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“I´m the guy before the Bartender!”

Was Don Livermore damit meint und warum Brenner auch Brauer sind, erklärt der Master Blender bei Corby auf eindrucksvolle Art und Weise. Für den ausgebildeten Mikrobiologen beginnt die Spirituose nämlich bei der der Hefe und der Fassvielfalt. MIXOLOGY ONLINE im Gespräch mit einem Mann, dessen Leidenschaft für Whisky nicht ehrlicher und beeindruckender sein könnte.

Don Livermore ist Master Blender beim kanadischen Whisky-Riesen Corby. Damit hat der hochgewachsene Mann mit dem länglichen Gesicht nicht nur die letztendliche Kontrolle über die Whiskys etwa der Marken Wiser’s, Pike Creek oder Lot 40, die seit Kurzem in Deutschland über Borco Marken Import distribuiert werden. Nein, Livermore ist nicht einfach nur Brenner und Blender, sondern gleichfalls Mikrobiologe und ein unaufhaltsamer Forscher. Manche würden ihn als “Geek“ bezeichnen, doch damit wird man diesem hageren, ruhigen Mann nicht gerecht. Ein Gesprächsausschnitt aus der Unterhaltung mit einem Mann, für den Whisky ein lebendiger Prozess ist. Und der bei aller Akribie niemals den Bartender aus den Augen verliert.

Mr. Livermore, sowohl kanadischer Whisky als auch Sie selbst sind im deutschsprachigen Raum noch wenig bekannt. Können Sie und kurz erklären, für wen Sie arbeiten und was genau Sie dort tun?

Ich arbeite seit über 20 Jahren für eine der größten Destillerien Nordamerikas, Hiram Walker bzw. Corby Spirit im südlichen Ontario. Tatsächlich ist das sogar südlicher als Detroit, das zu den USA gehört. Unser Heimatort – Windsor, Ontario – liegt direkt auf der anderen Seite des Detroit River und gehört zu Kanada. In so einer langen Zeit entsteht natürlich eine lange Bindung an das Unternehmen – erst Recht, seit ich der Master Blender für alle Marken aus dem Hause bin. Angefangen habe ich seinerzeit in meiner eigentlichen Profession, als Mikrobiologe.

Sie kommen also ursprünglich nicht aus dem Brennerhandwerk?

Nein, meinen ersten Abschluss habe ich als Mikrobiologe gemacht. Später habe ich dann noch den Master in Destillierwissenschaften abgelegt, später kam der Doktorgrad hinzu. Tatsächlich gibt es kaum promovierte Destillateure, die im Bereich Blending tätig sind. Ich weiß nur noch von einem anderen. Ich selbst bezeichne mich da immer eher als „the guy before the bartender“.

Wie ist das zu verstehen?

Damit meine ich im Prinzip, dass es auch in meinem Beruf doch darum geht, womit sich auch Bartender täglich in ihrer Arbeit auseinandersetzen: um Aromen, Geschmäcker, Texturen. Eine wissenschaftliche Herangehensweise kann da hilfreich sein, am Ende geht es aber um sinnlich Erfahrbares. Und da haben wir als kanadische Hersteller sehr liberale Gestaltungsmöglichkeiten.

Besonders im Vergleich zu den Berufsgenossen aus den Vereinigten Staaten, meinen Sie?

Ja, unter anderem. Für kanadischen Whisky gibt es weitaus weniger Restriktionen als für jenen aus den USA: Der abgefüllte Whisky muss 40% Vol. aufweisen, darf nicht aus ungemälztem Getreide bestehen und muss in Kanada fermentiert, destilliert und gelagert worden sein. Gelagert werden muss der Brand mindestens drei Jahre in, das ist der springende Punkt, hölzernen Fässern!

Einfach nur „Holz“?

Exakt! Unsere Vorschrift sagt eben nicht „Eiche“, sondern „Holz“ – einzig, dass das Fass nicht größer sein darf als 700 Liter, kommt als Regel noch hinzu. Wir nutzen viele US-Bourbon-Fässer, die in der Regel rund 190 Liter haben. Aber eben nicht nur.

Das sind am Ende aber doch schon eine Menge Vorschriften…

… schon, aber ein wichtiger Punkt fehlt ja noch. In den USA ist beispielsweise die „Mash Bill“ ein zentraler Punkt: Der Brenner legt bereits vor der Fermentation fest, welche Getreide in einem ganz spezifischen Verhältnis die Basis für einen Whiskey liefern. In Kanada gehen wir eher einen Weg, der ein bisschen dem Verfahren etwa jenem des Cognacs ähnelt.

Sie meinen den Gedanken des Blendings?

