Dominik M. Falger im Interview: „Ich habe mich davon freigemacht, Angst zu haben.“
Wer seine Bar nach dem vielleicht trinfreudigsten, in jedem Fall barkulturell wichtigsten New Yorker Rechtsanwalt benennt und jede Woche endlose Stunden für klare Eiswürfel aufwendet, hat eine Bar-Leidenschaft, die sich so nur selten findet. Seit inzwischen über sechs Jahren betreibt Dominik M. Falger seine Embury Bar in Frankfurt. Höchste Zeit für einen Lokaltermin.
MIXOLOGY: Lieber Dominik, ich habe Dich um einen Drink gebeten, den Du als repräsentativ für die Embury Bar erachtest. Was trinken wir und inwiefern ist er typisch für Deine Bar?
Dominik Falger: Wir trinken einen „Doctor Strange“, einen unserer Signatures: Batavia Arrack, Swedish Punch, hausgemachter Parakresse-Likör, Earl-Grey-Shrub, Sandelholztinktur, Chocolate Bitters. Die Embury Bar ist ein zeitloses, klassisches Barkonzept, ein Ort, der unabhängig von Trends sein soll. Wenn man sich mit klassischen Drinks auseinandersetzt, stolpert man zwangsläufig auch über Drinks mit Batavia Arrack. Wir listen einerseits Klassiker auf der Karte, andererseits Drinks, die zwar der Klassik folgen, aber dennoch from scratch von uns ausgearbeitet wurden. Punches, als Vorläufer des Cocktails, gehören für uns in dieser Überlegung dazu. Wir wollten etwas abseits von Rack Punch, Ruby Punch oder Bills Dawson Punch anbieten.
MIXOLOGY: Also weniger ein Drink, der so auch in David Emburys Buch zu finden sein könnte.
Dominik Falger: Stimmt, vielleicht einmal abgesehen davon, dass er ebenfalls ziemlich spirit forward ist. Embury ist der Namenspatron dieser Bar, weil er in meiner eigenen professionellen Biografie eine große Rolle gespielt hat. Während meiner Hotelfachausbildung bin ich auf sein Buch gestoßen. Da es keinen Reprint gab, kaufte ich eine Erstausgabe des Buchs antiquarisch für 256,92 Doller. Aus heutiger Sicht ein Schnapper, damals war das für mich sehr viel Geld. Meine erste Bar-Buch-Rarität! Es hat mich seitdem immer begleitet und ich habe es immer wieder zur Hand genommen. Ich fand, dass Embury ein schöner Name für eine Bar wäre, einprägsam und einer, der auch für jemanden gut funktioniert, der nicht weiß, wer Embury war. Als ich irgendwann um 2012 herum recherchierte, fand ich heraus, dass es noch keine Bar unter diesem Namen gab. Da ließ ich mir die Namensrechte für Europa sichern.
»Eine klassische Bar zu betreiben, dabei aber dennoch eine Zentrifuge, Sous Vide oder Soxhlet-Extraktion anzuwenden, ist für uns kein Widerspruch. Wir kommunizieren das aber nicht oft nach außen, zumindest nicht, wenn niemand fragt.«
— Dominik M. Falger
MIXOLOGY: Es geht also in erster Linie nicht um Emburys Auffassung, wie ein Drink zubereitet werden sollte? Man denke an seine Schlüsseldrinks und 8-2-1-Rezepturen.
Dominik Falger: Vor allem geht es darum, jedem Gast eine gute Zeit zu bereiten. Egal, ob mit einem Cocktail, einem Highball, einer Spirituose oder einem Glas Champagner. Embury ist ja auch niemals ein Bartender gewesen, sondern jemand, der einfach gerne gut getrunken hat. Jemand mit einem Qualitätsanspruch; und zwar bereits 1948. The Fine Art of Mixing Drinks verstehe ich als ein Buch, das die Drinks aus der Mitte der Zwanziger- bis in die späten Vierzigerjahre zusammenfasst. Und dabei einen Qualitätsanspruch etabliert hat.
