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Fünf Fakten über Roggen von Ursprung bis Verarbeitung

Fünf Fakten über Roggen: Ursprung, Eigenarten und Verarbeitung

Rye Whiskey erfreut sich bei amerikanischen Brennern großer Beliebtheit, aber auch im europäischen Raum gibt es immer mehr Rye Whiskey. Dabei bauen die USA im Vergleich wenig Roggen an, und das dunkle Korn unterscheidet sich deutlich von anderen. Wir zeigen fünf Fakten über Ursprung, Eigenarten und Besonderheiten von Roggen.

Sie jammern seit Jahrzehnten: Blind Lemon Jefferson, Tex Ritter, aber auch John Lee Hooker und Nick Cave waren sich einig, „If I don’t get rye whiskey I surely will die“. Die Textzeile aus dem Blues „Rye Whiskey“, besser bekannt als „Jack of Diamonds“, zeigt, welchen Stellenwert der Roggen-Brand in den Vereinigten Staaten hat – das akzeptiert offenbar auch Brigthons bekanntester Australier Cave. Doch eigentlich wurde das Getreide ja nicht zum Brennen kultiviert, auch wenn es immer eine berauschende Seite hatte, wie unser Fakten-Check zum Thema Roggen ergab.

1) Ein alter Migrant, das „deutsche“ Brot-Getreide

Das Getreide, das die antiken Römer immer „barbarisch“ bezeichneten, weil es nördlich des Reichs seine Freunde hatte, stammt eigentlich aus dem Iran. Von Russland aus fand die eigentliche Begleitpflanze, um nicht besseres Unkraut zu sagen, in die Felder Nordeuropas Eingang. Der geringe Anspruch an den Boden führte dazu, dass es auch in alpinen Lagen wie dem Salzburger Lungau regionalen Anbau gibt („Tauernroggen“). Viele Ortsnamen, die reute oder reit beinhalten, verdanken sich den Rodungen, die hier durchgeführt wurden. Speziell im Mittelalter breitete sich der Roggen über weite Teile Mittel- und Nordeuropas aus. In dieser Zeit entstand im Zisterzienser-Stift Zwettl auch die erste abendländische Malerei, die die Ernte deutlich darstellt. Das Altarbild des Hl. Bernhard zeigt zwei Mönche beim Roggenschneiden.

2) Schmierige Sache: Brauen mit Roggen

Heute umfasst das weltweit größte Vorkommen Deutschland, Polen, das Baltikum, Skandinavien und die Ukraine sowie Russland. Die Ähren können – je nach Sorte – bis zu zwei Meter hoch werden. Der Anbau des so genannten Winter-Roggens erfolgt dabei im Herbst, meist Ende September. Dann treibt das Getreide im nächsten Jahr und lässt ab Juni die Felder blau-grau schillern, bis die Ernte erfolgt. Der hohe Anteil an Klebereiweiß sorgt für eine Eigenschaft, die neben den Bäckern vor allem auch Brennern und Brauern bekannt ist.

„Der Roggen schmiert sehr“, bringt es Karl Theodor Trojan von der Schremser Brauerei auf den Punkt. Sie liegt im Waldviertel, dem wichtigsten österreichischen Roggen-Anbaugebiet, und hat mit dem „Schremser Roggen“ eine leicht süßliche Bierspezialität geschaffen. Kein leichter Weg, wie Trojan durchblicken lässt, der im Gegensatz zu vielen „Hopheads“ unter den Brauern ein Malz- und somit Getreide-Fan ist. „Technisch hat der Roggen beim Brauen nur Nachteile“, gibt sich der Lebensmitteltechnologe keiner Illusion hin. Beim Aroma hingegen punktet das Brotgetreide. Und so machen heute Anis, Zimt und Gewürznelke die speziellen Noten des Roggenbiers aus.

3) Kein Rogg-Star: Der Verlust des Korns

Auch wenn die Sauerteig-Brote seit einiger Zeit auch in Hipster-Hausen boomen, weltweit ist der Roggenanbau rückläufig – um gute 80% ging diese Feldfrucht beispielsweise in Österreich in den letzten 80 Jahren zurück, 48.000 Hektar sind es dort aktuell. Weltweit machen die sechs Millionen Hektar Roggen-Fläche etwa ein Dreißigstel der Fläche für Reis oder Mais aus, Weizen wird fast 40-mal so viel angebaut wie Roggen.

