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Einer für Alles: Hans Reisetbauer

Der Mann ist eine Wucht! Hans Reisetbauer destilliert in Oberösterreich ein paar der besten Edelbrände der Welt.

Doch weil sein Kosmos keine Grenzen kennt, füllt er auch Whisky und Gin ab. Manfred Klimek entführt uns in drei Geschichten, die die Person Hans Reisetbauer am besten beschreiben.

Erste Geschichte

Ich komme spätabends in Kolja Kleebergs Berliner Restaurant VAU. Der damalige Sommelier Hendrik Canis bringt mich an einen Tisch, wo Hans Reisetbauer und der Winzer Bernhard Ott gerade den vierten Gang eines achtgängigen Menüs in ihre Bäuche schieben – dazu leeren sie ein paar Flaschen der besten Weine der Welt.

Das VAU ist die letzte Station einer Zwei-Tages-Tour, und Reisetbauer ist gut gelaunt, denn gerade eben hat er eine weitere Auszeichnung für einen seiner Birnenbrände bekommen.

Nach dem achten Gang – es ist inzwischen eine halbe Stunde vor Mitternacht – frage ich Reisetbauer, in welchem Hotel er denn wohne.

Der starrt mich nur an und grummelt: „Wöches Hotel?“ Na in welchem Hotel er denn wohne? „I wohn in kaan Hotel, I foar ham und schlof in meim Bett.“ Aber es ist schon knapp Mitternacht. „Na und? Den Ott foa I aa no haam!“

Sprach’s, sprang in seine Karre – der dicke Winzer Ott auf dem Beifahrersitz – und fuhr ab. Nach Linz. Um Mitternacht.

Vier Stunden und 45 Minuten später bekomme ich eine SMS von Ott. „Bin daham“ (Niederösterreich). Eine weitere Stunde später ist auch Reisetbauer in seinem Vierkanthof in Axberg bei Linz (Oberösterreich) angekommen.

In seiner SMS bloß der lapidare Satz: „Um neun muss ich wieder aufstehen.“ Zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh lagen ein voller Bauch und knapp 800 Kilometer Asphalt. Viele davon auf der Landstraße.

Zweite Geschichte

Hans Reisetbauer holt mich in Linz vom Bahnhof ab und wir fahren auf der Landstrasse nach Axberg. Auf einmal sehe ich einen unbemannten Mähdrescher neben der Fahrbahn rollen.

Der Fahrer läuft vom Fahrzeug weg und hält sich die Hand. Ich ahne: Da ist etwas geschehen; etwas, von dem man nicht viel wissen will, von dem man aber gleich zur Genüge erfährt.

So ist es auch: Der Unglückliche – noch dazu ein Bekannter Reisetbauers – hat sich den halben Arm abgesäbelt und mit Stoff einen Druckverband gemacht.

Trotzdem blutet er wie Sau. Reisetbauer zwängt ihn auf den Rücksitz und rast – während er die Ärzte anruft – mit knapp 200 Sachen durch die Dörfer, hupt, gestikuliert und überholt, wo man nicht mehr überholen sollte.

Nach wenigen Minuten ist das Unfallopfer unterm Messer. Und Reisetbauer fährt uns – ich bleich, wie der Novembernebel – seelenruhig zum Mittagessen.

Dritte Geschichte

Hans Reisetbauer sitzt in seiner Brennerei. Man glaubt ja immer, dass solche Räume riesig sind. Oder zumindest eine imposante Größe aufweisen müssen.

Doch in Reisetbauers Brennerei stehen bloß drei Maschinen; Kupferkessel und silberne Rohre, die weit weniger Platz einnehmen, als man bei einem solchen Großbrenner annehmen würde.

Reisetbauer brennt heute Birnen. Wieder mal. Birnen aus einem Garten vor seiner Türe. Rote, saftige, geile Birnen. Zermalmt und zu Brei verarbeitet.

In den Kesseln blubbert es bedrohlich, von einem Rohr rinnt Wasser in einen Eimer. Lampen blinken, irgendwas pfeift. Doch Reisetbauer schläft. Er ist einfach eingepennt.

