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Vergessene Gemüsebrände

Trend in New York, aber die einschlägigen Schnäpse kommen aus GSA-Land: Gemüsebrände sind nicht nur besser als ihr Ruf. Sie sind auch gut verfügbar. Ein kleiner Überblick über die traditionellen Gattungen jenseits von Kirsche, Birne, Mirabelle und Wacholder.

Eigentlich ist es kurios, dass im heutigen Mainstream eine unausgesprochene Übereinkunft herrscht: Aus Getreide und Obst wird Schnaps gebrannt, aus Gemüse nicht. Freilich wird aus Gemüse auch welcher hergestellt, aber dabei handelt es sich – beim besten Willen – um einen Bereich, für den bereits das Wort „Nische“ übertrieben scheint. Die Kartoffel als Vodkalieferant einmal ausgeklammert.

Und auch aus historischer Perspektive mutet es eigentümlich an, waren doch in früheren Zeiten auch Gemüse – durch ihren oft hohen Gehalt an Stärke – dafür prädestiniert, sich in Geiste und Brände umwandeln zu lassen. Spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts aber steht Gemüsebrand jedoch fast ausschließlich dann als Surrogat auf dem Tisch, wenn sich der Alkohol nicht aus anderen Quellen beschaffen lässt. So schrieb z.B. der amerikanisch-portugiesische Romancier John Dos Passos in seiner späten Halb-Autobiografie etwa vom „Rübenwein“, den es zur Prohibitionszeit bei seinem Freund Moskowitz in New York mangels anderer Labsale zu trinken gab. Ansonsten ist der Kennergaumen – zumindest abseits der Bloody Mary – heutzutage, man mag es kaum sagen, fast ausschließlich auf den Geschmack von Früchten aus.

Gemüse im Big Apple

Doch gerade in New York, wo Dos Passos vor knapp 100 Jahren mit Rübenwein Vorlieb nehmen musste, formiert sich derzeit ein Cocktail-Trend in Bezug auf Gemüse, das dort in vielfältiger Form in Shaker und Gästeglas wandert. Bekannte Mixologen, wie etwa Tom Macy im New Yorker Clover Club, aber auch Richard Woods, Barmanager im Londoner Duck & Waffle, zeichnen derzeit federführend in der Entwicklung „gemüsiger“ Cocktails.

Und wer näher hinschaut und in der Geschichte gräbt, findet besonders in unseren heimischen GSA-Gefilden eine Fülle an typisch-traditionellen, aber auch zeitgenössischen Gemüsebränden, die eine völlig neue Aromenwelt erschließen. Ein paar dieser Brände wollen wir uns daher ins Gedächtnis rufen. Manche bekommt man einfacher, für andere hingegen ist ein wenig Suche nötig. Aber es lohnt sich allemal, denn ebenso, wie eine edler Williams-Brand keineswegs einfach nur platt nach Birnen schmeckt, ist auch ein guter Gemüsebrand alles andere als eindimensional.

Karottenbrand – nicht nur die Schweizer können das

Einer der bekannteren Vertreter destillierten Gemüses ist die Karotte. Besonders der schweizerische „Rüeblibränd” genießt zumindest ein gewisses Maß an Beachtung. So richtig wird das niemanden wundern, der schon einmal Möhrentorte gegessen oder gesehen hat. Besonders beeindruckend beim Karottenbrand ist die Mischung aus frischen und nussigen Noten, die sich in Cocktails für eine Paarung mit frischen Kräutern, Zitrussäure und Walnuss sowie kraftvollen amerikanischen Whiskeys herausragend eignen. Einen gut verfügbaren Karottenbrand gibt es etwa von Hans Reisetbauer aus Österreich.

Ohne Farbe, aber nicht farblos: Rote Beete-Brand

Einen von sich aus geradezu zuckrig-würzigen Geschmack hat eine gute Rote Beete ohnehin schon, eines der aktuellen Trendgemüse, bei dem man aktuell entdeckt, dass es nicht nur totgekocht, sondern sogar roh exzellent schmeckt. Und bei einer solch – man kann es nicht anders nennen – vollfruchtigen Aromatik verwundert es nicht, dass sich die dunkelviolette Knolle auch mehr als gut zum Brennen eignet.

Interessanterweise duftet ein Brand (es gibt auch Geiste, also mit Roter Beete mazerierten Alkohol) aus Roter Beete tatsächlich deftiger als es die rohe Ware tut. Dazu kommen aber wundervoll karamellige Noten und oft eine kraftvolle Portion weißer Pfeffer in der Nase. Der Brand bietet sich dann nicht nur als bereichernde Alternative in der Bloody Mary an, sondern auch als ein spannender Ersatz in vielen Klassikern, die sonst nach weißem Rum verlangen. Einschlägige Produkte bieten beispielsweise Faude Feine Brände oder die pfälzische Brennerei Birkenhof.

