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Kokoswasser: Wunder oder Wischiwaschi?

Kokos ist so ein Wort, das vielen Bartendern eher die Zornesröte ins Gesicht treibt. Doch mit dem immer besser verfügbaren Kokoswasser ändert sich das. Ein Streifzug durch nussig-wässrige Gefilde und einige Antworten auf die Frage, ob das Trendprodukt ein Crowdpleaser unter Ernährungsfetischisten bleibt oder sich als Bar-Akteur etablieren können wird.

Die ernüchternde Wahrheit ist, dass sich Potassium, Spurenelemente und Konsorten eher beim nächsten Blutbild oder der Vorsorgeuntersuchung aufdrängen, es reicht auch ein Blick auf bedeutungsschwangere Rückenetiketten diverser Lebensmittel – mehr Roman als knackiger Info-Kasten. Jedenfalls sollen all die genannten Stoffe eine nicht unwesentliche Rolle für unser Wohlbefinden und den Nährstoffhaushalt des Körpers haben – egal wie sehr die Macht mit uns sei.

Und da gibt es eine Wunderwaffe, über die sich Diätologen, Ernährungsexperten und andere Gurus trefflich auslassen können: es rehydriert und birgt fantastische Mengen eben jener Quasi Midi-Chlorianer: Nahtlos reiht sich das Kokoswasser in die Parade gefeierter „Superfoods“ – ja, sogar ein eigener Begriff musste dafür definiert werden – gleich neben Açai und Chia-Samen.

Nicht zu vergessen natürlich, dass auch die Barszene schon vor Jahren die Kristallkugel angeworfen und den wässrigen Inhalt frischer, grüner Kokosnüsse als the „Next Big Thing“ auserkoren hatte.

Es ist ja wahrlich nichts gegen gesunde Lebensmittel, vernünftige Ernährung und die anregende Wirkung uns umgebender Rohstoffe einzuwenden. Gerade aber bei solch einer gloriosen Inszenierung, dass dem geneigten Trinker Schaum vorm Mund steht, muss tiefer gegraben und hinter den Vorhang geblickt werden.

1 mal 1 des Kokoswasser

Zeit für ein paar Hardfacts. Und dass wir hier nicht von milchig weißen, klebrig süßen Cocoloco-Cream-Träumen sprechen, sei einmal als gegeben angenommen.

Die klare Flüssigkeit aus dem Inneren junger Kokosnüsse ist frei von Fett und Cholesterol, soll mehr Kalium als vier Bananen haben und wenn „rehydrating“ drauf steht, muss blanke Gesundheit drinnen stecken.

Welche Maßstäbe oder Mengen hier jedoch quantifiziert werden, bleibt unklar. Auch darf man nicht verhehlen, dass selbst ein vital in schlankblaues Farbkleid gehülltes Tetrapack voll Natural-Health-Boost nicht unerhebliche Mengen Zucker sowie Kalorien enthält. Freilich weniger als ein Liter Cola, Maßhumpen oder ein kleiner Manhattan Cocktail zum Frisch-Werden, aber doch mehr als ein gutes, altes Glas Wasser.

Als Durstlöscher nach dem Sport – Stichwort Dehydrierung! – ist es wissenschaftlich nachgewiesen relativ Banane, ob man sich nun isotonisch, kokos- oder leitungstechnisch erfrischt und wieder befüllt, Hauptsache flüssig! (So nebenbei: Bei großer Anstrengung verliert der Körper eher Natrium als Kalium, womit der Effekt des Kokoswassers zurückgenommen wäre).

Die Worte “super hydrating”, “nutrient-packed” oder “mega-electrolyte” führten sogar zu einem Gerichtsverfahren wegen übertriebener Suggestion ernährungstechnischer Vorzüge – der Kokos-Konzern von Weltformat einigte sich außergerichtlich im Millionenbereich. Weiters müsste man sich das tropische Wunderwasser literweise zu Gemüte führen, um einen entsprechenden Gesundheitsvorsprung zu generieren. Wobei man gleichzeitig wieder fleißig das Kalorienkonto gefüttert hätte.