Ja. Bei uns ist es vielmehr üblich, anstatt einer Mash Bill eher einzelne Destillate aus Roggen-, Mais-, Weizen- und Gerstenmalz zu produzieren. Diese Brände werden dann auch einzeln gereift – und am Ende steht das Blending, die Destillate werden als einzelne Bestandteile zusammengeführt und ergeben ein stimmiges Produkt. Das ist – wohlgemerkt – keine Vorschrift. Beide Verfahren, auch jenes mit einer Mash Bill, ist gestattet. Das meine ich mit „liberal“ und auch mit „guy before the bartender“: Ich kann am Ende entscheiden, welchen Geschmack wir welcher unserer Marken geben – nussig, pikant, fruchtig. Mit einer Mash Bill könnte ich das nicht. Durch das Spiel mit Hölzern und einzelnen Destillaten aber sind die Möglichkeiten immens. Diese Idee kam vor allem durch J.P. Wiser, den Gründer der heute in Kanada populärsten Whisky-Marke. Dem Blender, mir, gibt diese Herangehensweise fast das Gefühl, eine Art Dirigent der Aromen zu sein. Eben wie ein Bartender.

Kommen wir auf den nächsten wichtigen Punkt zu sprechen: das Holz. Sie dürfen im Prinzip alles benutzen,  aber natürlich eignet sich nicht jedes Holz für Reifung oder Finishing. Wie „frei“ ist man am Ende wirklich? Schließlich sagten Sie bereits, dass Sie trotz der Freiheiten in Bezug auf Holz vornehmlich auf ehemalige Bourbonfässer, also gebrauchte, getoastete Weißeiche, zurückgreifen.

Eine gute Frage: Wir könnten z.B. mit Ahorn arbeiten, erst Recht als Kanadier (lacht). Im Gegensatz zu Eiche etwa verhält sich aber Ahorn nachteilig, was die Dichtigkeit des Fasses angeht – Ahornfässer fangen schnell an, zu lecken, sie sind weniger kompakt. Nach ungefähr einem Monat wäre ein typisches Ahornfass leer! Was ich aber darf, ist, Ahornchips mit in den Reifeprozess zu geben. So kann ich die Vorzüge der schönen Aromatik übernehmen. Das ist erlaubt, solange die eigentliche Lagerung auch in einem Holzfass erfolgt.

Interessante Versuche haben wir mit Roteiche unternommen, die eine frische, ätherische Zedernnote in den Whisky einbrachte – fast ein klein wenig wie ein gelagerter Gin. Ansonsten geht es oft ums Finishing: Unser zehnjähriger Pine Creek erhält sein Finish in karibischen Rumfässern, das gibt ihm die entscheidende Richtung. Das ist nur ein Beispiel von vielen – aber unsere US-Kollegen dürfen all das leider nicht.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen mancher Kenner, wenn es um die angeblichen Zucker- und Aromazusätze in kanadischen Whiskys geht?

Es gibt leider viel Unwissen bzw. Halbwissen über kanadischen Whisky. Tatsache ist: In alles, was als „Whisky“ verkauft wird, dürfen wir nichts zusätzliches hineingeben – keinen Zucker, kein Karamell, auch nicht Dinge wie Sherry, Süßwein oder Saft. Wir dürfen nicht mal mit Zuckerkulör färben, so wie unsere schottischen Kollegen. Dieser Irrglaube resultiert aus der in Kanada beliebten Kategorie des „Flavoured Whisky“, aber das ist eine andere Geschichte. Solange wir von Whisky im eigentlichen Sinne sprechen, ist das nicht zulässig. Das fertige Produkt hat alles, was es hat, nur aus der Basis, der Fermentation, dem Brennvorgang, der Lagerung und dem Wasser, mit der es auf Trinkstärke gebracht wird. Wie sonst auch überall.

Ihr „Lieblingsthema“ jedoch, in dem sich auch der Mikrobiologe wieder zeigt, haben wir uns für den Schluss aufgehoben. In der Bar- und Whiskyszene erhalten zwei Aspekte, die wir eben  besprochen haben, sehr große Aufmerksamkeit: die Getreidebasis und das Holz. Das Thema Holz erhält überdies durch die anhaltende Begeisterung des eigenen Ageing von Cocktails große Beachtung. Doch im Prinzip steht ja am Beginn jeder Spirituose noch eine dritte Komponente, über die nur sehr, sehr selten gesprochen wird.

So ist es. Es gibt eigentlich nur drei Komponenten, die eine Spirituose bestimmen. Die erste ist die Basis, die letzte ist das Holz. Mein großes Interesse – und daran hat sich bis heute nur wenig geändert – galt dem Anfang allen Alkohols und damit der zweiten Komponente: der Hefe.

Kein Bartender spricht über Hefe…

… ich weiß, das tun auch sonst nicht viele, das ist nicht nur bei Bartendern so. Ich bin ja auch Mikrobiologe (lacht)!

