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Alkoholprobleme: Plagiate in der Flasche

Gefälschte Weine und Spirituosen sind der Kropf der Alkoholbranche. Ein leidiges Gebrechen als Symptom weltweit wachsenden Luxus. Wir wagen den Blick auf eine millionenschwere globale Schattenwirtschaft.

Roberto ist Zöllner in Italien. Also dem Stiefelland, das durch teilweise klaffende Lohnunterschiede bei Staatsangestellten zwar seine Notare zu Millionären macht, aber wiederum Löcher in die Geldbeutel seiner Exekutive tritt und so selbst den Nährboden für Korruption schafft. Daher ist Roberto auch stolzer Porschefahrer. Und Harley-Besitzer, Hobbypilot sowie Hauseigentümer in einer Region von Italien, wo bereits die Grundfläche für den Briefkasten ein Vermögen kostet. Dass er und einige seiner Kollegen diesen Lebensstil haben, weil sie auf den Gehaltslisten der italienischen Mafia stehen, ist dabei nicht mal ein richtiges Geheimnis sondern immer mal wieder nettes Thema im Freundeskreis.

Im Gegenzug dafür schaut man bei einigen Containern mal nicht hin, winkt Wagen und LKWs mit bestimmten Kennzeichen an Kontrollen vorbei und schönt die Berichte. Was in den Frachtpapieren steht, spielt ja ohnehin keine Rolle. Drogen, Waffen, Gucci-Täschchen und Prada-Slipper, Parmaschinken, Spirituosen oder Wein. Denn ein weiteres dieser merkwürdigen italienischen Geheimnisse ist das große Engagement der Mafia und kleinerer Banden im Geschäft mit gefälschten Markenspirituosen, vor allem Whisky, und vermeintlich exquisiten Jahrgangsweinen der großen italienischen und französischen Domaines.

Erst Anfang Februar dieses Jahres flogen Produktfälscher aus Padua auf. Mit preisgünstigem Prosecco füllten sie Champagnerflaschen, verkorkten, umkapselten das Ganze auf eine dem Original ähnliche Weise und etikettierten „Moët & Chandon“ auf die Glasware. Geschätzter Marktwert: 1,8 Millionen Euro. Dass dies jedoch nur ein eher kleiner Fall war, zeigt vor allem der Blick ins Reich der Mitte. Denn besonders in China floriert das Business mit gefälschten Flüssigwaren.

Let China Sleep. For when the Dragon awakes, she will shake the world.“ – Napoleon Bonaparte

Alles begann im großen Stil Anfang der Neunziger- und vor allem Nullerjahre, als Weine vom Konsumgut mehr und mehr zum Spekulationsobjekt wurden. Durch Chinas neue monetäre Eliten, dem einen superreichen Bevölkerungsprozent der sogenannten „Bao Fa Hu“, wurde der weltweite Markt für Luxusgüter neugeordnet. Und dabei wurde die Orientierung am Westen zum Vorbild, den neuen Reichtum auszudrücken. Nach Schweizer Uhrenherstellern, italienischen Modelabels und deutschen Autos fiel das Interesse des erwachten Drachens schnell auf die klingenden französischen Anbaugebiete mit ihren Châteaux und ihrem Prestige. Margaux, Cheval Blanc, Latour – jene großen Namen, deren Mythos über Jahrhunderte durch Könige und Staatsmänner geprägt wurde. Allen voran: Lafite-Rothschild.

Mit dem neuen, exponentiell gewachsenen Nachfragedruck auf diesen traditionellen Markt und seine naturgegebene Limitierung durch Boden, Sonne, Regen, Wind und Temperatur, schossen auch Preise in unglaubliche Höhen. Lafite-Abfüllungen des Jahrhundertjahrgangs 1982 und andere exzeptionelle Grand Crus verzeichneten Preisanstiege von mehr als 1.000 Prozent über die letzten zehn Jahre. Große Weine werden längst wie Gemälde gehandelt, erlösen schwindelerregende fünfstellige Summen auf Auktionen, sind zu Statussymbolen, Investments und Trophäen erwachsen. Mehr als zwei Drittel der weltweiten Spitzenweine und Whiskyraritäten werden nie getrunken, sondern haben ihre Existenzberechtigung einzig als Vermögensanlage; wertstabiler als Gold und Indizes. Der Kreis von Menschen, die wissen, wie ein 50-jähriger Dalmore oder 2016er Yamazaki Sherry Cask schmeckt, ist ebenso verschwindend gering wie jener, die mit ungetrübter Sicherheit einen schier unerschwinglichen Romanée-Conti von einem anderen guten Burgunder ähnlichen Jahrgangs unterscheiden können. Es ist ein wahres Paradies für Fälscher! Eine ganze Millionenindustrie mit langem Schatten.

