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Die Cocktail-Süße aus dem Wein

Dessertwein als Zuckerquelle: Was anfangs nur vereinzelt in Cocktails auftauchte, hat sich zum veritablen Trend ausgewachsen. Österreichs Bartender greifen zu den Weinraritäten aus edelfaulen Trauben. Grund genug für eine Ursachen-Erforschung.

Es kommt nicht immer auf die Pioniertat an. Oft ist es erst der große Maßstab, der ein Phänomen sichtbar macht. Das Mixen mit edelsüßen Weinen stellt dafür ein gutes Beispiel dar, denn seit das Heuer am Wiener Karlsplatz vor genau einem Jahr seinen „Martini Shrub” auf die Karte setzte, hat das Thema in der Barszene an Drive gewonnen. Klassischer Dry Gin, in dem Fall Tanqueray Ten, und der haustypische Shrub, in diesem Fall mit Wermut, bekamen zwei Zentiliter Beerenauslese-Cuvée von Gerhard Kracher als Zuckerquelle beigestellt. „Der Süßwein verhilft dem Gin dazu, die einzigartige Kamillennote ganz laut zu spielen“, erläutert Bar Manager Bert Jachmann seine Entscheidung.

Nimm mich straight up, Süßer!

„Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, viel mehr damit zu arbeiten“, so Jachmann, denn Österreichs zweifacher World Class-Finalist ist auch privat ein großer Süßwein-Fan. Nicht nur als Dessert-Begleitung, mitunter baut er gleich die Nachspeise selbst nach, wie der 31-Jährige erzählt: „Weißer Rosenblüten-Rum, weiße Crème de Cacao, etwas Beerenauslese, frische Maracuja, alles im Blender mit einem Schuss Sahne vermischt – war sehr geil!“

Doch der Bartender ist ganz generell begeistert von diesem Weg: „Was ich bisher im Cocktail-Bereich mit Beerenauslesen probiert habe, hat mich stets überzeugt“, lobt Jachmann die eine enorme Mundfülle und einen fantastischen Schmelz bei Drinks ohne Eiswürfel. Aromatisch, so der Heuer-Barchef, gäben die Honig- und Fruchtnoten, „vor allem Lychee, Stachelbeere und Quitte“, einen guten Partner für Spirituosen ab. Das könne ein Manhattan mit einem nicht zu würzigen Rye sein, ein Rob Roy mit einem fruchtig-milden Speyside-Malt oder ein Boulevardier mit etwas weniger Campari, spinnt er den zuckersüßen Faden gleich weiter.

Süß, salzig, würzig – die Weintrilogie

Einen Schritt weiter ging Gerhard Kozbach-Tsai, der Beerenauslese gleich als Ersatz für eine Basisspirituose verwendet. Genau genommen, ist es eine Wein-Trilogie, die in einen der – nomen es omen! – sieben Signature Cocktails seiner Tür 7 kommt. Die Trias aus Sherry, Wermut und eben auch Beerenauslese von Josef Umathum gibt dem „Ovid“ das Rückgrat. Orangensirup und ebenfalls selbst eingekochte Orange Bitters liefern die Fruchtakzente zum Salz des Sherrys bzw. der Süße des Weins. Geht es im konkreten Falle darum, die Trockenheit des Drinks auszubalancieren, sieht „Geri“ Kozbach-Tsai aber auch generell ein breites Anwendungsfeld für Prädikatsweine: „Beerenauslese eignet sich wunderbar, um dem Drink nicht nur einfache Süße, sondern auch eine sanfte Fruchtigkeit mit alkoholischer Nachhaltigkeit zu geben“.

Die Winzer selbst sehen die neuen Absatzmöglichkeiten nicht ungern. Denn der Zeitgeist spricht immer mehr gegen jene Kategorie, in denen das kühle Europa immer schon weltweit führend war. Tokajer, Ruster Ausbruch, Sauternes – in Zeiten des Kalorienzählens haben es auch die großen Namen zusehends schwer. „Wo ‚süß‘ draufsteht, könnte genauso gut ‚giftig‘ stehen“, nennt einer der besten Prädikatswein-Produzenten der Welt, Gerhard Kracher vom Weinlaubenhof in Illmitz am Neusiedler See, das Kind beim Namen.

Rar und regional: Zitterpartie (T)BA

Einer der Gründe für die gestiegene Beliebtheit von Beeren- und Trockenbeerenauslesen (TBA) liegt natürlich in der Besinnung auf Zutaten aus dem GSA-Bereich. Warum immer zu französischen oder italienischen Likören greifen, wenn Süße und Würze auch aus heimischen Rieden zu haben sind? Denn immerhin gibt es nur wenige Gebiete weltweit, die überhaupt balancierte Prädikatsweine aus natursüßen Trauben hervorbringen. Während etwa die kanadischen Eisweine sich der (dort zulässigen) Cryoextraktion, also einer Konzentration des Zuckers durch Ausfrieren des Wasseranteils, verdanken, zittert der Winzer hier mit jeder Wetterveränderung mit. „Die Verkostung der 2014er wird sehr kurz, da gibt es maximal drei Weine“, kündigte etwa Winzer Kracher an, der in guten Jahren ein gutes Dutzend TBAs anbieten kann. Wobei ein generell schlechtes Weinjahr nicht unbedingt ein schlechtes Süßwein-Jahr bedeuten muss.

Wenige Tage Sonne und Nebel im November ließen 2010, von MIXOLOGY-Kollegen Manfred Klimek taxfrei als „Arschjahr“ bezeichnet, etwa einige der besten Riesling-Prädikate heranreifen. „Selbst ältere Kollegen konnten sich an solche Werte nicht erinnern“, meint etwa der Rheingauer Winzer Matthias Knebel aus Winningen bei Koblenz.

Für die Verwendung an der Bar bedeuten solche „unreifen“ Jahre des klassischen Weinbaus, dass zu den fast schon sirupartigen Zuckerwerten der edelfaulen Beeren von 300 bis 400 Gramm Zucker pro Liter zweistellige Säurepromille – 16 waren es etwa bei Peter Jakob Kühn aus dem Rheingau – dazukommen. Weniger technisch ausgedrückt: Der Süße stehen damit auch Lebendigkeit, im Falle des Rieslings je nach Lage sogar zusätzlich mineralische Noten, gegenüber. Bei dieser Geschmacksfülle haben Liköre und Wermut zweifellos das Nachsehen.

Credits

Foto: Trauben via Shutterstock.

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