MIXOLOGY: Qualität spielt eine übergeordnete Rolle bei Euch.
Dominik Falger: Wer als Bar lange bestehen möchte, muss qualitativ hochwertig arbeiten. Das kann ich als Inhaber selbst bestimmen. Es ist meine Aufgabe als Betreiber, diesen Anspruch in die Wirtschaftlichkeit zu transportieren, so dass es im regulären Barbetrieb umsetzbar ist. Diese Bar ist, auch wenn es nicht geplant war, ein Stück weit zu einer High-Volume-Bar geworden.
MIXOLOGY: Wie begegnet Ihr dem?
Dominik Falger: Erstens haben wir eine Klingel installiert. Außerdem wenden wir moderne Techniken auch in der Vorbereitung an, um abends schneller am Gast sein zu können. Eine klassische Bar zu betreiben, dabei aber dennoch eine Zentrifuge, Sous Vide oder Soxhlet-Extraktion anzuwenden, ist für uns kein Widerspruch. Wir kommunizieren das aber nicht oft nach außen, zumindest nicht, wenn niemand fragt. Mir geht es nicht darum, alles selbst zu machen, aber wenn es eine Zutat nicht in für uns zufriedenstellender und bezahlbarer Qualität gibt, stellen wir sie lieber selbst her. Etwa unseren Falernum oder einen Kaffeelikör und ein Vodka-Re-Destillat für unseren Espresso Martini, der für sich selbst spricht – wir verkaufen pro Jahr über 3.700 davon.
»Das Projekt, eigene Block-Maker fertigen zu lassen und zu verkaufen entstand, als mir klar wurde, dass ein Import aus den USA und ein anschließender nötiger Umbau der Geräte zu teuer gewesen wäre. Dann habe ich es halt selbst gemacht.«
— Dominik M. Falger
MIXOLOGY: Du bist bekannt – das behaupte ich einfach mal – für klares Eis. Wie kam es dazu?
Dominik Falger: Mir war immer klar, dass ich, wenn ich irgendwann einmal eine eigene Bar haben sollte, nur klares Eis verwenden möchte. Im Dutch Kills in New York ging das ja bereits 2008 auch. Mir gefiel das immer, nicht nur des optischen Aspekts wegen. Das wird auch zu oft vergessen: Viele Gäste sagen mir, unser Eis sei so schön. Ich antworte dann immer, dass das ein netter Nebeneffekt ist, aber nicht der Grund, warum wir das machen. Es geht darum, dass der Drink am Ende der Zubereitung on point ist und diesen Zustand möglichst lange halten können soll. Optik ist dabei lediglich ein netter Nebeneffekt.
MIXOLOGY: Und da es in Frankfurt keine Möglichkeit gab, Eis, das Deinen Qualitätsvorstellungen entsprach, zu kaufen, sahst Du Dich gezwungen, es selbst herzustellen?
Dominik Falger: Clear Ice ist teuer in der Herstellung. Es zu produzieren kostet wahnsinnig viel Manpower und Energie. Das ist einer der Gründe, warum ein Drink bei uns vielleicht etwas mehr kostet. Der Aufwand ist immens, und ganz ehrlich: wenn ich an den Bedarf denke, den wir hier mittlerweile haben, und an die Zeit, die wir in die Produktion investieren – ich würde es auch kaufen, wenn ich könnte!
MIXOLOGY: Kannst Du aber nicht. Dafür vertreibst Du Deine eigenen Ice-Block-Maker auch an andere Bars.
Dominik Falger: Das Projekt, eigene Block-Maker fertigen zu lassen und zu verkaufen entstand, als mir klar wurde, dass ein Import aus den USA und ein anschließender nötiger Umbau der Geräte zu teuer gewesen wäre. Dann habe ich es halt selbst gemacht. In Frankfurt schien mir das möglich, da wir hier viele Gäste haben, die gerne für gute Qualität bezahlen, die viel in der Welt unterwegs sind und es schätzen, wenn man die Extrameile geht. Es kommen immer wieder Anfragen für Block-Maker, aber klar: Es ist teuer, damit zu arbeiten. Ein eigenes Eisprogramm in der Bar zu haben, ist ein Luxus, den sich nicht alle leisten können, und viele, die es vielleicht könnten, sich nicht leisten wollen, weil sie den Benefit dahinter nicht verstehen.