Auf einem alten, blauen Bürosessel mit abgeschürften Armlehnen. Er schnarcht. Ein großartiges Bild. Völlig klar: Irgendwann muss der Mann ja auch mal Pause machen. Aber ausgerechnet jetzt? Sollte er da nicht hellwach sein?

Auf einmal reißt es Reisetbauer aus dem Schlaf, als hätte ihm ein Soldat, tief drin im Hirn, das Bajonett angesetzt.

Es springt auf, greift an die Hebel, verrichtet in Sekundenschnelle seit Jahren eingeübte Handbewegungen, glotzt durch das Bullauge auf die heiße Brühe und sagt: „Fertig!“
So geht Instinkt.

Vierte Geschichte

Habe ich vorher nicht von drei Geschichten gesprochen? Ach was, wenn wir schon mitten im Erzählen sind, gleich weiter. Hans Reisetbauer ist groß, die Haare sind in den letzten Jahre etwas schütter geworden, die Erscheinung nach einer kurzen Krankheit auch etwas dünner.

Doch ist er immer noch das, was man in Österreich einen „Lackl“ nennt. Und Pause kennt der Mann keine. Heute sitze ich ein weiteres Mal in seinem schönen, etwas kühlen Verkostungsraum in Axberg.

Gerade sinkt die Sonne hinter die Voralpen und Reisetbauer knallt einen seiner aktuellen Brände auf den Tisch. Es ist ein Whisky. Ein Single-Malt.

Gesehen hat Reisetbauer das mit dem Whisky – der nicht aus Schottland, Irland oder Kentucky stammt – bei den Japanern.

Das musste vor 20 Jahren nicht jeder wissen. Dass die Japaner auch Whiskies machen. Was Reisetbauer aber nicht ahnte, was ihn verblüffte!, war, wie gut diese japanischen Whiskies schmecken.

So einen Whisky kann man auch in Axberg brennen. Eventuell sogar einen besseren, einen der besten der Welt.

Also hat Reisetbauer ein paar Hektar der so genannten Sommerbraugerste gepflanzt, im Bierland Oberösterreich nichts Ungewöhnliches. Den Malzbrand hat Reisetbauer in gebrauchte, kleine Eichenfässer gefüllt.

In zwei dieser Fässer reifte zuvor der weithin bekannte Chardonnay „Tiglat“ des Winzers Heinz Velich. In den anderen zwei eine Trockenbeerenauslese von Alois Kracher, also einer jener Weine, die bei Robert Parker immer 99 oder 100 Punkte bekommen.

Die Fässer hat Reisetbauer dann in seinen Keller gerollt. Und dort mal vergessen.

Jetzt steht dieser 16 Jahre alte Single-Malt auf dem Tisch. Und schmeckt atemberaubend. Was ist der Unterschied?

Ich sage: Die Kraft und das Toasting der Fässer. Reisetbauers Single-Malt aus 1998 hat eine dunkle Würze, Schwarzbrotrinde, etwas Kreuzkümmel, Räucherspeck, frische Grieben mit Salz, Haselnüsse und Torf.

Und dann mischt sich der helle Räucherton der Medium-Fässer des Tiglat mit dem schweren Toasting der Trockenbeerenauslese, die auch eine leichte Süße hinterlässt. So wie gebrauchte Portweinfässer bei manch schottischen Whisky.

Reisetbauer grinst seinen bekannten „Ich weiß eh, dass ich der beste bin“- Grinser und schenkt sich noch ein Glas ein. Das mit den dicken Zigarren hat er schon vor einiger Zeit hinter sich lassen.

Fünfte Geschichte

Das wäre die mit dem Gin. Reisetbauer macht auch einen Gin. Er nennt ihn Blue-Gin und der Gin ist in Bars sehr beliebt. Doch Reisetbauer erwähnt ihn nicht oft.

Und auch auf seiner Homepage kann man ihn nicht finden. So, als wolle er seinen Gin gar nicht promoten. Warum ist das so? Ich weiß es auch nicht. Ich werde ihn fragen.

Beim nächsten Mal. Wenn ich wieder in Axberg bin. Und das Trinken überlebe.

 

Der vorliegende Text erschien zuerst im MIXOLOGY MAGAZIN 2/2014. Informationen zu einem Abonnement finden Sie hier.

Credits

Foto: Hans Reisetbauer via Manfred Klimek

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