Ist denn die Hefe ein ebenso ausschlaggebender Faktor wie beispielsweise die Wahl, ob ich Roggen oder Mais verwende?

Ja, unbedingt! Traurigerweise wissen viele Menschen nicht nur nicht, wie wichtig die Hefe für den Geschmack ist – sie wissen nicht einmal, dass für Alkohol überhaupt Hefe notwendig ist! Aber ich kann das auch verstehen: Es klingt nun wahrlich nicht sexy, den Hefe-Typ auf eine Flasche zu schreiben (schmunzelt). Dinge wie „12 Years in Oak Barrels“ oder „Made of 100% Rye“ lesen sich da wesentlich attraktiver. Das liegt daran, dass Menschen sich von Holz und Getreide, aber auch von so etwas Abstraktem wie der Reifung für viele Jahre ein Bild machen können. Es entsteht eine emotionale Regung. Hefe kann das nicht, weil die Leute im Prinzip keinerlei Vorstellung von ihr haben. Das haben nur so komische Vögel wie ich.

Was genau kann denn die Hefe, abgesehen davon, dass sie Zucker in Alkohol umwandelt?

Ganz einfach: Sie beeinflusst in erheblichem Maße den Geschmack. Wir haben hier bei Corby ein eigenes Forschungslabor für Hefe, in dem ich zu Beginn gearbeitet habe, bevor ich ins Blending wechselte. Hefe kann grundsätzlich zu fünf verschiedenen Geschmäckern führen: fruchtig, blumig, grünes Gras, seifig oder schwefelig. Und das müssen sich meine Kollegen und ich immer wieder ins Gedächtnis rufen: Wir sind nicht nur Brenner, wir sind Brauer und Brenner. Kein Alkohol ohne Fermentation.

Ist dann das Geschmacksbild in dem Moment definiert, wenn die Hefe ausgewählt ist und die Gärung beginnt?

Nein, mit der Auswahl bestimme ich nur die grobe Richtung. Wenn ich aber Getreide fermentiere, dann kann und muss ich mit der Hefe arbeiten, auf sie Rücksicht nehmen, vielleicht gar mit ihr spielen. Ein Beispiel: Wenn ich im Gärprozess den Stickstoffanteil erhöhe, reagiert die Hefe, indem sie mehr Esther produziert. Das Ferment wird fruchtiger. Gebe ich Wasser hinzu, ändert sich die Konzentration an Zucker und damit die Geschwindigkeit, mit der die Hefe arbeitet. Auch das schlägt sich im Aroma nieder. Nicht zu vergessen die Temperatur, die ebenfalls einen wichtigen Einfluss nimmt. Bierbrauer haben da aus guten Gründen einen viel näheren Bezug zu. Weil ihr Produkt nicht durch Destillation weiterverarbeitet wird.

Wie kommt es dann, dass z.B. auf Bartender-Seite so wenig darüber gesprochen wird? Wenn doch das Thema etwa bei Bier-Aficionados prominenter ist?

Ich glaube, das Thema ist, wie oben angedeutet, in der Kommunikation sehr eigenwillig. Mit so etwas wie Hefe kann man im Regelfall nicht werben. Ich habe einen tiefgefrorenen Hefestamm, der vom Anfang des 20. Jahrhunderts stammt, als der kanadische Whisky in seiner heutigen Art entstand. Ich habe es auch geschafft, dass er wächst, und vielleicht machen wir auf Basis dessen eine Art Sonderabfüllung. Aber selbst in so einem Fall kann ich mir nicht vorstellen, dass die Hefe dann etwas ist, womit man offensiv wirbt.

Sie denken nicht, dass sich das ändert?

Nein, da bin ich realistisch. Was ich mir vorstellen könnte ist Folgendes: Brenner können sich an Bartender wenden und ihnen mehr Details über diese Aspekte erläutern, also wie sich die gewählte Hefe auch noch im fertigen Brand niederschlägt, oder warum ich aus einer Getreidesorte bei gleichem Brennverfahren und identischem Fass zwei grundverschiedene Whiskys machen kann. Aber ich bin auch nüchtern genug, um zu wissen, dass das Expertenwissen ist, das wohl nur wenige Verbraucher interessiert. Es liegt dann am Bartender, dieses Wissen, das wir ihm geben, für den Gast zu übersetzen: Den Gast interessiert vielleicht nicht der Hefestamm, aber der überraschend fruchtige Geschmack des Rye interessiert ihn. Das meine ich. Damit sind wir auch wieder am Anfang. Ich bin nicht nur Brauer und Brenner. Ich bin eben auch immer irgendwie „the guy before the bartender“.

Mr Livermore, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.

Credits

Foto: Foto via Don Livermore. Post: Tim Klöcker.

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