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WHEN WE WERE KINGS

Er spielte neben Humphrey Bogart in “Casablanca”, sein Reiz hat manchen Politiker zu Fall gebracht. Heute jedoch führt der Champagne Cocktail mehr und mehr ein Schattendasein. Zurecht? Ein Klassiker unter der Lupe.

Mal wieder begann alles scheinbar 1862 mit Jerry Thomas’ „The Bartenders Guide“. Aber anders als bei fast allen anderen in dieser Erstauflage niedergeschriebenen Cocktail-Kreationen, war der Champagne Cocktail der einzige, der in seiner Form und Rezeptur (sieht man einmal von den heutzutage nicht mehr hergestellten Boker’s Bitters ab) bis in die Gegenwart gleich geblieben ist. Ein wahres Urgestein der Szene also, das die Geburtsstunde des Cocktails hautnah miterlebt hat.

Ein reicher König

Nicht selten wird er aufgrund dieser Historie als “König der Cocktails” bezeichnet. Doch kein Königreich bleibt je verschont von Revolten. Und einer dieser Aufstände wird angeführt von Salvatore Calabrese, Methusalem unter den uns weilenden Bartendern. Er spricht Thomas seine Erfindung sogar ab. Mit mehr als 20 Jahren Verspätung sei der Drink erst 1889 im Zuge eines Cocktailwettbewerbs, initiiert von New Yorks damals führenden Journalisten, entstanden. John Doughty mit seiner Kreation des Business Brace sei somit die erste und ursprüngliche Version des Champagne Cocktails.

Nun ist das von Doughty umgesetzte Rezept wirklich sehr nahe an der eigentlichen Rezeptur unseres Klassikers. Ausnahme jedoch bildet der Zusatz des Cognacs. Und da Jerry Thomas eher professioneller Bartender als semi-begabter Schwindler war, ist davon auszugehen, dass Calabrese hier zwei unterschiedliche Varianten vertauscht. Der Champagne Cocktail nach Thomas beinhaltet ein Stück Würfelzucker (“1/2 teaspoonful of sugar”, 1-2 Dashes Bitters, Champagner garniert mit Zitronenzeste). Calabrese ergänzt dieses um ca. 2 cl Cognac. Wer hat denn nun Recht?

Mittlerweile ist ziemlich genau bewiesen, dass es sich bei Thomas’ Version um die klassische, amerikanische Version des Klassikers handelt, während der von Calabrese erwähnte Twist nichts anderes darstellt als die etwas später entwickelte europäische Variante. Es handelt sich bei dieser, um eine zusätzliche Spirituose erweiterten Interpretation um nichts anderes als eine Verstärkung, die großen Anklang in Europa fand.

Weitaus unkomplizierter geht es bei seiner Bedeutung zu. Unbestritten ist er ein ikonenhafter Drink der Reichen und Schönen, der auch auf der Liste der popkulturell behafteten Drinks mit namhaften Konkurrenten mithalten kann. Cary Grant und Deborah Kerr ließen mit ihm in „An affair to remember“ 1957 (Deutsch: “Die große Liebe meines Lebens”) die Gläser erklingen, Victor Laszlo und Captain Renault teilten ihn im filmhistorischen Ambiente von “Casablanca” miteinander. Er war Lieblingsdrink der US-Autorin Dorothy Parker sowie das Feuerwasser jenes Prostituiertenringes, dessen Bekanntschaft 1962 dem damaligen britischen Heeresminister John Profuno zum Verhängnis wurde.

Ein König ohne Reich

Einfach und puristisch zugleich, war der Klassiker einst Zeichen unermesslichen Reichtums. In den letzten Jahren ist es jedoch still um ihn geworden. Wie bei einem alternden Filmstar die Rollenangebote, blieben auch am Tresen die Bestellungen häufig aus. Das mag zum einen daran liegen, dass sein Kostüm nicht mehr zeitgemäß wirkt und die Darbietung nichts besonderes ist: schwacher Effekt fürs Auge, hoch im Preis. Andere mit Champagner aufgefüllten Cocktails wie ein French 75, Prince of Wales und Old Cuban scheinen da spektakulärer, nicht wahr?

Das wahre Problem liegt jedoch auch in seiner Sperrigkeit, sich in keine Kategorie einordnen zu lassen. Unentschlossen schwankte der Klassiker zwischen den Kategorien Old Fashioned und Champagner Cocktail. So denn auf in eine andere Debatte, die dem Kosmos des Champagne Cocktails schon lange zusetzt: Ist er gar ein Old Fashioned?

Keine einfache Frage. Puristen und erzkonservative Trinker unter uns wissen sie einfach zu beantworten: Nein, ein Old Fashioned ist er nicht. Im Grunde haben sie damit Recht; denn auch wenn sich die Rezepturen eines klassischen Champagne Cocktails mit jener des Symbols für eine Männerdrink schlechthin sehr ähneln mögen, so fehlt doch eine entscheidende Sache: das Eis. Das ist absolut notwendig, um dem Rye, Bourbon oder der Spirituose der Wahl durch stetiges Rühren das erforderliche Schmelzwasser zuzufügen und ihn auf Trinkstärke zu bringen.

Beim gebauten Champagne Cocktail ist Eis jedoch ein Fremdkörper, ja verwässert den Drink und lässt ihn flach erscheinen. Auch dient Zucker eher als Verstärker für die Kohlensäure im Champagner, als dass einem gerührten Drink nötige Balance hinzufügt und die Schärfe rausgenommen wird. Ihn als Champagner Cocktail per se zu definieren fällt jedoch schwer, da Champagner nun einmal die Hauptspirituose ist und nicht der letztlich erforderliche Filler.

Dem König reicht’s

Dabei ist der Champagne Cocktail wahrlich kein Drink, der sich verstecken müsste. Er mag als pompös gelten, sollte jedoch nicht abgeschrieben werden. Reich an Verwandten und ehemaligen Unterstützern wie Champagne Cobbler, Champagne Sour oder Champagne Julep, ist er kein Drink für jeden Tag. Sondern vielmehr ein erfrischender, ja belebender und anregender Cocktail für ganz besondere Anlässe. An die einstigen Ruhmestage wird er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr anschließen können, doch sollte man ihm schon alleine wegen seiner enormen kulturellen und cocktailhistorischen Bedeutung Tribut zollen und häufiger in den Barkarten dieser Welt anführen.

Vielleicht ist es auch einfach die unglückliche Namensgebung, die ihn immer weiter in den Hintergrund gerückt hat. Ein French 75 heißt ja schließlich auch nicht Gin-Sour-Champagner-Cocktail, und ein Toronto wird auch nicht Fernet Old Fashioned genannt. Und selbst wenn es all das nicht ist, dann kann man ja mal die Casino Cocktail-Variante probieren, einem Hybrid aus europäischer und amerikanischer Variante ohne Bitters, dafür mit Absinth und eben Cognac.

Apropos unglückliche Namensgebung: Den Casino Cocktail kennen Sie doch anders, oder?

Credits

Foto: König via Shutterstock.

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