Kurzum, Experte A schwört auf seine Theorie, gestützt von Prestigeträchtigen Werbetestimonials, Sportlern und Super-Skinny-Models, während Experte B mit nicht weniger gewichtigen Marketingwaffen das Gegenteil behauptet. Geschmäcker, aber auch Fakten, sie sind bekanntlich verschieden.

Geschmackssache

Womit wir dann wieder beim eigentlichen Thema wären, nämlich, wie man Kokoswasser einfach als spannende Zutat für Drinks sehen und verwenden könne.

Colin Asare-Appiah ist ein Schrank von einem Mann. Doch wer den umtriebigen Barmann, Brand Ambassador und Drink-Enthusiasten aus New York kennt, weiß: ein weicher, charmanter Kern schlummert in der harten Hülle. „Ich denke, die Industrie hat sich selbst kanibalisiert“, zeigt er wenig Zurückhaltung. Doch Asare-Appiah weiß, wovon er spricht, schließlich wäre alleine schon seine Verbundenheit zu seinem Teilzeit-Arbeitgeber Bacardi ein naheliegender Anknüpfungspunkt für alles rund um die Kokosnuss. Er führt weiter aus, dass die Wässer alle unterschiedliche Geschmäcker, Konsistenz und Inkonsistenzen haben. „Ein Kokoswasser für einen Drink auszusuchen ist, wie die Geschichte von Goldlöckchen und den drei Bären – man muss Unmengen probieren, um sagen zu können, was für welche Kombination passen könnte.“ Zudem fehlt dem Bartender ein „‚Breakaway-Cocktail‘, der es in hohen Sphären der Drinks geschafft hätte und exemplarisch für die Gattung an sich stünde“. Eine Chance sieht Asare-Appiah in der Hervorstreichung der Herkunftsländer und –märkte, um gesteigerte Aufmerksamkeit und allgemeine Wertschätzung durchzusetzen.

Dennis Wolf aus dem Berliner solar, einer der konstantesten und bekanntesten Vertreter der GSA-Barszene, bläst in dasselbe Horn: „Ich habe mich wahrlich durch das gängige Kokoswasser-Sortiment gekostet. Etliche waren ‚okay’, doch habe ich mich ständig gefragt, wie das nahezu gleiche Naturprodukt so unterschiedlich, auch unterschiedlich süß schmecken kann.” Für seine Drink-Kreationen ist er dennoch fündig geworden:

Hot Coconut Punch

1,75 cl hausgemachter Vanillezucker
3 cl Bourbon
2 cl roter Wermut
5 cl Bio-Milch
5 cl Kokoswasser

Im Topf erhitzen, verrühren und mit Nelke, Zimt und geriebener Muskatnuss abschmecken.

Licht am Ende der Kokosnuss

Selbstredend ist längst nicht alles so augenscheinlich beschwerlich mit der Nuss. Ganz im Gegenteil, vielerorts giert man richtig nach dem Wellness-Drink. Im englischsprachigen Raum ist Kokoswasser derzeit eine der am schnellsten wachsenden Getränkekategorien. Über 400 Millionen US-$ an Umsatz alleine in den Vereinigten Staaten durften sich die drei Marktführer gemeinsam auf die Fahnen heften. Dabei geht die Entwicklung rein auf die letzten zehn Jahre zurück, quasi von 0 auf 100.

