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Sonne in Altona: Stephan Garbe und sein Gin Sul

Frust an der Algarve und Freude an der Elbe. Seit Anfang 2014 beglückt Stephan Garbe mit seinem portugiesisch inspirierten Gin Sul die Bartender und Connaisseurs. Warum die Destille nicht in der zweiten Heimat steht, weshalb man sich dort vielleicht ein wenig grämt und wie es überhaupt zum Gin kam – all das erzählt uns Garbe im ausführlichen Gespräch. 

In Portugal dürfte sich so mancher Beamter ärgerlich auf die Lippe beißen. Denn wäre es nach Stephan Garbes ursprünglichem Wunsch gegangen, käme der Gin in der markanten, blau beschrifteten Tonflasche heute aus dem Land am südwestlichsten Rand Europas. Bürokratie gibt es nicht nur im kühlen Deutschland, auch unter vermeintlich locker-temperamentvollen Südländern trifft man sie: die Paragraphenreiter. Deswegen brennt Garbe heute in seiner alten Heimat. Doch eigentlich ist das nur das Ende der Geschichte. Und der Anfang?

Warum Portugal?

„Portugal ist schon früh zu meiner zweiten Heimat geworden“, sagt der 38-jährige. „Mein bester Freund ist Portugiese und über ihn habe ich das Land kennengelernt. Unzählige Male habe ich mit ihm seine Familie besucht, an der Wachstischdecke gesessen und den Bacalhau seiner Mutter verspeist“, beschreibt Garbe den Zugang zum Lande, der sich so gar nicht auf touristischer, sondern authentischer Basis vollzogen hat. Die Konsequenz war irgendwann unvermeidbar: „Schließlich habe ich mir ein kleines Haus am westlichen Teil der Algarve gekauft und mir so eine ‚zweite Basis‘ geschaffen“, freut sich der Unternehmer. Die Beziehung Stephan Garbes zu dem kleinen, stolzen Land ist also gekennzeichnet durch ein hohes Maß persönlicher Emotionalität — fernab jeder Werbestrategie.

Warum Gin?

Denn diesen Vorwurf könnte man dem ehemaligen Werber durchaus machen. Aber die Vergangenheit in der Reklamebranche hat Garbe mit dem Verkauf der eigenen Agentur im Jahre 2009 zu einem Schlusspunkt gebracht: „Nach über zehn Jahren in der Werbung war ich wirklich ‚auf‘ — die Tage in der Agentur können manchmal extrem lang werden.“

So nahm sich der nun frei gewordene Freigeist Garbe ein „Sabbatical“, um die Seele wieder ins Gleichgewicht zu bringen. „Ich habe damals diese Auszeit gebraucht: einfach mal die Kinder zum Fußball fahren, nachdenken und Dinge tun, die mir Freude bereiten. Gleichzeitig war mir klar was ich später machen wollte, nämlich weiter etwas ‚Eigenes‘, das möglichst nichts mit Dienstleistung zu tun hat.“

Darum!

Schlug sich denn die schon seit Langem anhaltende, moderne „Gin Craze” im benachbarten Spanien auch im am Atlantik gelegenen Portugal nieder? „Nein, gab’s nicht“, lautet die knappe Antwort, „vielleicht abgesehen von den üblichen Compound-Gins, die man im Supermarkt für € 6,95 bekommt. Obwohl Gin & Tonic in Portugal wie ein Cocktail zelebriert wird, sind die Portugiesen doch sehr international gepolt und greifen eher auf ausländische Waren zurück.“

Für den schon damals glühenden Gin-Liebhaber natürlich eine doppelter Fauxpas. 2010, also im Jahr nach dem Verkauf der eigenen Firma, wuchs schließlich bei Stephan der ernsthafte Wunsch heran, im Land seiner Träume eine Destille zu gründen, um den ersten portugiesischen Qualitätsgin aus der Taufe zu heben. „Ich habe dann so ziemlich alles verschlungen, was es an Fachliteratur über Gin und das Destillateurshandwerk gibt.“