»Viele haben mir gesagt, eine Bar mit einer solchen Auswahl würde nicht funktionieren. Andererseits denke ich: Wenn man etwas nicht hat, wird es natürlich auch nicht bestellt.«
— Dominik M. Falger
MIXOLOGY: Du willst es Dir leisten. Dabei nimmst Du Zahlen und Controlling sehr ernst. Beispielsweise kalkulierst Du Deinen immensen Stromverbrauch und dessen Kosten, die durch die Eisproduktion entstehen, akribisch. Ich vermute, Du könntest mir aus dem Stehgreif exakt sagen, wieviel gegenwärtig eine Kilowattstunde Strom kostet.
Dominik Falger: Klar. Ich glaube, das ist der Schlüssel zum Erfolg – dass man dahingehend seine Hausaufgaben macht. Ich habe natürlich den Luxus, dass ich diese Bar elf Jahre geplant und in dieser Zeit einerseits Flaschen, andererseits Geld zusammengetragen habe, weil mir klar war, dass diese Unternehmung Geld kosten würde. Ich habe einen Abschluss in Rechnungswesen. Kontieren, bilanzieren, das waren natürlich klassischerweise Prüfungsthemen. Ich habe deswegen etwas buchhalterische Kenntnis und ich denke schon, dass gesundes Wirtschaften das A und O ist. Positive gearing ist das Stichwort. Nur weil etwas einen Haufen Umsatz bringt, heißt das nun einmal nicht, dass es auch Marge hat. Eine gesunde Mischung ist wichtig. Es geht nicht nur darum zu wissen, wieviel etwas kostet. Manchmal geht es auch darum, Dinge zu machen, die vielleicht nicht wirtschaftlich erscheinen, dem Laden aber trotzdem guttun.
MIXOLOGY: Zum Beispiel, eine Spirituosensammlung anzubieten, die vermutlich zu den imposantesten im deutschsprachigen Raum gehört? Mindestens was Scotch, American Whiskey und Tequila angeht?
Dominik Falger: Ich wollte immer eine Bar machen, die vor allem Whisky auf einen anderen Level hebt. Ich weiß auch, dass da einige drüber schmunzeln. Viele haben mir gesagt, eine Bar mit einer solchen Auswahl würde nicht funktionieren. Andererseits denke ich: Wenn man etwas nicht hat, wird es natürlich auch nicht bestellt. Wir gehen in unser siebtes Jahr. Dass hochpreisige Spirituosen auch glasweise nicht so oft bestellt werden wie erschwinglichere Produkte ist doch jedem klar. Nur in Prozenten betrachtet sind solche Flaschen natürlich, was den Wareneinsatz angeht, der KO. Jeder Steuerberater, der sich nicht näher mit der Materie auseinandersetzt, wird Dir sagen, Du spinnst. Die Marge kann aber dennoch sehr interessant sein. Wenn bei einem Glas 150 Euro netto hängen bleiben, denke ich mir: Dafür müssen wir ziemlich viele Daiquiris zubereiten.
MIXOLOGY: Trotzdem muss man das wollen…
Dominik Falger: Eine Mischkalkulation macht es möglich. Dazu kommt noch der hässliche Punkt, dass das Bereithalten solcher Spirituosen wahnsinnig viel Geld frisst. Ich glaube aber, dass man Risiken minimieren kann, indem man den Spagat zwischen Klassik und Innovation macht und so ein etwas breiteres Publikum anspricht. Sicher haben wir einen price tag. Das liegt aber auch an den guten Löhnen, die wir in unserer Bar für unseren Mitarbeitern zahlen. Leute, auf die ich mich verlassen kann. Das musste ich auch erst lernen. Viele haben noch das Bild von Dominik im Kopf, wie er mit Anfang Zwanzig war, das hängt mir manchmal immer noch nach. Ich war glaube ich mal strenger, heute bin ich dafür etwas cleverer.
