ ist anders, den Whiskymachern aber keinesfalls fremd. Während Marken wie Gilors, Alde Gott und Coillmór sagenhaften Inselvorbildern nacheifern, feiern Whesskey, Brisky und The Nine Springs noch die Roaring Twenties und Tecker, Pfanner und der Ammertalwhisky produzieren indes Kartoffelwestern. In der Regel laufen hier also drei Filme: Herr der Ringe, The Great Gatsby und Winnetou. So muss Whisky halt aussehen. Fack ju Göhte!
Dabei sind die Remakes mitunter gar nicht schlecht gemacht, vor allem, wenn sie nicht im Übereifer zu Crossovern verkommen sind. Ein paar neue Plots, ein bisschen mehr Eigenständigkeit und vor allem etwas mehr Mut wären jedoch wünschenswert. Diesbezüglich geben das Steinzeug von Palatinatus, der stattliche Flachmann von Glina und der schulterfreie Glaskörper von Allgäu Brown zumindest in Sachen Flaschendesign Anlass zur Hoffnung. Insgesamt betrachtet, sind die fünf größten Lichtblicke aus dem deutschsprachigen Raum aber die folgenden.
Platz 5: Slyrs
Angesprochen auf den deutschen Rekordmeister aus Bayern, spaltet sich das Land für gewöhnlich in „Stern des Südens“-Sänger und Möchtegern-Lederhosenauszieher. Anders als beim Fußball, kann bei dem international ausgezeichneten Slyrs-Whisky der gleichnamigen Destillerie aus Oberbayern aber von Bayerndusel, geschweige denn Bayernfusel, keine Rede sein. Insbesondere der Bavarian Single Malt fühlt sich auch visuell im Design-Trophäenschrank zuhause, wenngleich er heute nur als fünfter Sieger vom Platz geht.
Auf dem vielfach veredelten Individualpokal mit Massivsockel prangen der vom Schliersee herrührende Markenname in einer leicht hakeligen, aber edlen Antiqua-Variante und ein über die Alpen springendes Mufflon. Ein Hoheitszeichen im wörtlichsten Sinne. Das alte, da angeknibbelte Bauchetikett wird von einer klassizistischen Antiqua und zwei Script Fonts komplettiert. Die insgesamt vier Schriftarten, acht Markenschriftzüge und sechs Wildschafe auf der Bajuwarenware sind vielleicht zuviel des Guten, an den sortencodierenden Bayernflaggen mit ihren 672 Rauten gibt es aber kein Sattsehen. Obwohl laut Regierung des Freistaats die obere linke Ecke einer Fläche (heraldisch rechts) eigentlich stets mit einer weißen Raute zu besetzen wäre. Okay, das war jetzt wirklich kleinkariert. Schee is scho.
Design: Rüdiger Ertel
Platz 4: Stork Club
Da brenn mir einer einen Storch! Mutig, aber schlüssig fügt sich der Stork Club mit Namensgebung und Keyvisual in die vogelfreundliche Fauna des brandenburgischen Schlepzigs ein. Was die Spreewood Distillers seit der Übernahme der Spreewald-Destillerie 2016 im gemachten Nest ausgebrütet haben, bricht Sehgewohnheiten und Herzen. Vor allem die der Traditionalisten. Ganz sicher nicht im Club: Beatrix.
Hinter der mehrheitlich nüchternen Logotype mit trendigem (?) Ausreiß-R, tanzt der kupferfoliengeprägte Clubber-Storch einen Footwork auf seinem wild ausgeschilderten Stammplatz. Für die einen kunstvolle Bewegungen, für die anderen ein wackliges Unterfangen. Die bodenständige Flasche erdet das selbstklebende und kippelnde Etikett im allerletzten Moment und der dämmernde Farbverlauf auf dem faserreichen, fast samtigen Naturpapier weiß weiter zu besänftigen. Beeindruckend, wie bunt und unbefangen es hier zugeht.
Design: Editienne
Platz 3: Sild
„Ailön Sylt Whisky – Ripet üp weeter“ ist Sölring, ein Dialekt des Nordfriesischen, und bedeutet so viel wie „Whisky der Insel Sylt, gelagert auf Wasser“. Der Markenname des Sild Crannog-Whiskys geht hingegen auf die historische Bezeichnung Sylts und das irische Wort für künstliche Inseln aus Holz und Stein zurück. Bei der Sylt Destillerie liest offensichtlich jemand Wörterbücher. Und schreibt gute Geschichten: Der Whisky lagert an Bord eines ausgedienten Fischkutters, der vor dem nördlichsten Hafen Deutschlands in List ankert und den Reifeprozess dahingehend beeinflusst. True Story.
Das geschichtsträchtige Gewand zeigt entsprechend Erwartbares. Fische, das Schiff, die Topografie Sylts, Siegel und die Signatur des Master Destillers. Mit fühlbar faserigem Naturpapier, aufgedruckter Verwitterung und allerhand technischen Angaben eifert das Bauchetikett ferner dem Original-Schiffbrief des Kutters nach. Weiter oben weht ein per Kordel befestigtes Anhängsel um die holzköpfige Kropfhalsflasche mit Siegeletikett. Das Packaging ist ein randvolles Abenteuer-Kit irgendwo zwischen Kassenbon und Schatzkarte, das kaum ein Detail oder eine Schriftgruppe auslässt. Auch wenn weniger manchmal mehr ist, spürt man das rauhe Küstenklima deutlich. Design gut erzählt, weitersagen!
