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Bière de Garde – Frankreichs lebendige Brautradition

Eine Flasche Wein, und gerne mal einen Pastis zwischendurch – Frankreich gilt nicht unbedingt als Biernation. Das ist so aber nicht ganz richtig. Eine kleine, aber hochengagierte Brau-Szene belebt die Biertradition im Land der Tricolore neu.  Besonders beliebt dabei ist der aus dem Nordosten des Landes stammende Bierstil Bière de Garde.

Frankreich und Bier? Viele reisende Biertrinker mögen nun an die klassischen Lagerbiere denken wie ein Kronenbourg 1664 oder Fischer Tradition. Aus dem Kuriositätenkabinett stammen dann noch Brauwaren wie Desperados, das mit Tequila-Aromen aufwartet, oder Adelscott, welches mit Whisky-Rauchmalz eine Brücke zu schottischem Malt Whisky zu schlagen versucht.

Aber Frankreich bleibt das Land der Weintrinker, gerne zudem mit einem Pastis als Aperitif. Eine kleine Renaissance erlebt immerhin Picon Bière, jene Mischung aus Amer Picon, dem Orangenlikör, und einem Pils oder Lagerbier, die durch seine würzig-fruchtige und erfrischende Kombination getränketechnisch ideal vom Nachmittag in den Abend überleitet.

Eine Familie: Bière de Garde, Saison und Farmhouse Ale

Dennoch – insbesondere der Norden und Osten Frankreichs blickt auf eine abwechslungsreiche Braugeschichte zurück, die in diesen Tagen eine Neubelebung erfährt und eine geschmackvolle Bereicherung der Biervielfalt bedeutet. Allen voran durch den köstlichen Bierstil Bière de Garde.

Versetzen wir uns in die ländlichen Regionen zwischen den Ardennen und der Picardie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Industrialisierung und maschinelle Kühlung liegen noch in weiter und unbekannter Ferne. Zur harten Feldarbeit ist ein erfrischendes Bier mehr als nützlich. In den kühlen Monaten wurden die Biere leichter eingebraut und frisch getrunken. Ging es aber in Richtung Frühjahr, so mussten die Sude kräftiger eingebraut werden, um ihre Haltbarkeit zu verlängern. Schließlich mussten sie den Durst über die heißen Sommermonate – in denen nicht gebraut werden konnte – bis in den Herbst hinein stillen. Der Name „Bière de Garde“ bedeutet soviel wie „Bier zum Aufbewahren“ und verweist auf die (hoffentlich) längere Verfügbarkeit.

Der Alkoholgehalt muss früher bei 8% Vol. oder mehr gelegen haben, um diese Haltbarkeit zu gewährleisten. Erstaunlich wenig ist überliefert über Geschichte und Rezepturen der malzbetonten Spezialität obergäriger Brauart. In Quellen des 19. Jahrhunderts findet sich einmal eine Beschreibung eines Bière de Garde aus Lille: „Sechs bis acht Monate im Holzfass reift die Spezialität, bevor sie einen weinigen Charakter annimmt, den die Kunden sehr zu schätzen wissen“. Eine andere Quelle aus der gleichen Stadt attestiert hingegen einen leicht säuerlichen Charakter. Oft verwendeten die Trinker etwas Kandiszucker, den sie in ihr Bier einrührten, um es zu süßen. Vermutlich wurden die alten Biere auch in jedem Ort anders hergestellt, mit anderen Zutaten und Reifungszeiten, und dienten einfach nur dem lokalen Zweck der Erfrischung. Belgische Saison-Biere oder englische Farmhouse Ales blicken auf eine ähnliche Geschichte zurück.