Hinzu kommt, dass mittlerweile auch die Vielfalt der Sorten verloren geht; auch beim Roggen sind die Hybrid-Sorten auf dem Vormarsch. Sie bringen zwar 10 – 20% mehr Ertrag, aber nur im ersten Jahr. Statt wie früher beim „Populationsroggen“ das eigene Saatgut zu verwenden, müssen daher jährlich für die Aussaat Samen nachgekauft werden.

4) Hard Rogg: Er macht‘s Brennern nicht leicht

Die Whisky-Brenner haben ebenfalls ihre liebe Not mit dem Roggen, auch wenn der würzige Geschmack ihn als wichtigen Partner des süßeren Mais in den diversen Mash Bills unverzichtbar macht. „It’s less juice for the squeeze“, bringt Canadian Club-Sprecherin Megan Kopf das Problem mit dem hohen Glukose-Anteil und den harten Spelzen des Roggens auf den Punkt, „im Schnitt ergibt das 15 Prozent weniger Destillat als Mais“.

Denn die Probleme setzen schon beim Roggenmalz ein, auf dem auch die Rye Whiskeys basieren. Dieses ist aufgrund der spezifischen Getreide-Eigenschaften nicht leicht zu erzeugen. Johann Plohberger von Plohberger Malz aus Grieskirchen im Pongau weist auf das Problem mit der dünnen Samen-Schale, der „Testa“, hin: „Roggen ist leicht verletzlich und sehr empfindlich beim Mälzen. Er benötigt aber auch einen schonenden innerbetrieblichen Transport“. Der Großteil des europäischen Roggenmalzes geht heute in die Backmittel-Industrie, hauptsächlich für dunkles Brot mit mehr Geschmack und Rösche, also Knusprigkeit.

5) Ein Gebet im Kornfeld: Das heilige Feuer

Auch abseits des Brennen und Brauens sorgt der Roggen für Rausch. Hunderttausende sollen dem „St.-Antonius-Feuer“ erlegen sein, wie das Krankheitsbild nach Roggen-Genuss im Mittelalter auch genannt wurde. Aus dem „Mutterkorn“-Pilz entsteht ein giftiges Alkaloid, von dem sechs Gramm tödlich sein können. Der Roggenparasit, der eine Schwarzfärbung des Korns bewirkt, löst Muskelkontraktionen aus, unter anderem eben bei Geburten. Seit dem Mittelalter sorgte vor allem bei großer Feuchtigkeit das Mutterkorn im Roggenmehl für regelrechte Epidemien. „Ergotismus“, so der wissenschaftliche Name der Krankheit, betraf dann ganze Landstriche, zumal Roggen als Korn der Armen galt.

Neben brennenden Schmerzen, auf die Namen wie „St. Antonius-Feuer“ oder „ignis sacer“ (Heiliges Feuer) anspielen, traten auch Krämpfe und Psychosen auf. Auch die berühmte Entdeckung des Schweizers Albert Hofmann, der 1943 Lysergsäurediäthylamid synthetisch herstellte, basiert auf den Alkaloiden des Mutterkorns. LSD entstand als Nebenprodukt auf der Suche nach einem Kreislaufmittel. Literarisch wurde der Trip im Kornfeld von Leo Perutz verewigt. In „St. Petri Schnee“ lässt er den Gutsherrn von Malchin im Westfälischen schwadronieren:

„Es gibt – oder es gab – eine Getreidekrankheit, die in früheren Jahrhunderten oft beschrieben worden ist, und in jeder Gegend, in der sie auftrat, war sie unter einem anderen Namen bekannt. In Spanien hieß sie ‘die Magdalenenflechte’, im Elsaß ‘der Armen-Seelen-Tau’. Das ‘Arztbuch’ des Adam von Cremona beschrieb sie unter dem Namen ‘Misericordia-Korn’, in den Alpen war sie als ‘St.Petri-Schnee’ bekannt. In der Umgebung von St. Gallen nannte man sie den ‘Bettelmönch’ und im nördlichen Böhmen die ‘St. Johannis-Fäule’. Hier bei uns im Westfälischen, wo sie besonders oft auftrat, hieß sie bei den Bauern ‘der Muttergottesbrand’.“

Den Zusammenhang zwischen religiösem Wahn und befallenem Roggen, um den es im Roman geht, gibt es vielleicht sogar wirklich; die New Yorker Psychiaterin Sharon Packer hat zumindest die Entstehung jüdischer Sekten im 19. Jahrhundert in Osteuropa mit Ergotismus verknüpft (im Aufsatz „Jewish Mystical Movements and the European Ergot Epidemics“).

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Oktober 2016 auf MIXOLOGY Online. Die letzte redaktionelle Überarbeitung erfolgte im Januar 2024.

Credits

Foto: Vlad Klok - stock.adobe.com

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