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Andreas Till Geburtstagsnegroni

Geschichtsstunde und Sinnestrug: Andreas Tills Geburtstags-Negroni

Sechs internationale Bartender zelebrierten in Mailand den 100. Geburtstag des Negroni. Den deutschen Beitrag lieferte Andreas Till. Der Münchener aus dem Pacific Times meisterte die Gratwanderung zwischen Denkmalschändung und Unkenntlichkeit mustergültig – und baute den Americano gleich mit ein.

Dass es den namensgebenden Conte Negroni tatsächlich gegeben hat, ist seit Luca Picchis Recherchen (nachzulesen in: Sulle tracce del conte. La vera storia del cocktail Negroni) ziemlich unumstritten. Doch der vom italienischen Bartender aufgefundene Personalausweis verriet eines nicht: Wann der Graf im Caffé Casoni seinen Americano mit Gin statt Soda orderte und so seinen Namen in der Barwelt unsterblich machte. 1920? 1919? Im Zweifel entscheide man sich für das Naheliegende, und so ruft Campari in diesem Jahr den 100. Geburtstag des ikonischen Dreiteilers aus. 

Gefeiert wird global in 10.000 Bars in der Negroni-Week im Juni, den Auftakt machten die „Red Hands“ aber in Mailand. Der Club 55 spielt nämlich auch im Film zu den „N 100“-Feierlichkeiten eine Rolle. Genauer gesagt trifft die kubanische Darstellerin Ana de Armas in Entering Red auf sechs gefeierte Bartender aus aller Welt. Besonders prominent in der Schluss-Szene an der Seite des aktuellen „International Bartender of the Year“ der Spirited Awards, Joe Schofield, zu sehen ist Deutschlands Beitrag zum Sextett mit den roten Händen: Andreas Till. Und wie alle Red Hands servierte auch er seine Negroni-Version zum Auftakt des bittersüßen Jubeljahres. 

Ein Aperitif kommt ohne Bettschwere aus

Eine leichte Irritation liefert der Cocktailname, der statt dem Geburtsjahr des Cocktails das Jahr 1808 beinhaltet. Hier hat sich der Mann aus der Baaderstraße als Mathematiker versucht: Der Schnitt aus den Gründungsjahren der beiden Hauptakteure Campari (1860) und Cinzano (1757) ergibt 1808,5 – abgerundet wurde also nicht nur der Drink für die Sause in Milano. 

Negroni Andreas Till

Der Negroni 1808 von Andreas Till

Dass sich Till, der auch die deutsche „Campari Werkstatt“ – das Bartender-Weiterbildungsprogramm der Mailänder – leitet, intensiv mit der Drink-Ikone beschäftigt hat, wird im Gespräch mit ihm schnell klar: „Die meisten Twists, die ich kenne, sind sehr dicht und komplex, werden erst im Rührglas gemixt und anschließend auf einem großen Eisball oder -würfel serviert, damit sie sich im Glas nicht mehr allzu sehr verändern. Diese Negronis betrachte ich als After-Dinner-Drinks, sehr geil und vielfältig, aber auch sehr ‚anstrengend‘, alkoholisch und aufmerksamkeitsbedürftig“. 

Dass der Negroni 1919 aus einem Aperitif entstanden ist, dem Americano (1 Teil Campari, 1 Teil Turiner Wermut, 1 Teil Soda), lässt aber auch die zweite Deutung zu: „Da der Cocktail seinen Aperitif-Charakter behalten soll, gebe ich zu den Hauptakteuren auch einen Schuss Soda dazu.“ Die Kohlensäure sorgt in dieser Lesart nicht nur für Frische, sondern verleiht dem Negroni auch eine cremige Textur.

Andreas Till hat eine liberale Haltung gegenüber den 3 cl

Allerdings kommt damit ebenso eine Verschiebung jener 1:1:1-Rezeptur in Gange, die sich auch jeder Heimbartender locker merken kann – eine sicher nicht zu unterschätzende Komponente des roten Welterfolgs. Andreas Till sieht dieses Verhältnis aber ohnehin in Abhängigkeit vom verwendeten Wermut und Gin: „Sein Rezept-Gerüst macht den Negroni für mich zu einem der rudimentärsten Drinks, der, wenn man seine Komponenten versteht, eine unglaubliche Varianz zulässt“. 

So mischt der Münchener gerne zwei Wermuts, um Frische, Fruchtigkeit oder Komplexität zu erzeugen. Beim ersten Negroni des Abends wiederum würde er tendenziell weniger Gin mitmischen, um den Aperitif-Charakter zu bewahren.

Jazz im Negroni

Die leichte Variante, die im Club 55 zum Geburtstag des Drinks serviert wurde, versieht er aber dennoch auch mit einem kräftigen Player – Himbeerbrand. Er ersetzt in der offiziellen Rezeptur den seit den 1990er-Jahren nicht mehr erzeugten Campari Cordial, auf dessen Himbeeraromen Till ansonsten im Pacific Times setzt. Sensorisch kompensiert sein fruchtiges Aroma die bittere Komplexität des Negroni, vor allem baut der ungewöhnliche Geruch eine gewisse Spannung auf, die dann beim Trinken auf sehr erwachsene Weise aufgelöst wird. 

„Normalerweise nutze ich dieses Phänomen meist umgekehrt, wobei erst weniger gefällige Aromen irritieren und der Drink die erleichternde Auflösung durch vertraute Aromen liefert, ähnlich wie die Triole im Jazz, gespielt auf einem Becken.“ 

Andreas Till als Max Roach des Negronis? Ein schönes Bild – und camparirot hinterlegt!

Offenlegung: Pressereise

Credits

Foto: Campari

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