From Destillery to Drink: Das Drilling in Hamburg
Thorsten Frerichs und Leonard Orosz betreiben in ihrer Café-Bar Drilling Hamburgs erste Verschlussbrennerei seit fast 40 Jahren. Hier wird hinten gebrannt, was vorne an den Tresen kommt. Wir haben uns das mutige Vorhaben genauer angesehen.
»In der ehemaligen Marzipan-Fabrik in Hamburg Altona brennt’s. Nicht nur weil hier, unweit des angesagten Viertels Ottensen, ein neues Quartier entsteht, das Büro und Gewerbe ein szenig-frisches Umfeld irgendwo zwischen Tradition und routinierter Moderne bieten soll. Nein, hier brennt’s vor allem deswegen, weil in dem backsteinroten Industriebau Hamburgs einzige Verschlussbrennerei steht.«
„Die erste seit fast 40 Jahren“, sagt Thorsten Frerichs. „Das war für die Hamburger Behörden ein vollkommen neuer Vorgang, ich glaube, bei der Umsetzung und Genehmigung dieses Projekts waren so ziemlich alle Ämter dieser Stadt beteiligt.“ Vor allem natürlich der Zoll, denn die neue Anlage ist während des Herstellungsprozesses vollständig unter zollbehördlichem Verschluss. Daher auch der Name.
Nun steht sie hier im „Drilling“, vom Zoll verplombt und doppelt ummantelt. Ein prominenter, sechsstelliger Betrag aus Kupfer und Edelstahl. „Arnold Holstein“ steht neben dem Mannloch. Den genauen Preis dieses schmucken Geräts möchte Frerichs nicht nennen. Nur soviel. „Ich war drei Mal bei ausgewählten Herstellern von Brennanlagen, habe unsere Pläne vorgelegt. Am Ende zeigte sich, dass Arnold Holstein zwar zu den teureren Anbietern zählte, aber für unsere Pläne einfach am besten geeignet ist. Weil die Anlage flexibel einsetzbar ist.“
»Wie viele gute Bar-Projekte scheitern am schnöden Mammon? Zu viele. Thorsten Frerichs auf jeden Fall legte bei seiner Bar unweit der Hamburger Kiezmeile von Beginn an Wert auf die eigene Handschrift.«
Zum Kult gehört die eigene Spirituose
Die Pläne, die sind groß. Waren sie schon immer, schon damals, als Frerichs ins clockers einstieg und die Feier-Bar mit aufbaute. 2014 war das. Vom Kaufmann und Finanzberater zum Bar-Inhaber, diese Entwicklung muss man erst mal hinlegen.
Obwohl, Geld ist ein neuralgischer Punkt. Wie viele gute Bar-Projekte scheitern am schnöden Mammon? Zu viele. Thorsten Frerichs auf jeden Fall legte bei seiner Bar unweit der Hamburger Kiezmeile von Beginn an Wert auf die eigene Handschrift – und war sich in diesem Punkt mit Leonard Orosz, seinem Bar-Chef, absolut einig. Ein eigener, gebrandeter Gin und ein Kräuterlikör mussten her. Und Leo, der Mann fürs Sensorische, der seit 20 Jahren die Kunst der gehobenen Trinkkultur betreibt, entwickelte smarte Drinks und Cocktails, die der kleinen Bar einen Kultstatus über die Stadtgrenzen hinaus verliehen.
Drilling: Spirituosen statt Marzipan
Das hätte so weiterlaufen können. Aber wir erinnern uns: Die Pläne sind groß. Und größer. Genauer gesagt: 400 Quadratmeter groß und mit über vier Meter hohen Decken versehen. So großzügig sind die Drilling-Räumlichkeiten in Altona.
Früher, Ende des 19. Jahrhunderts, war hier die weltgrößte Dampf-Marzipanfabrik beheimatet. Der rund 20 Meter in die Höhe ragende Industrieschornstein direkt vor dem Eingang zeugt noch von dieser Zeit. Jetzt befindet sich hier die Dreifaltigkeit des Genusses: Café, Bar und Destillerie. „Location statt Lage“, bringt Frerichs es auf den Punkt. „Eigentlich ein Killer im Barbetrieb. Wir haben hier keine Laufkundschaft. Aber wir brauchten Platz für die Brennanlage und eine Räumlichkeit, die den gesetzlichen Ansprüchen genügt.“ Das ist hier gegeben. Das Ganze ist zudem unterkellert. Platz zum Brennen, Platz zum Lagern. Und stylisch ist es auch noch. Mit dieser Adresse lässt es sich arbeiten.