So „gibt“ es nach statistischen Erhebungen allein im chinesischen Markt mehr Flaschen des legendären 82er Lafite, als überhaupt jemals in Frankreich produziert wurden. Und selbst leere Originale dieses Jahrgangs werden mittlerweile zwischen 500 und 800 Dollar gehandelt, um sie neu füllen zu können. „Meistens“, erklärt Nikolas von Haugwitz, Geschäftsführer für Marketing und Einkauf beim Hanseatischen Wein- und Sektkontor, „steckt in diesen Fälschungen dann ja tatsächlich nicht einmal ein schlechter Wein, oft sogar ein sehr guter. Nur eben kein exzeptionell guter.“ Denn anstelle eines Premier Cru Vintages werden nicht selten ähnlich alte Bordeaux-Weine verwendet, nur eben deutlich minderer Qualität.

Ein Umstand, der es bisher insbesondere bei vermeintlichen Originalflaschen fragwürdiger Herkunft schwer macht, den Inhalt genau zu taxieren und im Alter zu bestimmen, ohne den Korken ganz zu ziehen. Eine vollständige Gewissheit gibt es daher oft nur gegen Wertverlust.

Und so kommt es auch immer wieder vor, dass vermeintliche Spitzenweine in etablierten Restaurants auftauchen oder in den Kellern bekannter Händler und Sammler zu finden sind, obwohl die Flaschen und damit verbundene Emotionen nichts als wertlose Täuschung sind. „So etwas ist natürlich sehr, sehr fatal“, weiß Nikolas von Haugwitz. „Es ist für Händler und Gastronomen ein riesiger Reputationsschaden, ein Gesichtsverlust und kann ruinöse Auswirkungen haben.“ Diese Welt des Weins ist sehr klein und man kennt sich untereinander. Umso gravierender ist es, wenn einst langwierig aufgebautes Vertrauen in diesen Kreisen zerbricht und der eigene Name nur noch verbrannte Asche ist.

Ein globales Problem

Das mussten auch die legendären Fälscher Hardy Rodenstock und Rudy Kurniawan merken. Beide zogen von Deutschland und den Staaten aus die Weinwelt jahrelang mit angeblichen Sensationsfunden seltener Bordeaux-Jahrgänge am Geldbeutel durch den Leim, ehe sie an den skeptischen US-Milliardär William Koch gerieten. Der streitlustige Weinsammler aus Kalifornien, in dessen Privatkeller mehr als 43.000 Tropfen ruhen, investierte über 25 Millionen Dollar, um den Gaunern das Handwerk zu legen und sie an den juristischen Pranger zu stellen. Mittlerweile steht Koch gar Synonym für die boomende Validierung seltener Vintages. Mit gut 700 Euro pro Flasche investiert er zudem mehr Geld in die wissenschaftliche Isotopen-Überprüfung am spezialisierten, nuklearwissenschaftlichen Institut der Universität Bordeaux, als viele je für einen Wein selbst bezahlen würden; und leistet damit auch einen großen Dienst. Denn selbst, wenn man es als zweifelhaften Erfolg für das Château werten könnte, dass ein Wein gefälscht wird, schmeckt dies letztlich weder den Produzenten, noch Händlern, Sammlern oder Konsumenten. Fakes ruinieren nicht die einzelne Marke, sondern den ganzen Markt.