Die andere tolle Knolle: Topinamburschnaps

Besonders im Badischen schätzt und liebt man dieses herrlichen Gemüse so sehr, dass man den eigentlich für die Kartoffel reservierten Terminus „Erdapfel“ dort auch für den Topinambur verwendet. Oder auch „Ross-Erdapfel“, weswegen der traditionelle badische Topinamburschnaps gerne auch als „Rossler“ daherkommt.

Klassischer „Topi“ (noch ein Spitzname) besticht – neben einer angeblich beruhigenden Wirkung auf den Magen – durch ein erdiges Aroma mit blumig-krautigen Spitzen, die mitunter in eine leicht medizinale Richtung tendieren. Aus mixologischer Perspektive ist er daher ein bisweilen sperriger Partner, der aber in den Händen eines sensiblen Bartenders durchaus ein gewissen Etwas in viele Drinks, gerade auch in klare Short Drinks, bringen kann. Die Zahl regionaler Hersteller ist recht groß, gut zu beschaffen sind beispielsweise die Produkte der Brennerei Huber sowie der Edelbrennerei Franz Wild.

Von wegen Suppe: Kürbisbrand!

Kürbisse und Melonen gehören zur selben botanischen Familie. Wer etwa einen Hokkaidokürbis und eine Honigmelone aufschneidet und beides nebeneinander legt, wird zugeben, dass man das anhand des inneren Aufbaus auch deutlich erkennen kann. Geschmacklich mag sich diese Verwandtschaft hingegen nicht unbedingt sofort offenbaren.

Das ändert sich in dem Moment, in dem man erstmals die Nase in ein Glas mit feinem Kürbisbrand hält. So mancher Blindverkoster dürfte einen Likör oder Schnaps aus Cantaloupemelone im Glas wähnen – dabei ist es Kürbis. Dazu kommen weitere, komplexe Noten von Erdnuss, Holz und Steinobst. Freilich unterscheiden sich die Brände je nach Sorte des zugrunde gelegten Kürbis. Aber eine allgemeine Tendenz lässt sich wie beschrieben feststellen. Unter allen Gemüsebränden vielleicht jener, der für viele Gäste am zugänglichsten ist. Hervorragend ist etwa der Muskatkürbisbrand aus der österreichischen Destillerie Hiebl, den auch Oliver Ebert in seinem Berliner Punch-Tempel Lost in Grub Street verarbeitet.

Gurkentrend 2.0, ick hör Dir trapsen?

Das Konsengemüse der Bar war in den vergangenen 10 Jahren zweifellos die Gurke (übrigens auch ein Kürbisgewächs). Zwar nicht als Grundlage für Spirituosen, dafür aber als ewige Limettenkonkurrenz im Gin & Tonic und als Lieblingskind der Cuisine Style-Maniacs. Das

mag allerdings auch daran liegen, dass die gängige Salatgurke (und nicht nur jene Massenware aus den Niederlanden) fast ausschließlich aus Wasser besteht, kaum Zucker enthält und sich daher nicht vergären und destillieren lässt.

Das soll jedoch kein Hindernis sein, schließlich gibt es ja jene oben erwähnte, andere Methode, nämlich die der Mazeration. Dafür werden – wie sonst gerne Himbeeren oder Schlehen – Gurken in Neutralalkohol eingelegt und ausgelaugt, um im Anschluss diese Mischung erneut zu destillieren – mit Gurkenaroma. Das Ergebnis ist ein leichter, knackiger, feiner, tatsächlich intensiv nach frisch geschnittener Gurkenschale duftender Brand mit sprichwörtlicher Frische, die nach Verarbeitung in spritzigen Highballs oder anregenden Fizzes geradezu schreit. Wieder ist es Brenner Florian Faude, der mit seinem Gurkengeist ein Referenzprodukt liefert.

Da geht noch mehr…

Freilich kann solch eine Auswahl nie erschöpfend sein. Derzeit bemühen sich zudem sowohl Landwirte, Händler als auch Konsumenten, auch weniger verbreitete, alte Gemüsesorten wieder mehr in den Fokus zu rücken und den aromatischen Reichtum besser nutzbar zu machen. All jene Gemüse bieten prinzipiell auch für ambitionierte Brenner (und in der Folge auch für Bartender) neue Ansatzpunkte. Man mag an Pastinake denken. Oder eben an die John Dos Passos-Gedächtnisrübe. Oder Spargel. Für ganz Mutige gibt es auch Rezepturen für Sellerie-Likör. Die Möglichkeiten sind da. Und in vielen Fällen ist die Beschaffung der ersten Flasche nichtmal aufwendig. Tatsache ist, dass Cocktails mit Gemüsebrand nicht von alleine zum Gast gelangen. Sie brauchen, wie so viele andere Trends zuvor, die Schützenhilfe der Bartender. Aber das sollte sich doch machen lassen.

Credits

Foto: Rote Beete & Feuer via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

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