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Zeste

Die Zeste: Rein oder Nichtrein, das ist hier die Frage

Die Zeste ist aromatisierendes Heiligtum und Garnitur in einem. Gehört sie aber auch in den Cocktail?Immer mehr Bartender bezweifeln das und gehen ihrer eigenen Wege. Wir haben uns umgehört, wie die ätherisch und ästhetische Hommage an den klassischen Drink gehandhabt wird.
Zesten. Grün, gelb, orange, aromatisch. Für viele Drinks der letzte Schliff und der letzte demütige Gruß vom Bartender an sein Werk, bevor er ihn auf die Reise zum Gast gibt. Haufenweise Bartender fächern mit ihnen in verschiedenen Stilen über dem Glas vor ihnen, kopieren dabei andere Kollegen oder vollführen kreativ ihren eigens entwickelten Showact.
Zusammengefasst also eine ätherische und ästhetische Hommage an den klassischen Drink. Doch wohin kommt danach die Zeste? An oder ins Glas? In den Zero Waste-Behälter oder in den Müll? Immer häufiger beobachtet man als Gast, dass die Bartender ihre Zeste tatsächlich nicht mehr „droppen“ lassen. Damit einher geht natürlich ein cleanerer Look, aber auch die Tatsache, dass für viele Drinks plötzlich nicht mehr automatisch eine Garnitur vorliegt. Im Zuge dessen reichen einige Bars ihre Drinks sogar ganz ohne Schmuck, auch unabhängig zur Zeste. Die nackigen Drinks können dabei trotzdem sehr gut aussehen. Wie so oft Ansichtssache, deswegen haben wir Meinungen von verschiedenen Bartendern gesammelt.

Die Zeste: Drop it like it’s hot?

Sven Goller, seit vergangener Woche pensionierter Gewinner des deutschen World Class-Finales von 2017, meint ganz klar, dass es auf den Drink ankommt oder halt auf den gesonderten Geschmackswunsch des Gastes. Ist der Cocktail ohne Eis, steckt er die Zeste beim Wunsch des Gastes gern an den Glasrand, mit einem gekonnten Schnitt durch den Rücken der Schale, so dass sie auch hält, denn dann kommt zum guten Aussehen auch noch der gute Geruch mit ins Spiel.
Serviert man den Drink aber auf Eis, würde er fast immer die Zeste oben auf das Eis setzen. In seinem Laden, dem Das schwarze Schaf in Bamberg, steht nach unserem Gespräch Marvin Woidt am Brett und mischt an einem warmen Sommertag viele Highballs, dreht dabei eine Zeste nach der anderen kraus und legt sie sachte oben drauf; das praktische Entgegenkommen einer Zeste, dass sie geschmacklich den letzten Pfiff herausholt und danach auch noch gut aussehen kann, wird hier definitiv ausgenutzt.
Drinks ohne Eis gehen an diesem Tag wenige, doch irgendwann wird dann doch mal ein Manhattan bestellt. Goller mischt ihn selbst und seiht ihn in eine schlichte Coupette ab, er zestet darüber eine Orange ab, gibt ihr Aroma an den Glasrand und behält sie dann für sich. Ist der Drink Straight up, meidet er das „Droppen“ der Zeste, denn dann „schwimmt sie irgendwie komisch unten im Glas und das sieht nicht gut aus“. Er steckt sie auch nicht an den Rand, denn manchmal braucht der Manhattan nichts mehr oben drauf und sieht in seinem Glas, mit einem leichten Hauch von Kondenswasser vom Stiel bis nach oben hin, schlichtweg einladend gut aus.

