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Kaiser Gin: Apfel-Upcycling auf der Hohen Wand

Auch das neue Jahr lässt den Gin-Nachschub nicht versiegen. Aus dem voralpinen Österreich kommt die Antwort auf die nächste Frage. Muss denn immer Neutralalkohol am Anfang des Mazerierens stehen? Sie lautet „Nein“ und fällt kaiserlich aus.

Zwetschge, Birne, Kirsche und Marille, vielleicht noch Quitte, stehen am Programm, wenn die Brenner der „Schnapsmeile Hohe Wand“ sich alljährlich Anfang Januar treffen. Diesmal allerdings fand sich auch ein Exot bei der Leistungsschau am bekannten österreichischen Ausflugs- und Kletterberg. Andreas Sederl von der Fruchtwelt Mohr-Sederl kredenzte seinen Kollegen erstmals auch einen Gin. Dabei hatte der unter anderem in der Schweiz zum Fruchtbrenner ausgebildete Niederösterreicher lange mit internationalen Spirituosen wenig zu tun. „Eigentlich kam ich erst durch mein Segelfreunde zum Gin“, erzählt der Zweiersdorfer, der mehrere Jahre an den Versuchs-Chargen arbeitete.

Vom Rückstand zur Grundlage

Die technische Herausforderung bei seiner neuesten Spirituose, die er „Kaiser Gin“ taufte, lag im Verzicht auf den sonst üblichen Neutralalkohol. Schließlich findet sich genug „brennbares“ Material an Sederls Hof, der mit Fruchtsäften und Edelbränden Bekanntheit erlangt hat. Letztlich entschied er sich für ein Vorgehen, dass bereits eine kostengünstige Variante zum Edelbrand aus der Himbeere ergab, seinen Himbeer-Trester. Dabei werden die in der Menge immer noch aromakräftigen Rückstände der Saftproduktion destilliert. Für seinen Gin bildet Alkohol aus dem wichtigsten Obst der „Fruchtwelt“ die Basis – Apfel-Geläger-Brand. Womit dem Wacholder, der ja laut europäischer Spirituosenverordnung das dominante Aroma stellen muss, ein kräftiger Widerpart erwächst.

Der „falsche“ Kaiser als Pate

Der Zeitpunkt des Gin-Launchs ist nicht schlecht gewählt – 2016 begeht Österreich den 100. Todestag Kaiser Franz Josephs. Den lieben nicht nur die Touristen und „Sissi“-Fans. Die knapp zweijährige Regierungszeit Kaiser Karls I. blendet man in Österreich gedanklich gerne aus, der gefühlt „letzte Kaiser“ ist der backenbärtige Franz Joseph. Doch nicht dem 1916 verstorbenen Reaktionär, der seine Untertanen in den Ersten Weltkrieg trieb, ist das Getränk gewidmet, sondern Kaiser Karl VI. Er war es, der unweit von Andreas Sederls Betrieb bei der Jagd eine Quelle entdeckte. Das Wasser vom Fuß des Schneebergs schmeckte dem Habsburger, und zunächst kam es in Fässern nach Wien. Ungeachtet dieser romantischen Story speist sich ein Teil des Wiener Leitungswassers bis heute aus diesem „Kaiserbrunn“, die 1869 und damit unter Franz Joseph begonnene 1. Wiener Hochquellenwasserleitung transportiert es in die österreichische Hauptstadt.

Das Wasser passt also, doch welche Botanicals wurden dem Apfel-Geläger-Brand beigefügt? „Anfangs wurde ich schräg angeschaut, wenn ich wieder einmal Flieder pflücken ging“, lacht der Kaiser-Gin-Erfinder. Daneben dürften auch noch Lavendel und Kümmel im Spiel sein, die den Apfel würzig ergänzen. „Nach Möglichkeit sollten sie aus Österreich sein“, setzt man auch abseits der selbst gezupften Aromastoffe auf Regionalität. Die transparente Flasche mit der Kaiserkrone und den Wacholderbeeren hingegen wirkt in ihrem Minimalismus (Entwurf: Wolfgang Hartl) recht international.

Wacholder, Apfel und Yoghurt

In der Verkostung erinnert der herb-florale Duft fast an einen Tannenwald. Der Wacholder tritt gegen dieses leicht harzige Aroma in den Hintergrund, Lavendel und etwas weißer Pfeffer kommen durch. Am Gaumen ist der im Geruch noch recht kantige Gin mit 42% Vol. dann angenehm weich, die Aromen sind zarter. Den grünen Apfel schmeckt man, allerdings ist auch eine Schalen-Bittere dabei, die den Hohe Wand-Gin lang und mit einer schönen Würze ausklingen lässt.

Sederls mixologische Empfehlung basiert natürlich auf seinen Säften, der „Heisse Kaiser“ etwa mischt den Gin aktuell mit erwärmtem, hauseigenem Winter-Apfelsaft (naturtrüb, mit Zimt und Nelken) im Verhältnis 1:5. Die spannendste Variante allerdings servierte Kan Zuo in der Wiener Sign Lounge. Der bei den MIXOLOGY BAR AWARDS zweifach für die „Bar des Jahres Österreich“ ausgezeichnete Wiener kombinierte den „Kaiser“ spontan mit einem türkischen Yoghurt-Tee. Der voralpine Apfel-Wacholder-Mix liefert offenbar genug Kombinationsmöglichkeiten – der Gin-Schwemme zum Trotz.

 

Credits

Foto: Kaiser Karl VI., Gemälde um 1800 von J. G. Auerbach via Wikipedia

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