Die klare Nummer Eins weltweit ist dabei immer noch Brasilien. Kero-Coco, die populärste Marke, findet sich bei Pizza Hut ebenso wie McDonald’s und natürlich in jedem Supermarkt, wo man sich allerdings mit mehr Konkurrenten den Platz teilen muss als bei Mineralwasser. Dass die Kombination mit der Nationalspirituose Cachaca mehr als ein „No-Brainer“ ist, bedarf keiner weiteren Ausführung. Gleichwohl müsste es spannendere Mix-Ideen geben als die zweihundertste Abwandlung einer Caipirinha. Jennifer Collins etwa kümmert sich nebst ihrer regen Tätigkeit als Bartenderin unter anderem in Washington D.C. um Leblon Cachaça und erzählt von einem sehr spannenden Pisco-Drink, dessen geschmackliche Bandbreite den Gaumen zu verblüffen weiß.

Waikiki Beach

4,5 cl Pisco
2 cl Kokoswasser (z.B. von Harmless Harvest)
1,5 cl frischer Limettensaft
1,5 cl Pandan Syrup
1 Messerspitze Aktivkohle

Alle Zutaten kräftig auf Eis schütteln und doppelt in eine vorgekühlte Coupette abseihen.

Ein hoch auf Das Mundgefühl!

Aber auch weiter nördlich, weit weg von Tropenkitsch und Palmenphantasien, bedient man sich des sonnigen Wässerchens. Trotz der Konnotation „Windy City“ ist Chicago aktuell eine der unumstritten heißesten Ess- und Trinkdestinationen der Staaten, und im Pub Royale bekommt man Wärmendes mit Kokoswasser vorgesetzt. „Es verleiht ein großartiges Mundgefühl und einen frischen Touch am Gaumen, zudem einen natürlichen Geschmack jenseits der künstlichen Kokosliköre oder –spirituosen“, meint die dortige Bartenderin Kristina Magro Ihr „Hot Chai“ zaubert saisonal winterliche Wonne auf die Lippen und vereint die leichte Seite der Kokosnuss mit dunklem Rum und hausgemachtem Gewürz-Chai.

Hot Chai

Gewürze (wie Fenchelsamen, Grünen Kardamom, Zimt, Salz, schwarzer Pfeffer) als Tee aufbrühen
3 cl Gereifter Rum
1,5 cl Kokoswasser
1 cl Kokosmilch

Rum und beide Kokosprodukte im hitzebeständigen vermischen und mit 6 cl heißem Aufguss auffüllen. Mit Zimt und Pfeffer garnieren.

Auch David Wondrich hat sich der Ingredienz und deren Verwendung in Punches angenommen. Im Zuge seiner historischen Streifzüge stieß er auf eine 1874 formulierte Rezeptur aus Bridgetown, Barbados – viele Jahre vor dem Tetrapack. Sein „Barbados Punch“ mag zwar durch die vorgebliche Austauschbarkeit von Rum und Gin ein wenig irritieren, bietet aber dennoch eine simple Alternative, wenn eine größere Personenzahl auf einmal mit dem Kokos-Labsal beglückt werden soll.

In a 3-quart bowl, dissolve ¾ cup superfine sugar in ¾ cup fresh-squeezed lime juice. Fill bowl three quarters of the way with ice cubes. Add 1 750-ml bottle Bols genever or Mount Gay Eclipse rum, 2 cups coconut water, and 2 cups water. Stir. Drink. Serves 10.

Versöhnlich einfach

Wer es etwas weniger umständlich und gänzlich frei von Bar-handwerklicher Schwülstigkeit haben möchte, verwendet Kokoswasser schlichtweg als Filler in Kombination mit allerlei Spirituosen.

Vodka-Soda war gestern: „Skinny Bitches“ mögen sich andere vergönnen, die Wellness-Fraktion bedient sich bei Vita Coco und Konsorten. Kaum eine Melange, die nicht funktioniert, kaum ein Destillat, das nicht mit der leicht nussig-säuerlichen Note des Kokoswassers zusammenzufinden scheint.

Somit kehrt final wieder Friede ein in der Kokosgalaxis, schließlich ist für alle ein bisschen was dabei – ob es nun Diätolog, Bartender oder Jedi seien. Und gesund soll es ja auch noch sein, das nussige Wasser…

Credits

Foto: Kokos & Wasser via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

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