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Contract Distilling, ein Trend mit Substanz?

Viele Bars und Bartender suchen nach inhaltlicher Eigenständigkeit. Neben klassischen Lösungen wie etwa Signature Drinks oder hausgemachten Infusionen und Sirupen gehen in letzter Zeit immer mehr Bars einen weiteren Weg: den der „eigenen“ Spirituose.
Wer jetzt an schwarzbrennende Bartender im Backoffice denkt, liegt falsch. Denn das sogenannte „Contract Distilling“ und das Erschaffen von „tailormade“ Spirituosen ist ein stetig wachsender Markt. Es lauern aber auch Gefahren.
Warum eine eigene Spirituose?
Die Gründe für den Wunsch nach einer hauseigenen Spirituose können vielfältig sein. Vielleicht liegt es an der Auffassung, alle erhältlichen Produkte seien qualitativ einfach nicht ausreichend. Oder innerhalb des betreffenden Segments gibt es kein Produkt, das spezifische, aber gerade gewünschte Eigenschaften im Aromenprofil aufweist. Eventuell soll es auch ein gewisses Gimmick sein, den Gästen eine eigene Hausspirituose bieten zu können: der Anblick einer Flasche BarXY-Gin dürfte für viele Barbesucher ein Eyecatcher sein. Doch ganz gleich, woher die Absicht, eine eigene Spirituose zu haben, nun genau rührt, sie führt immer zur folgenden Ausgangsfrage: Wie kann die Herstellung gewährleistet werden?
Die Suche nach dem Weg
Das Brennen von Spirituosen erfordert nicht nur eine fundierte Kenntnis der Materie, wenn das Ergebnis auf sicherem Wege und in zufriedenstellender Qualität entstehen soll. Darüberhinaus ist nämlich das Destillieren von „Branntwein“ (so der Sammelbegriff in der deutschen Rechtssprache) recht engen gesetzlichen Normen unterworfen. Zudem kann bereits das Herstellen eigener Infusionen bei falscher, oft zu hoher Dosierung der gewählten Aromate schnell zur unangenehmen Überraschung werden. Gleiches gilt für das Brennen – allerdings kommen hier die dem Destillationsvorgang eigenen Probleme und Risiken hinzu. Nicht umsonst ist die Tätigkeit des Brenners ein eigener Berufsstand.
Wer über keinen Zugang zu einer Brennblase verfügt oder aber mangels Expertise den Destillationsapparat lieber nicht anfeuern möchte, hat jedoch eine andere Möglichkeit, die sich in letzter Zeit unter stetig wachsender Beliebtheit in der Barszene erfreut: Die Rede ist von auf die speziellen Wünsche des jeweiligen Bartenders oder der Bar zugeschnittenen Spirituosen, die somit „tailormade“, also „maßgeschneidert“ sind. Pepper Gin, Pimento Dram, ein eigener Haus-Vodka oder ein Brand aus den eigenen Marillen? Hierfür bieten kleine Brennereibetriebe oft die Möglichkeit des „Contract-Distilling“ an: Der Kunde liefert ein Konzept und eventuell die Rohstoffe – die Brennerei produziert in Absprache mit dem Klienten eine Spirituose und kümmert sich um Themen wie Botteling und Labeling. Ein „eigenes“, individualisiertes Produkt im besten Wortsinne also! Eine selbst kreierte Spirituose im Backboard stehen zu haben, ist wohl ein Traum, der die meisten Barleute eint. Auch für die Brennerei ein gutes Geschäft, denn sie liefert ein Produkt in kleiner Auflage, für das sie mit dem Auftraggeber gleichzeitig einen sicheren Abnehmer hat. Freilich muss es sich beim Kunden nicht zwangsläufig um eine Bar handeln, auch viele Start-ups bedienen sich der Möglichkeit des Contract-Distillings, bevor eine eigene Brennerei eingerichtet wird oder aber weil die eigenen Kapazitäten nicht mehr ausreichen. Vanessa Guertler, Betreiberin des Berliner Spirituosen-Labels „Wodka Wanessa“, produzierte z.B. ihren Dinkelbrand zunächst in Eigenarbeit. Mittlerweile wird der Vodka jedoch von einer steirischen Obstbrennerei im Auftrag des Labels hergestellt. Hier findet sich die typische Trennung: das Konzept stammt vom Betreiber der Marke, die Realisierung erfolgt vom Fachmann an anderer Stelle.