MIXOLOGY: Was hast Du geändert?
Dominik Falger: Ich habe mich davon freigemacht, Angst zu haben, dass der eine oder andere Gast vielleicht nicht mehr kommt, wenn ich die Preise anhebe. Oder dass das ganze Konzept dann nicht mehr funktioniert. Wenn Du ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis anbietest, bist Du über die allermeisten Zweifel erhaben. Dann wirst Du immer eine Klientel finden. Sicher verlierst Du einen Teil Deiner Stammgäste, wenn Du dazu gezwungen bist, die Preise deutlich anzuheben, etwa wegen gestiegener Löhne und Energiekosten. Und zwar den Teil, den Du ohnehin nicht haben willst, nämlich die Leute, die immer das Beste haben wollen, bei denen es aber nichts kosten darf! Wenn man sich davon frei macht, schafft man Raum für neue Gäste. Und zu uns kommen auch nach sieben Jahren immer wieder Leute, die zum ersten Mal bei uns zu Gast sind. Gefühlt wechselt dein Publikum in Frankfurt auch großenteils alle 18 bis 24 Monate – bei fast sechs Millionen Einwohnern im Rhein-Main-Gebiet kein Problem.
»Je mehr ich über Spirituosen lerne, desto mehr stelle ich fest, was ich alles nicht weiß. Das ist ja das Schöne an unserem Beruf: Wir hören nie auf zu lernen«
— Dominik M. Falger
MIXOLOGY: Steter Wandel gehört für Dich dazu?
Dominik Falger: Ich glaube, es ist wichtig, seiner DNA treu zu bleiben. Wir bieten viele Dinge an für ein paar Leute, wir bieten allerdings auch für viele Leute nichts an. Aber das ist okay, wir haben nur 45 Sitzplätze. Und solange wir am Wochenende Gäste wegschicken müssen, machen wir anscheinend ein paar Sachen mehr oder minder richtig. Und dennoch müssen wir uns immer hinterfragen, und zwar konsequent: Ist das, was wir machen, immer noch richtig? Stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis nach wie vor? Sind wir am Puls der Zeit? Wir rennen nicht jedem Trend hinterher, aber wir haben im Laufe der Jahre gelernt, dass gewisse Dinge einfach funktionieren. So verfeinert man permanent. Und das macht auch Spaß.
MIXOLOGY: Und das hört auch nie auf, oder?
Dominik Falger: Nie, wir sind noch nicht fertig hier, im Gegenteil! Je mehr ich über Spirituosen lerne, desto mehr stelle ich fest, was ich alles nicht weiß. Das ist ja das Schöne an unserem Beruf: Wir hören nie auf zu lernen.
MIXOLOGY: Wie lange bleibst Du hier? Wirst Du hier alt?
Dominik Falger: Ich sage mal vorsichtig: Wir sind auf jeden Fall noch eine Dekade da. So lange läuft erst einmal noch der Mietvertrag. Und so lange werde ich auf jeden Fall auch operativ mitarbeiten. Vielleicht ein bisschen weniger irgendwann. Die eigentliche Währung sind nämlich nicht Euro oder Dollar, sondern Zeit. Davon haben wir Konto X und das wird jeden Tag kleiner. Deshalb muss man sich davon frei machen, ums Verrecken jeden Euro mitnehmen zu wollen. Es geht darum, dass man sein Leben mit schönen Momenten füllt. Unser Motto lautet It’s all about having a pleasant time – und das gilt nicht nur in der Embury Bar.
MIXOLOGY: Lieber Dominik, wir danken Dir herzlich für das Interview.
Dieses Interview wurde erstmals in der Print-Ausgabe 3-2023 von MIXOLOGY veröffentlicht. Für diese Wiederveröffentlichung auf der Website wurde es formal adaptiert, inhaltlich aber nicht verändert. Information zur Bestellung eines Einzelheftes finden Sie hier.
Credits
Foto: Michael Krug