Fast ausgestorben und dann doch wiederentdeckt

Mit dem Siegeszug der leichten, untergärigen Lagerbiere verschwanden auch die Bières de Garde weitestgehend aus dem Bewusstsein der französischen Kulinarik. In den späten 1970er Jahren entdeckten Studenten in Lille den mittlerweile raren Bierstil, erhoben ihn zum Kult und verhalfen ihm zu neuen Absatzzahlen. Die Brauerei Duyck hatte den Bierstil nie aufgegeben. Seit 1922 braute die Familie ihr Bier in Jenlain, unweit der belgischen Grenze, und benannte ihre Marke in den 1960er Jahren nach dem Heimatort. Während die traditionellen Handwerksbiere in jener Zeit allesamt ausstarben und der Siegeszug der leichten, untergärigen Lagerbiere so manche Biergattung von der Bildfläche verschwinden ließ, setzte die Familie Duyck gerade auf das Bière de Garde. Sie füllte die Spezialität in große, Champagner-ähnliche Flaschen ab, die sie mit Korken und Agraffe verschlossen. Die Hefen sorgten für eine weitere Nachreifung in der Flasche und verliehen dem Bier seinen speziellen Charakter.

Heute entdecken viele internationale Kreativbrauer den Bierstil wieder, dabei gilt das Jenlain Blonde als der Maßstab und das Ideal der Brauart Bière de Garde. Der Malzcharakter ist kraftvoll und eine betörende Mischung aus zartem Hopfen, Fruchtnoten und Gewürzen wie Nelke, Pfeffer und Muskat. Auch der Hefecharakter ergänzt das vollmundige Gesamtbild. Die Produktpalette von Jenlain ist in den vergangenen Jahren beständig gewachsen, da die Brauer die Möglichkeiten des Bierstils variantenreich erproben. Das Jenlain Or verfügt über kräftige 8% Vol. und betört mit einer zarten Säure, die von einem subtilen Kandis-Charakter aufgefangen wird. Den langen Nachhall begleiten finessenreiche Gewürznoten.

Der Hopfen kommt meist eher zurückhaltend zur Geltung, aber einheimische Hopfensorten – wie Strisselspalt aus dem Elsass – oder moderne Aromahopfen –  insbesondere Saphir – ergänzen mit einem Heucharakter und erdigen Nuancen diesen Bierstil vortrefflich. Auch bei den Hefen wird experimentiert, neben den klassischen Hefen belgischer Prägung erproben die Brauer mittlerweile auch die Ale-Hefen angloamerikanischer Provenienz.

Erfrischend, subtil, grandios

Der Bierstil ist herrlich für den Herbst. Süffig und auch geeignet, deftige Speisen ideal zu begleiten. Sehr empfehlenswert ist beispielsweise das Ardwen Blonde. Zarte Malz- und Zitrusnoten umspielen die Nase, bevor ein erdiger Charakter mit einem Hauch Karamell den Mund ausfüllt. Eine zarte Herbe begleitet den langen Nachhall, dem stets auch eine überraschende Frische innewohnt. Man denkt an Kürbis, Curry und Ragout.

Ebenfalls hierzulande ab und an verfügbar sind die Flaschen der Brasserie de Saint-Sylvestre im französischen Flandern auf halber Strecke zwischen Lille und Calais. Das 3 Monts ist den drei Bergen der Region gewidmet. Eine kraftvoll-erfrischende Kohlensäure begleitet das malzbetonte Bier, das mit einheimischem Hopfen eingebraut wird. Kräuternoten vermengen sich mit einem Hauch Zitrone, Apfel, Brot und einer bodenständigen Erdigkeit.

Ende des 19. Jahrhunderts verfügte Frankreich noch über mehr als 2.300 Brauereien. Nach den Weltkriegen war die Zahl auf gerade mal ein Dutzend geschmolzen. Heute belebt eine kleine, aber hochengagierte Brau-Szene die Biertradition im Land der Tricolore neu, und die Ergebnisse sind wahrlich probierenswert. Wer die Entwicklung der französischen Kreativbier-Szene verfolgen möchte, erfährt interessante Neuerungen hier online.

Credits

Foto: Foto via Shutterstock.

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