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Gruselbräu oder Geschmackswegweiser?

Letzte Woche warfen wir ein Auge auf Fehlgeschmäcker beim Craft Beer und wie sie entstehen. Wie kann ich als Biertrinker aber feststellen, ob ich einem Braufehler aufsitze oder ein gewagtes Brauexperiment im Glas habe?
Vor ein paar Jahren war es noch recht einfach herauszufinden, ob mit dem Pils in der Flasche etwas nicht stimmt. Durch die mittlerweile auch in Deutschland angekommene Craft-Beer-Bewegung ist das, zum Glück, immer schwerer. Pale Ale, IPA, Black IPA, Imperial Stout, Flämisch Red, Gose, Black Sour Imperial Dark Red Strong … oha, kompliziert. Die Insiderszene schwimmt in immer verrückteren Stilbrüchen, Fusionen, Neuinterpretationen und Kreativanfällen.
Dem Fehler auf der Spur
Einerseits toll, andererseits wird auch so manch Braufehler als Innovation getarnt oder mit einer doppelten Portion Hopfen übertüncht und Thorsten Schoppe meinte beim letzten BrewBerlin-Meet-up augenzwinkernd: das sei das Gute am Craft Beer, wenn der Sud mal nichts geworden ist, verkauft man es einfach als Sauerbier.
Leider steckt in diesem Scherz bei vielen Brauereien mehr als nur ein Malzkörnchen Wahrheit. Ein Grund für den Siegeszug des IPA in den USA ist eben auch die Möglichkeit ein halbwegs schmackhaftes Bier zu brauen, wenn man keine Ahnung oder schlechte Ausrüstung hat. Ein wirklich gutes IPA zu brauen ist wiederum eine ganz andere Hausnummer. Einen missratenen Sud zu erkennen ist eine nicht immer einfache Aufgabe, aber ein paar Ansätze helfen den Fehlern auf die Spur zu kommen:
Der Blick zum Etikett
Oft lassen sich aus dem Etikett schon erste Ideen gewinnen wie das Bier schmecken soll. Der Biertyp sollte nicht als Dogma verstanden werden, das die Qualität abweichender Biere automatisch herabstuft. Dennoch liefert er einen Hinweis darauf, welche Geschmacksrichtungen zu erwarten sind und welche nicht. Während ein Oud Bruin und daran angelehnte Belgische Sauerbiere durchaus in Richtung Balsamicoessig tendieren können, ist eine derartige Säure bei einem Pils eindeutig fehl am Platze und weist auf eine ungewollte Infektion hin. Auch die Säure einer gut gebrauten Berliner Weisse ist fruchtig klar und nicht muffig schwer.
Verkosten geht nicht nur beim Wein
Um diese Feinheiten aromatisch zu ergründen, muss man Bier bewusst in Ruhe aus einem bauchigen Glas genießen. Dabei geht es gar nicht darum, jedes Bier zu Tode zu analysieren und peinlichst genau auf kleinste Fehler zu prüfen. Viel mehr setzt man sich mit dem Bier ebenso intensiv auseinander wie beispielsweise mit einem gut gemachten Cocktail oder eben Wein. Mit der Zeit lernt man die Charakteristika der verschiedenen Biertypen kennen und kann immer besser einschätzen, ob ein gewisser Geschmack sich harmonisch in das Aromaprofil fügt oder einfach nur stört. Wer es ganz genau wissen will, kann einen der zahlreichen Lehrgänge besuchen oder sich zum Beerjudge ausbilden lassen. Will man sich diese Investition sparen und es etwas gemütlicher angehen lassen, bieten Referenzbiere der einzelnen Biertypen eine gute Orientierung für den Einstieg:
– Das Samuel Smith Imperial Stout ist klar, geradlinig und sehr sauber gebraut.
– Auf der Suche nach einer Idee was die neuen amerikanischen Interpretationen von Pale Ale und IPA bieten? Firestone Walker ist auch in Deutschland gut erhältlich und zeigt mit dem Pale 31 und dem Double Jack beeindruckend wie Hopfenintensität in einem Malzbett ausbalanciert wird.
– Darf es mal Sauer sein? Die Boon Oud Geuze ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber technisch einwandfrei umgesetzt. Am besten einen cremigen Ziegenkäse und getrocknete Aprikosen dazu.
Redaktionell gestützte online Bierverkostungsportale wie dem Bier Index und zahlreiche Bierawards helfen dabei herauszufinden, welche Biere als Referenz dienen können.
Seid dabei ehrlich zu euch selbst
Klingt einfacher als es manchmal ist. Wenn man den Brauer kennt oder eine Brauerei grad als hipper Szeneinsidertip gilt, fällt es manchmal schwer objektiv zu bleiben. Aber gerade im Craft-Beer-Bereich gilt zum einen, dass Experimente manchmal im Desaster enden, zum anderen will Craft-Beer polarisieren. Getreu dem Motto: Es gibt kein Bier, das jedem schmeckt, aber es gibt für jeden ein Bier, das ihm schmeckt. Da darf man den Herren Mikkeller ruhig schon mal sagen, dass man ihr Beer Geek Breakfast zu bitter und unausgewogen findet, sie haben sicher noch etwas im Portfolio, das den persönlichen Geschmack eher trifft.
Letztlich gilt einfach: wenn es mir schmeckt, schmeckt es mir. Denn wie ein Bier mit Bullenhoden schmecken sollte, kann auch ich nicht beantworten…
 
Offenlegung: Robert Pazurek ist Mitbegründer des deutschen Bierbewertungsportals www.bier-index.de
 

Credits

Foto: Hund via Shutterstock

Comments (3)

  • Simme

    Kann jemand ein gutes deutsches Craft Beer zum starten empfehlen? Auf Bier-Deluxe gibt es beispielsweise eine riesen Auswahl aber hat jemand von euch schon probiert?

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    • Robert Pazurek

      Hallo Simme, für den Anfang finde ich die Pale Ales von Schönramer, CrewRepublic, Ratsherrn und Maisel gut geeignet. Auch BraufactuM hat ein paar tolle leichtere Biere im Programm wie das Colonia oder ganz neu The Brale. Davon ab kommt es ganz darauf an wo du wohnst, in Berlin kann ich zum Beispiel empfehlen mal im Hops & Barley vorbeizuschauen.
      Noch mehr Inspiration in die Richtung findest du in unserer Biertopliste: http://www.bier-index.de/biere/
      Cheers
      Robert

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  • jan

    Ein sehr interessanter Artikel, auf den ich erst jetzt gestoßen bin… Ich habe neulich ein Roggenbier gebraut, das leicht süß-sauer schmeckt.
    Manche sagen das Bier schmeckt “interessant” (was für mich gleichbedeutend ist mit “schei**e” – nur eben höflich ausgedrückt) und andere finden das Bier richtig genial; gerade als Speisenbegleiter.
    Ich selber gehöre zur Fraktion, die das Bier interessant findet (sauer gehört für mich eigentlich nur in ein Lambic…).
    Nun suche ich schon seit ein paar Wochen händeringend nach einem Referenzbier, das zu 100% aus Roggen gebraut wurde.
    Wenn jemand da eine Empfehlung hat bitte nur her damit. Danke und prost
    jan

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