Design: Rüdiger Ertel
Platz 2: Snow White
„Ho, ho, ho!“ Santa kommt zum Säntis in die Schweiz und beschert der Appenzeller Brauerei Locher ein Weihnachtswunder. Ihr nach dem größten Berg im Alpstein benannter Säntis Malt-Whisky erscheint alljährlich in der limitierten Snow White-Edition und kann sich dann ausnahmsweise mal sehen lassen. Das Packaging der restlichen Produktlinien ist eher Schnee von gestern. Sorry und, äh, frohe Festtage nachträglich!
Wie die komplette Sonderauflage wird auch der Snow White No. 3 in die nach oben leicht konisch zulaufende Flasche mit gewelltem Sockel abgefüllt und von einem Kunststoffkorken unter schneeweißer Schrumpfkappe verschlossen. Ebenfalls schneeweiß erstrahlt der kunstvolle Siebdruck auf der Flaschenfront. Nebst schraffiert-schattierter Dekoschrift, Spruchbändern, Trägerformen, Ornamenten und Pflichtangaben findet sich eine Zwetschgendarstellung, die das Finishing im Vieille Prune-Fass anzeigt. Obwohl der rückseitige EAN-Code die Sicht trübt, ein äußerst gelungener Design-Mix aus kupferstichartigen Illustrationen und Kreidetafel-Handlettering. Bitte weiter brav bleiben!
Design: Sichtwerk
Platz 1: Puni
In Glurns im Vinschgau nahe dem Ortlermassiv in den Südtiroler Alpen liegt die nach dem Punibach benannte Puni Destillerie (ähnlich idyllisch, aber nicht zu verwechseln mit der Punica-Oase). Was der Familienbetrieb sich hier in den italienischen Highlands aufgebaut hat, ist in vielerlei Hinsicht herausragend. Dass der Puni–Whisky der einzige des Landes ist und sich nicht etwa von ungefähr als „The Italian Malt Whisky“ bezeichnet, ist da nur der Anfang.
Das schlanke und kantige Individualgebinde ist eine sextoy-artige Neuinterpretation der Kropfhalsflasche. Obenrum Lack, untenrum nichts, finden sich sämtliche Produktangaben auf einem umlaufenden Hüftetikett, bei dem selbst die Struktur des Naturpapiers an einen Ledergürtel erinnern lässt. Während Metalltöne und – na klar – Shades of Grey die Sorten aufwändig codieren, hätten Typografie und Bildmarke noch ein klein wenig mehr Zuneigung erfahren dürfen. Schon die Detailverliebtheit beim durchgefärbten und in allen Belangen passgenauen Korken samt Metallsiegel lässt darüber aber hinwegsehen. Entschlossen, elegant, einzigartig. Cin Cin und Prost an den Design-Sieger aus Südtirol!
Design: Christian Zanzotti
Solide Adaptionen, gutes Storytelling, gekonnte Stilmixe sowie Neuinterpretationen und echte Wagnisse machen diese Design-Top Fünf zu einer absolut vorzeigbaren Patchworkfamilie. Hut ab, Hand drauf!
Leider ist aber erneut festzustellen, dass selbst den hochgelobtesten Destillaten im deutschsprachigen Raum nicht zwangsläufig auch die gebührende gestalterische Wertschätzung zuteil wird. Ohne die beachtlichen Designleistungen in diesem Ranking trüben zu wollen, in Sachen Packaging verkauft sich einiges unter Wert. Hans Reisetbauer, der aktuelle Gewinner in der Whisky-Kategorie des MIXOLOGY TASTE FORUMS, sei von dieser Kritik aber ausdrücklich ausgenommen. Markenstrategisch stehen hier weniger die einzelnen Produktlinien als das Unternehmen als ganzes im Vordergrund. Auch von diesem Ansatz dürfen sich andere übrigens gerne ein paar Etiketten abschneiden.
Whisky-Design ist keine Deko
Bestenfalls spiegelt das Verpackungsdesign die Philosophie und Motivation des Herstellers, die erlesenen Zutaten sowie den sorgfältigen Fertigungsprozess des Erzeugnisses wider. Das darf man insbesondere bei einem Destillat, das mindestens drei Jahre fassgelagert wurde und für das entsprechende Preise aufgerufen werden, allemal erwarten. Zumindest wenn die Brennkunst professionell und nicht nur als Hobby betrieben wird. Im privaten Kreis kann natürlich jeder die Joghurtdeckel vor seinen Gästen rauf- und runterkratzen, der Hummer für zahlende Kundschaft wird aber bitte nicht auf der Pommesschale präsentiert! So platt es klingt: Das Auge isst und trinkt mit.
Credits
Foto: Collage von Tim Klöcker