Im vorderen Bereich befindet sich der Café-Bereich, dahinter der über sieben Meter lange Tresen aus Eiche, begleitet von schwarzen Stahl-Elementen. Alles Maßarbeit. Das Team Orosz/Frerichs hat eine klare Aufgabenteilung. „Leo hat mir gesagt, wie seine perfekte Bar auszusehen hat. Ich habe das Geld besorgt.“
Wir wollen wachsen, aber ohne Druck
Produzieren möchten Frerichs und Orosz natürlich nicht nur für den Eigenverbrauch in der Bar, sondern für den Markt. Der ist umkämpft, immer mehr kleine Craft-Spirituosen-Marken wollen ihren Teil vom Kuchen. Über die wachsende Konkurrenz aber machen sich die Drilling-Dads keine Sorgen. „Der Markt ist da. Kleine Craft-Brennereien haben Potential. Das Interesse bei Verbrauchern und bei Barkeepern am Produkt ist groß, der Anspruch an dessen Qualität wächst“, sagt der Kaufmann im Team.
Natürlich würden ihnen aktuelle politische Ereignisse wie die Strafzölle auf US-Whisky-Exporte oder der drohende Brexit in die Karten spielen. „Aber ganz ehrlich: Wir sind klein. Natürlich wollen wir wachsen, aber ohne Druck. Wir haben bisher auch keinen Vertrieb, besuchen keine Messen. Wir setzen darauf, dass die Leute von selbst kommen.“
Teilweise ist das bereits jetzt der Fall. Das ist gut, insgesamt steckt eine siebenstellige Investitionssumme im Drilling. In den vier Ex-Bourbon-Fässern von Four Roses lagert bereits der erste Whisky – für mindestens drei Jahre. Die Maische stammt von der Brauerei Ratsherrn. Die sitzt in der Schanze, gerade mal 15 Minuten Fahrtweg entfernt. Kurze Wege eben. In einem weißen Lagerbottich ruht ein Koriander-Geist, den das Drilling – oder die Destille Hamburg GmbH, so der offizielle Firmenname – für das Hamburger Nobelhotel The Fontenay produziert. Das Restaurant Neni lässt hier seine gesamte Digestif-Karte herstellen: Birnen- und Apfelbrand oder Haselnuss-Geist.
Logistik im Drilling: kurze Wege, hohe Praktikabilität
Das Ergebnis: Zwei gespiegelte Barkeeper-Stationen rechts und links hinter der Theke mit eigenen Waschbecken, ausgestattet mit Lochbrett und allem, was den perfekten Barkeeper-Arbeitsplatz ausmacht. Kurze Wege, hohe Praktikabilität. Rechts vorbei an der Bar, hinter der Glastür, befindet sich das Herzstück des Drillings, die Destillerie. Hier entstehen die Spirituosen, die Leo sich für seine Cocktailkreationen wünscht. Der Rum zum Beispiel, nach dem er schon lange sucht. Und den er jetzt einfach selber produzieren wird.
Zwei Mal im Monat läuft die Anlage. Da ist noch Luft nach oben, aber die Jungs wollen mit ihrem Business ja auch gemächlich wachsen. Am Ende sollen hier 120 Produkte entstehen. Whisky, Rum, Brände, Liköre, Geiste. Bedient wird die Anlage von Michael Gerlach, der eigentlich als Brennmeister bei Augustus Rex in Dresden arbeitet und extra für die Brenntage anreist. „Wir kooperieren mit Augustus Rex, unterstützen zum Beispiel bei der Herstellung von Bränden, indem wir beim Abbrennen des Obstes helfen.“ Mit ihm würden sie auch die Spirituosen und Aromen entwickeln. „Wir arbeiten da wunderbar zusammen, sprechen die gleiche Sprache.“
Drilling-Spirituosen nicht nur in Hamburg
Aber natürlich werden Drilling-Spirituosen nicht nur außerhalb des Hauses genossen. Derzeit probieren sie verschiedene Varian-ten ihres Rote-Beete-Geistes aus. Den gibt es in drei Spielarten, mit erdiger, fruchtiger oder gemischter Aromanote. Mit Tonic und Zitronenzeste ein echter Gaumenvirtuose.
Vielleicht kommt auch der Whisky ins Spiel, bevor er sich so nennen darf, und wird als New Make serviert. Nach und nach wird sich in Zukunft die Getränkekarte im Drilling erweitern und verändern. From Destillery to Drink – das Leben ist zu kurz für Umwege.
Credits
Foto: Destille Hamburg GmbH