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Burn, Baby: Der Burnt Fuselage Cocktail

Die Kunst des Minimalismus: Der Burnt Fuselage ist der Gegenentwurf zum Twist- und Zutatenwahn. Drei Bestandteile, gleiche Anteile und ein hochkomplexer Klassiker. Über die Wiederentdeckung eines schlummernden Kleinods durch einen alten Bekannten und großen Innovator.

Was macht einen Klassiker eigentlich zu einem Klassiker? Ist es die ausgefeilte und doch minimal-puristisch gehaltene Dosierung edler Spirituosen? Ist es eine fesselnde und doch nur schwerlich credibel anmutende Geschichte dahinter? Oder ist es vielleicht die eine Person, die jenes Prädikat verteilen darf? Vorhang auf für den „Burnt Fuselage“.

Das Buch der sieben Siegeln

Wir schlagen Bücher auf, blättern und lesen in ihnen und behalten doch häufig nicht allzu viel vom Inhalt. So geht das Monat für Monat, Tag für Tag. Ein Ventil, das es uns ermöglicht, den kühlen Alltag hinter uns zu lassen und gegen die metaphorischen Bilder der Fantasiewelt einzutauschen. Und doch beschäftigt sich der Mensch nicht immer nur mit gezeichneten, aus anderen metaphysischen Welten stammenden Erzählungen sondern nicht selten auch mit dem Leben, dem Sein. Denn neben Prokrastination des Alltags findet sich der Mensch im steten Lernprozess, er will verstehen und begreifen.

Der Bartender lernt immer. Und er lernt nie aus. Ob bei praktischen Tätigkeiten hinter der Bar oder in angrenzender Küche bei der Zubereitung einzelner Sirups sowie auf theoretischer Ebene beim Lernen der Warenkunde, Lesen der Tasting-Notes oder eben auch beim Durchforsten alter Cocktail-Literatur. Diese oftmals verstaubten Bücher mit halb-zerfetzten Seiten, verblichenen Buchstaben, Schriftzeichen vergangener Epochen und Maßangaben der Geburtsstunde der Cocktails sind nicht nur Manifest und in vielerlei Hinsicht auch heute noch Bibel des Bartenderethos der Moderne. Viel eher verstecken sich in jenem bereits im Bund losen, ja beinahe antik-wirkenden Dokument Drink-Kreationen zwischen den altbekannten Klassikern, die es heute auf keine Karte mehr zu schaffen scheinen.

Es braucht einen Pionier…

Man muss halt nur nach ihnen suchen. Einer dieser Spürhunde auf dem Pfad der liquiden Renaissance ist zweifelsohne Jörg Meyer. Sein herb-erfrischender Evergreen namens Gin Basil Smash ist mittlerweile über die kontinentalen Grenzen hinaus bekannt und wird unmittelbar mit seinem Namen in Verbindung gebracht. Nun ist diese globale Anerkennung gleichermaßen gerechtfertigt wie auch erfreulich für Meyer, doch wird sie nicht selten dann zum Verhängnis, wenn durch sie das Schaffen reduziert wird und das Lebenswerk eine Verminderung erfährt.

Meyer jedoch war immer ein absoluter Geek, wenn es um Klassiker ging. Oft wühlte er ganz unten in der Bücher-Box und grub alte, längst vergessene Rezepturen auf, nur um sie kurze Zeit später wieder salonfähig zu machen. „Ich bin einfach vernarrt in die Idee von Klassikern. Dass sie einfach überall auf der Welt – zumindest in guten Bars – gleich zubereitet werden“, so der Hamburger.

Der Freund der alten Zeit?

Und so begann Meyer damit, immer wieder temporär Klassiker aufzuarbeiten und später auf seine Karte zu setzen. Dass er damit immer wieder auch Einfluss auf die junge Gilde am Brett ausübt, ist allgegenwärtig. Nicht zuletzt stammte die Inspiration zum vor einiger Zeit vorgestellten Santa Muerte von Jonas Hald letztlich vom kubanischen Original und von Meyer ins Leben zurückgeholten Santa Marta.

Der Burnt Fuselage stammt weder aus der Karibik, noch hat er einen Twist erfahren. „Zum Thema twisten: Bitte nicht missverstehen. Ich mag es, wenn Bartender kreativ sind und ja, ich liebe Eigenkreationen. Was ich nicht mag, ist, dass allen Drinks ein ‚eigener Stempel‘ aufgedrückt werden muss. Macht man doch eh… Ich denke, Rezept justieren und Produkte angleichen ist im üblichen Rahmen – gerade wenn es alte Drinks sind. Einen zweiten ‚Twist‘ in petto zu haben, ist toll. Aber wenn jemand einen Klassier ordert, dann soll er ihn auch so bekommen.“

Minimal genial

Dementsprechend puristisch adaptierte Meyer den Burnt Fuselage, den er eigentlich nur aus Gefälligkeit gegenüber dem langjährigen Kollegen Mauro Mahjoub anlässlich des Grand Manier-Wettbewerbs 2007 kurzzeitig auf die Karte nahm; der dann aber so gute Resonanz erhielt, dass er ihn immer mal wieder auf die Karte im Le Lion setzte.

Allein die minimalistische Rezeptur zu gleichen Teilen des in Harry MacElhones 1927 erschienen und längst vergriffenen Werk „Barflies & Cocktails“ niedergeschriebenen Burnt Fuselage trägt mit Fug und Recht das Prädikat „Klassiker“. Auch wird der mit einem seltsamen Namen versehene Cocktail gerade durch den Einsatz und die Kombination unüblicher Liköre und Spirituosen zu einer wahren Überraschung.

Der im Original nicht präzisierte Cognac lässt dabei gewissen Spielraum und das Ergebnis auf den jeweiligen Gaumen abstimmen. In Verbindung mit den süßlichen, orangenintensiven, gleichzeitig die Cognac-Thematik aufgreifenden fruchtig-rauchig anmutenden Grand Marnier wird dem Drink die nötige Komplexität verliehen, ohne ihn dabei jedoch kippen zu lassen. Abgerundet wird der Cocktail schlussendlich durch die Verwendung eines trockenen Wermuts, der den Drink dabei geschmacklich konterkariert und ihn mit seiner leicht herben Note perfekt ausbalanciert. Spannend vor allem, da man das Ergebnis schließlich durch unterschiedliche Cognacs aber auch verschiedenster Wermuts modifizieren kann. Eine spannende Sache.

Traditionelle Tugenden

Und so muss man sich die anfangs gestellte Frage noch einmal durch den Kopf gehen lassen? Ist es der Name, die Rezeptur, der Schirmherr oder doch die Geschichte, die den Drink zum Klassiker macht? Möglicherweise von allem ein wenig. Doch ist der von Jörg Meyer zu Recht ausgepackte und entstaubte Drinks letztlich vor allem eine Rückbesinnung auf die alte Zeit. Eine Zeit, in der es kein High-Tech in einer Bar gab, in der Drinks nicht getwistet wurden. Eine Zeit, in der nicht zig Zutaten in einem Drink verbaut werden mussten, um alle Geschmackssinne zu stimulieren, einer Zeit, in der drei Zutaten ausreichten, um ein Erlebnis für die Sinne zu erschaffen.

Und so schlagen wir das Buch auf und suchen nach dem nächsten. Je weniger Zutaten, desto fesselnder…

Credits

Foto: Foto via Tim Klöcker.

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