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Charles Carroll Cocktail: Manhattan im Italo-Gewand

Die Bar ist russisch, der Chef Bayer und der Drink, um den es geht, eine der Ikonen der US-Trinkkultur vor der Prohibition. Kurz, Daniel Richter aus dem Salon Irkutsk nahm sich den Manhattan vor – und das so richtig!

Der Top-Seller in der von vielen Studenten frequentierten Kunst-Bar in der Isabellastraße (Eigendefinition: „Abendbistro für slawophiles Trinkvergnügen“) muss ja fast ein Vodka-Drink sein. In dieser Hinsicht enttäuscht Daniel Richter, der den Mule im Minutentakt ausgibt, die Erwartungen auch nicht. Spannender wird es, wenn er mit dem zweiten Standbein neben Pre-Batching und Highballs zum Spagat in Richtung Eigenentwicklungen ansetzt. Das gelingt ganz gut, auch wenn es noch eine Art Doppelleben neben dem Abend-Geschäft darstellt. Eben waren die Kollegen von der „Cosmopolitan“ da und ließen sich eine Fotostrecke mit Drinks von Richter gestalten – und da wäre noch die Arbeit an seinem für Februar 2017 geplanten Cocktail-Buch.

Einen Türöffner in diese Richtung stellt jener Drink dar, den man getrost als heimlichen Star im Portfolio des Salon Irkutsk bezeichnen kann – der Charles Carroll Cocktail. Technisch eine entfernte Abwandlung des Manhattan beziehungsweise des Brooklyn Cocktails, spielen hier gleich ein paar selten gebrauchte italienische Zutaten die entscheidende Rolle.

Kombinat(ion) Völkerfreundschaft: Piemont trifft NYC

Der Barolo Chinato etwa hat – als eine von vier Bitter-Quellen – seinen Auftritt. Konkret besteht seine Rolle im Verändern des Geschmacksprofils, das statt auf einem Wermut auf mehreren bitter-süßen Protagonisten basiert. Während Londons italienisch-stämmige Bartender fast ständig mit dem bitteren Aroma-Wein arbeiten und etwa Daniele Prevato vom Venezianer Caffé Florian seinen „Spritz“-Twist für seriöse Aperitif-Trinker mit dem piemontesischen Wermut-Ersatz zubereitet, kennt man ihn hier noch zu wenig. Daher sei zur Sicherheit ein kleines Porträt dieser auf dem Edelwein Barolo aufbauenden Spirituose eingeschoben.

Chinchona (in Italien zu „China“ verkürzt) war schon in ihrer Heimat als Heilpflanze bekannt, doch nicht nur die Indios vertrauten der „Rinde der Rinden“, also „quinquina“. Auch in den Apotheken Turins wurde sie mit anderen Aroma-Gebern (Wurzeln, Kräutern, Blüten und Früchten) dem Rotwein beigemengt. Chinchona wirkt ja auch „febrifug“, also fiebersenkend. Doch warum teuer für eine kleine Menge bezahlen, wenn sich das Mittel auch literweise herstellen lässt? Und so fand schon zu Zeiten der Savoyer-Könige der Barolo Chinato, meist als unetikettierte Hausmischung, ins Piemont. Bis heute ist es gar nicht so leicht, guten Barolo Chinato in größeren Mengen zu bekommen. Denn die besten Weine erzielen auch ohne diese Zusatzbehandlung Spitzenpreise. Einer der wenigen bekannten Barolo-Erzeuger, der seine nussig-süße Variante des „Chinato“ auch exportiert, ist etwa G. D. Vajra (hier zum Beispiel erhältlich).

Richters Richtung: Amaro und Amore

In „Monaco, Bavaria“ darf dieser aufstrebende Wein-Aperitif natürlich nicht fehlen – und Daniel Richter gibt ihm mit dem Rabarbaro Zucca einen weiteren Vertreter aus der reichen Palette italienischer Bittergetränke mit. Der Mailänder Rhabarber-Likör ersetzt hier den Picon. Wer aber ist dieser Charles Carroll? Hierzulande weitgehend unbekannt – und insofern zu den noch etwas exotischen Italo-Zutaten passend – ist der 1737 geborene Gründervater der USA ein Mit-Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung von 1776. Konkreter wird der Bezug, wenn Richter auf das nach dem Cocktail-Paten benannte Viertel Carroll Gardens in Brooklyn verweist. „In dem fanden viele italienische Auswanderer im späten 19. Jahrhundert eine neue Heimat“, so der Münchener.

Erfunden hat die Kombination, eine hochprozentige Feier der amerikanisch-italienischen Freundschaft, seine Frau. Nelly Richter servierte den Charles Carroll Cocktail im Vorjahr erstmalig in der Knickerbocker Bar. Seitdem hat der Bourbon-Drink die Karte der „russischen“ Bar nicht mehr verlassen. Dass er ihn oft zubereitet, verrät auch ein technischer Hinweis der Richters zu dieser Rezeptur: „Unter Zuhilfenahme eines Vacu Vin oder einer anderen Vakuumpumpe lässt sich die Qualität des Wermuts auch im Pre-Batch sicherstellen“. Na dann: Cheers!, Cent’anni! und „Za tibja!

 

 

 

Credits

Foto: Stefan Giesbert / Wikipedia

Comments (1)

  • schlimmerdurst

    Und ich dachte, ich hätte so langsam alles gesehen – und hier nun ein Cocktail mit gleich zwei Zutaten, die ich nachschlagen muss! Respekt! 🙂

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