Zeste ziehen oder bleiben lassen

Phillip Fröhlich hat sein Brett im Trisoux München, er bestätigt die Aussagen von Sven Goller und meint, dass Zesten mit dem Drink „noch viel machen können“. Lässt man sie in den Cocktail fallen, zieht ihr Geschmack noch nach. Ad hoc fällt ihm da ein Negroni oder Manhattan ein. Hier lässt er gerne die Zeste in den Drink plumpsen, da kann sie sich geschmacklich noch entwickeln und dem Drink im Nachhinein noch anpassen.
Mit Dekoration hat das aber nichts zu tun, und Fröhlich setzt im Trisoux sehr viel auf die Optik der Drinks. Kaum einer kommt undekoriert, alles ist weit abseits von schlicht, aber in jedem Fall steht die Deko im Hintergrund zum vordergründigen Geschmack. Trotz alldem findet er es – neben Cocktails mit dekorativen Blaubeeren, Himbeeren oder britzelnden Pandanblättern – auch mal spannend, einen Drink mit gar keinem Schmuck zu servieren. Vor allem die Cocktails mit klassischem Grundgedanken kommen einzig und allein in einem Glas, sonst findet sich nichts daran. Im kunterbunt-wilden Trisoux wirkt das fast provokant schlicht und macht wahnsinnig neugierig auf den ersten Schluck.

Zeste und Zerstäuber

Noch einer, diesmal aus Berlin und mit einer etwas anderen Einstellung im Bezug auf Zitrusöle: Kersten Wruck, der seine Kreativität längst nicht mehr nur auf normalsterblicher Barebene austobt, zestet während der Öffnungszeiten kaum noch Zitrusfrüchte. In der Stairs Bar, seiner Arbeitsstätte, ist man insgesamt etwas eigen und versucht die Dinge nicht so zu handhaben, wie es viele andere tun.
Eigentlich müsste er seine Barweste gegen einen Laborkittel austauschen, denn für seine Ideen macht er immer häufiger Ausflüge in die Welt der Chemie. Sein nächster Kniff ist, die Aromen aus der Schale in einen Zerstäuber zu packen und dabei das exakt gleiche Geschmacksprofil zu erreichen. Mit der Zitrone klappt das schon sehr gut, bei der Limette ist er drauf und dran.
Bei Kersten Wruck wirkt das Servieren von Drinks ohne Zeste wie ein Zeichen für sein ganz eigenes Berufsverständnis. Er will wohl einfach mal umdenken und was anderes machen. Immer mit dabei ist sein Hintergedanke zur Nachhaltigkeit, der ihn antreibt und ihn kreativ macht. Diese Einstellung ist bereichernd und führt letztendlich dazu, dass seine Cocktails im cleanen Look gekleidet sind.

Eine Aussage. Vielleicht aber auch nicht …

Unabhängig zu den drei genannten Bartendern gäbe es noch viel mehr Meinungen über den Umgang mit Zesten, oder Dekoration im Allgemeinen. Vor etwas mehr als zehn Jahren hat sich die Zeste im oder am Glas als eine Art Garnitur-Allzweckwaffe eingebürgert – auch, weil sie stets der Gegenentwurf zur lieblosen Zitronenscheibe war, die so viel weniger elegant ist und einen Drink so viel weniger bereichert. Regeln aber gibt es so gut wie keine. Als Bartender kann man sich austoben und mit den eigenen Ideen spielen. Eine kleine Tendenz der letzten Zeit scheint es zu sein, wie Goller oder Wruck in vielen Fällen eher im Sinne einer kontrollierbaren Aromatik auf den „Drop” der Zeste zu verzichten. So, wie es etwa der Berliner Altmeister Gonçalo de Sousa Monteiro in seinem Buck & Breck schon lange praktiziert. Das Geheimnis ist der Hintergedanke, der Sinn oder vielleicht sogar die Message. Wenn ein Bartender sich für den cleanen Look im Cocktail entscheidet, steckt vielleicht mehr dahinter, als man meint. Im besten Fall geht es dann nämlich gar nicht um den Look.

Credits

Foto: Tim Klöcker

Comments (3)

  • Zestenmeister

    Es könnte wirklich keinen unnötigeren Artikel geben. Lesen Sie nächste Woche: “Rühren im Uhrzeigersinn oder dagegen”

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  • Nicklamer

    Ich fand den Artikel ehrlich gesagt durchaud interessant

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  • Martin

    Hallo Zestenmeister, tatsächlich finden wir rühren im Uhrzeigersinn nicht gut. Wir erstellen schon seit Monaten Excel-Listen über verschiedene Rührmodi und melden uns bald dazu bei dir.

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