Doch wie wird ein Gin „portugiesisch“? Besonders in diesen Tagen, in denen wöchentlich Gins mit vermeintlichen Alleinstellungsmerkmalen den Markt kapern, drängt sich jene berechtigte Frage auf.  Doch der Vorwurf der Beliebigkeit wird von Stephan Garbe leichter ausgekontert als der HSV in einem Pokalspiel gegen einen Zweitligisten: „An den Steilküsten Portugals wächst eine Pflanze namens Zistrose; eine Pflanze, deren Blätter ein aromatisches Harz von sich geben, das gleichzeitig würzig und süß duftet, irgendwo zwischen Eukalyptus, Honig und Leder. Kurioserweise findet sie aber in Portugal nicht die geringste Beachtung als Gewürz. Ich hatte immer wieder den Wunsch, dieses Aroma in irgendeiner Weise zu konservieren. Schließlich fiel mir auf, welche Pflanze meistens in unmittelbarer Umgebung der Zistrose wächst — nämlich Wacholder.“

Spätestens seit dieser Entdeckung war das Konzept vom ersten portugiesischen Qualitätsgin eine fixe Idee im Kosmos von Stephan Garbe, an der es kein Vorbeikommen mehr gab.

Die felsige Küste der Bürokratie

Dass die Brennerei heute doch im weniger warmen Altona beheimatet ist, liegt allerdings nicht an an einer letztlich doch noch vorhandenen Heimatverbundenheit Garbes, sondern an der geradezu abstrusen Bürokratie des kleinen Landes am Ozean.

„Einerseits ist das Brennereiwesen in Portugal sehr urtümlich. Die Produzenten des klassischen ‚Aguardiente’ brennen großteils noch mit einfachen, hölzernen Alambics. Die Arbeit mit Botanicals indessen ist so gut wie gar nicht verbreitet, und das, obwohl das Land randvoll davon ist“, erklärt der Unternehmer. „Auschlaggebend für die Lokalisierung in Hamburg war aber ein anderer Grund“, fährt Garbe fort: „Die portugiesische Bürokratie ist ein regelrechtes, lähmendes Monster, auch wenn man sich das hier kaum vorstellen kann. Ich dachte mir also relativ naiv, dass ich einfach die erste richtige Gin-Destillerie in Portugal gründe.“

Leider dauert es Wochen und Monate, bis überhaupt ein Termin mit dem Landrat zustande kommt. Das Ansinnen, mitten im Ort, in einem ehemaligen Schulgebäude, die Brennerei zu errichten, wurde nach langem Hin und Her abgelehnt. Auch Rücksprachen mit hohen behördlichen Würdenträgern brachten keine Besserung. „Auch die Beteuerungen, mit Arbeitsplätzen und Investition positiv auf die Infrastruktur einzuwirken, brachten da keine Ergebnisse. Letztendlich muss man sagen, dass das, was wir jetzt in Hamburg aufgebaut haben, in Portugal so nicht möglich gewesen wäre. Ich habe mich deswegen schweren Herzens für Altona entschieden.“

Ein Expat-Gin an der Alster

Ist Gin Sul denn dann immer noch ein portugiesisches Produkt? „Ja“, entgegnet Garbe entschieden, „natürlich nicht offiziell, denn er entsteht ja in Deutschland. Tatsächlich setzen wir aber nicht nur eine ‚portugiesische Idee‘ um, sondern wir verwenden ausschließlich Botanicals, die wir von dort beziehen. Mittlerweile haben wir sogar einen Vertragsbauern, der uns mit speziellen Zitronen beliefert, die so nur dort wachsen: eine spezifische, ganzjährig tragende Sorte mit ganz besonderem Aroma, die Früchte werden fast so groß wie Grapefruits“, gerät Stephan ins Schwärmen. Und tatsächlich: die Zutaten, die in die Brennblase wandern, stammen größtenteils von der Algarve – soweit sie in Bio-Qualität erhältlich sind. Insofern mag man dem Gin seine portugiesische Identität nicht absprechen.