„Es wäre dabei ohnehin falsch“, fügt von Haugwitz noch hinzu, „davon auszugehen, bei Fälschungen teurer Weine und Spirituosen handle es sich um ein rein chinesisches Phänomen.“ Zwar bilden China und die Freihandelsenklave Hongkong seit 2013 den weltweit größten Markt für Bordeaux-Weine, aber nicht zuletzt schmälert auch die aktuelle wirtschaftliche Flaute im Reich der Mitte den Durst nach Importspirituosen und -weinen. Es herrscht eine verhaltene Stimmung unter den Bao Fa Hu, und das beeinflusst letztlich auch jene Geschäftszweige, die im Schatten liegen.

„Gefälscht wird überall dort, wo es sich lohnt“, sagt Andrew Barber. Als Managing Director der International Federation of Spirits Producers vertritt er weltweit die Interessen aller großen Hersteller im Kampf gegen gefälschte Spirituosen. „In einigen Märkten ist gefälschter Alkohol ein hartnäckiges Problem, besonders in jenen, die eher schwache wirtschaftliche Rahmenbedingungen bieten und durch hohe Steuern und Zölle diese Form der Kriminalität profitabel machen“, erklärt er und denkt dabei vor allem an Teile Süd- und Mittelamerikas sowie Osteuropas. Es wagen, einen finanziellen Schaden für die Hersteller zu beziffern, möchte er jedoch nicht. Es sei schlichtweg unmöglich diese gigantische Grauzone zu kennen. „Verständlicherweise sind die betroffenen Unternehmen bedacht, ihre Marke und die Bilanzen vor den negativen Auswirkungen von Fälschungen zu schützen“, weiß Barber. „Aber wir dürfen nicht das wichtigere Ziel vergessen, den Konsumenten und seine Gesundheit zu schützen.“ Und dafür sei ein gemeinsames Handeln von Industrie und Regierungen schlichtweg erfolgskritisch.

Um sich gegen die massive Produktpiraterie zu wehren, arbeiten Hersteller darüber hinaus auch mit modernster Technik. Aufwendige Drucke mit Hologrammen, ähnlich Banknoten, sollen Fälschern ihre Arbeit erschweren. NFC-Chips im Label erlauben es inzwischen, die Echtheit mit dem eigenen Smartphone zu prüfen und jede Bewegung des flüssigen Schatzes auf der Welt nachvollziehbar zu machen. Seriennummern im Glas und auch spezielle „Bubble Tags“ finden als Siegel immer häufiger Anwendung, sind seit 2012 beispielsweise Standard bei Lafite und ausgestattet mit einem einzigartigen und – bislang noch fälschungssicheren – alphanumerischen Code.

„Bei einer sehr raren Prestigeabfüllung von Glenmorangie setzte die Destillerie kürzlich erstmals Prooftag Bubble Siegel ein“, erklärt auch Tobias Russ, Communication Manager beim Luxusgüterkonzern LVMH und prophezeit, dass die Methode zukünftig wohl häufiger zum Einsatz kommen wird. Es könnte die nötige Chance sein, den Fälschern einen entscheidenden Schritt voraus zu eilen. „Das Beste, was ich zusätzlich bieten kann“, betont von Haugwitz, „ist aber noch immer eine lückenlose Historie der Flasche, den Bezug direkt beim Weingut oder Hersteller und möglichst wenige Stationen.“ Zudem, so wünscht er sich, brauchen Käufer nicht nur Geld sondern auch etwas mehr Sensibilität bei diesem diffizilen Thema: „Wer eine Flasche Bordeaux für mehr als 20 Euro nicht über einen offiziellen Händler kauft oder Champagner aus Italien bestellt, ist schließlich auch ein bisschen selbst Schuld.“

 

Literaturempfehlung zum Thema:

The Billionaire’s Vinegar: The Mystery of the World’s Most Expensive Bottle of Wine

Autor: Benjamin Wallace

Preis: ca. 14 Euro, amazon.de

Credits

Foto: Bild via Pixabay, Post: Tim Klöcker.

Comments (1)

  • schlimmerdurst

    Solange die Abfüller sich von diesem unsäglichen “Nachfüllstop” im Flaschenhals fernhalten, ist mir alles recht. Wir als Konsumenten können übrigens auch einen kleinen Teil beitragen: Indem wir geleerte Flaschen zerstören, so dass sie nicht neu befüllt werden können.

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