Ein eigener Markt entsteht
Mittlerweile gibt es Destillationsbetriebe, die sich auf diese Form der Kooperation spezialisiert haben. So produziert etwa das Haus Audemus Spirits in der französischen Charente zwar unter eigenem Namen zwei New-Western-Style-Gins, bietet aber in erster Linie sein Know-how anderen Firmen an, die auf einen professionellen Brennereibetrieb angewiesen sind. Audemus stellt hier von der reinen „Destillationsleistung“ bis zum kompletten Paket mit Fassausbau, Produktidentität, Design und Packaging ein umfängliches Portfolio an Lösungen bereit, das von immer mehr Kunden wahrgenommen wird. Ähnlich ist das Geschäftsmodell der schweizerischen Spezialitätenbrennerei Humbel, die sich vor allem Obstbränden verschrieben hat. Zwar ist Humbel gleichzeitig mit einer breiten Range eigener Produkte aktiv. Ab einer gewissen Liefermenge ist allerdings jeder willkommen, Brände aus eigenen Rohstoffen von Meisterhand herstellen zu lassen. Dieses „Lohnbrennen“, so wohl die deutsche Entsprechung zum englischen Begriff, ist auch bei Humbel eine eigene Rubrik innerhalb der Internetpräsenz.
Nichts für zwischendurch…
Doch so verführerisch simpel der Weg zur eigenen Spirituose auch wirken mag, gibt es dennoch einiges zu bedenken. Gerald Schroff, Geschäftsführer der Preussischen Spirituosenmanufaktur aus Berlin, ist einerseits angetan von der aktuellen Vitalität der Craft-Distilling-Szene und räumt ein, dass auch sein Unternehmen viele Anfragen bekommt, „tailormade“ in Diensten Dritter zu arbeiten, was prinzipiell auch gerne wahrgenommen wird. „Das Problem ist jedoch, dass die meisten eigenen Spirituosenkonzepte überhaupt nicht ausgereift sind“, so Schroff. „Viele Unternehmer machen sich keine Vorstellung davon, wie lange es dauert, ein Produkt wirklich auszubalancieren, bis am Ende ein Qualitätsschnaps steht – das ist ein krasser Gegensatz zum gastronomischen Alltag, wo üblicherweise alles sehr schnell gehen muss.“ Innovation und Kreativität? Eine eigene Spirituose für die eigene Bar? Grundsätzlich gerne – gegen die Idee eines nach den eigenen Wünschen maßgeschneiderten Brandes spricht an sich nichts. Aber selbst, wenn die eigentliche Produktion durch einen Profi erfolgt, sollte ein derartiges Unterfangen nicht auf die leichte Schulter genommen, sondern von langer Hand vorbereitet und konzeptioniert werden. Von der Wahl der Gattung, dem Brennverfahren über die Auswahl geeigneter Botanicals bis hin zur möglichen Fasslagerung des Produktes muss klar sein, dass die Kreation einer Spirituose – sogar, wenn Sie eher als Gimmick gedacht sein sollte – eine Mammutaufgabe ist, die nicht unbedingt nebenbei erledigt werden sollte. Die selbst ersonnene Marke kann die Bar und das eigene Portfolio bereichern und für enormes Aufsehen sorgen. Aber nur, wenn man es ernst meint. Der Trend zur Entwicklung eigener Spirituosen ist, ohne jede Frage, vom Grundgedanken her begrüßenswert. Jedoch ausschließlich dann, wenn dieser Trend den Gedanken der Langfristigkeit beinhaltet. Alles andere ist nur Effekthascherei. Und die braucht niemand.

Credits

Foto: Flaschen via Shutterstock

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