Wie geht es weiter?

Momentan stehen die Weichen bei Gin Sul auf zaghaftem, aber gesundem Wachstum. Seit Februar hat man mit dem 21-jährigen Paul Brusdeilins einen ambitionierten Brennmeister an den Kesseln stehen, der nun gemeinsam mit Garbe die für die Qualität des Produktes verantwortlich zeichnet. „Paul ist eindeutig der älteste 21-Jährige, den ich kenne“, geht Garbe scherzhaft auf das auf den ersten Blick junge Alter seines Chefbrenners ein. Mittlerweile arbeiten insgesamt vier Personen ständig für Gin Sul – eine beachtliche Steigerung, bedenkt man, dass Stephan erst vor knapp 15 Monaten die erste Flasche verkauft hat.

An der konzeptionellen Grundausrichtung soll sich allerdings vorerst nichts ändern: „Wir bleiben beim Gin“, erläutert Stephan. „Wir haben uns allerdings vorgenommen, einmal jährlich eine Sonderedition herauszubringen. Bereits im letzten Winter haben wir ja in Form des ‚Ruby Sul‘ mit Fassreifung experimentiert und ich kann schon jetzt erzählen, dass im kommenden Herbst eine weitere Sonderauflage erscheinen soll, die aus diesem Bereich kommen wird.“

In die Welt — aber mit Klasse…

Aktuell steht die Vermarktung, auch international, auf der Agenda ganz weit oben. Aber nicht um jeden Preis, wie es Garbe wichtig ist zu betonen: „Die deutschen Städte mit ihren Bars auch jenseits von Hamburg sind natürlich extrem wichtig für uns. Mit den Monaten haben wir in allen größeren Städten Leute aus der Szene gefunden, die für Gin Sul aktiv sind und ihn in den entsprechenden Bars kommunizieren und stattfinden lassen. Auch in Belgien haben wir einen Importeur. Mir ist dabei aber am allerwichtigsten, dass das Menschen sind, die mit uns auf einer Wellenlänge liegen. Das muss menschlich einfach passen; ich würde mein Produkt niemals einem großen Importeur anvertrauen, sodass ich irgendwann die Kontrolle verliere.“

Und in Portugal? Wie steht es dort? „Den Vertrieb nach Portugal hat ein guter Freund von mir übernommen, da kann ich mir sicher sein, dass die Marke richtig dargestellt wird.“ Ärgert man sich denn im ursprünglich beabsichtigten Heimatort mittlerweile, dass das Produkt nun eben doch aus Deutschland kommt? „Naja“, kann sich Garbe ein Schmunzeln nicht verkneifen, „die örtliche Strandbar habe ich mit Gin Sul branden lassen. Wenn der Bürgermeister Sonntags an den Strand fährt, kommt er da dran nicht vorbei.“

…und hanseatischer Bodenständigkeit

Ist die Herstellung einer guten Spirituose eine Kunst oder doch eher ein Handwerk, fragen wir zuletzt. Die Antwort Garbes kommt unverzüglich: „Handwerk! Ich habe oft ein Problem damit, wenn Leute das, was sie selbst machen, als ‚Kunst‘ bezeichnen. Das heißt nicht, dass in unserem Produkt vielleicht keine handwerkliche Raffinesse steckt, die manche vielleicht als ‚Kunst“ betiteln würden. Aber ich sehe das eher ein wenig nüchterner.“

Der hanseatisch-portugiesische Unternehmer Stephan Garbe wirkt nicht nur nüchtern und bodenständig, sondern mit sich selbst im Reinen — eine Eigenschaft, die im derzeit so schrillen, manchmal übertrieben wirkenden Gin-Segment ein kostbares Gut sein könnte. Von der „Saudade“, der spezifisch portugiesischen Melancholie und Traurigkeit, merkt man jedenfalls im Gespräch nichts. Aber dazu hat er ja im Moment auch keinen Anlass.

Credits

Foto: Stephan Garbe / Gin Sul

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