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Chicago Williams

Zu Pommes und Foie Gras

Vom In-der-Garage-selbst-gemacht-Ding zum Degustationsmenü-Begleiter: So langsam kommt Craft Beer auch in der deutschen Gastronomie an. Zwei ziemlich unterschiedliche Beispiele aus München und Berlin.

Das hätte sich die Münchner Schickeria in ihren besten Kir-Royal-Rausch-Zeiten ja wohl nicht träumen lassen. Dass man einmal im Tantris sitzen und ein Bier bestellen würde? Mei, so a Schmarrn! Aber dann: Während die Toiletten im Keller des Zwei-Sterne-Restaurants noch exakt so aussehen wie damals, unter Witzigmann, am Tag der Eröffnung 1971, mit alarm-orangenen Waschbecken und Blümchenvorhang, ist es oben im Gastraum doch 2014 geworden und der neue Sommelier des Hauses serviert – ganz nah am Puls der Zeit – Bier. Craft Beer.
Craft Beer passt zu allem
Rund dreißig verschiedene Sorten aus überall, vor allem den USA, will er in der nächsten Zeit auf die Weinkarte des Hauses schreiben. Und der Keller ist schon voll mit tollen Bieren, sagt er. Passend zu allem, als Aperitif, zum Hauptgang, zum Dessert (Barley Wine sei für ihn eine grandiose Alternative zum Süßwein) oder als Absacker an der Bar.
Heißt es ja immer: Seine Vielfalt zeichnet Craft Beer aus. Dass keins ist wie das andere, dass diese Biere so und so und so ganz anders schmecken können und damit wirklich eigentlich zu viel mehr passen als Abendbrot und Bundesliga. Und das stimmt. Erstaunlich eigentlich, dass Craft Beer in der Gastronomie nicht schon viel mehr Thema ist. Und zwar auf allen Ebenen, bei denen mit den Hauben und Sternen ebenso wie dort, wo essen mit der Hand erlaubt ist. Irgendein Craft Beer passt eigentlich immer zu allem.
„Während der Wiesn habe ich ein belgisches Champagnerbier zum Degustationsmenü serviert, das Deus. Das rangiert qualitativ auf dem Level eines durchschnittlich guten Champagners. Kein Topend-Champagner, aber wenn man mir ein Glas Veuve Cliquot oder ein Deus anböte, wäre es für mich keine Frage, dass ich das Bier vorzöge“, sagt Justin Leone, seit 2012 Sommelier im Tantris. Denkt man gar nicht bei dem Mann mit dem Einstecktuch im maßgeschneiderten Sakko und der extrabreiten Krawatte. Sei aber so, versichert der Kanadier: „Ich trinke sehr viel lieber ein solides Bier als einen mittelmäßigen Wein. Natürlich gibt es Bier, das nicht so besonders ist, aber im Gegensatz zu Wein finde ich kaum ein Bier, das ich direkt wieder ausspucken möchte. Ok, ich spreche nicht von Zeug wie Miller Lite oder Löwenbräu – das ist schon ekelhaft. Aber bei Wein ist die Spanne viel größer, die zwischen ‚triumph and tragedy‘ liegt.“ Für ihn als Sommelier sei es eigentlich ganz selbstverständlich, dass er sich nicht nur mit Wein, sondern ebenso gut mit Spirituosen, Kaffee, Tee und eben auch Bier auskennt. Justin Leone sieht sich als ein „Bonvivant“, wie er sagt, ein „Führer des Gastes zum Genuss“. Und: Justin Leone hat sein Handwerk in Chicago gelernt. Craft Beer Epizentrum. 2002 ist er da angekommen, gerade, als Craft Beer richtig Fahrt aufnahm. Daher stammt sein ebenso immenses Wissen und seine Liebe zu Craft Beer. Außerdem: Reben oder Malz – what’s the difference anyway, fragt er achselzuckend: Sorgfältig ausgewählt, fachkundig auf das Essen abgestimmt und – wichtig! – in den richtigen Gläsern serviert, habe Bier genauso seine Berechtigung in der Sternegastronomie wie Wein, so der Kanadier.
Raus aus der Nerd-Szene
Und nicht nur da. Von München-Schwabing nach Berlin-Mitte. Ganz anderes Pflaster. Die Schickeria trägt hier Vollbart und Truckercap, empfindet sich natürlich nicht als solche, und statt den Abend mit einem Tartar-Amuse-Gueule zu beginnen, presst sie sich lieber auf ein Pastrami-Sandwich oder eine Portion Pulled Pork in das winzige Chicago Williams BBQ. Sommelier gibt  es hier keinen, dennoch hat der Laden eines gemeinsam mit dem Münchner Tantris: Auch hier gibt es erstaunliche, auserlesene Biere. Craft Beer, könnte man wohl sagen, aber den beiden Gründern, Holger Groll und Nawid Samawat, ist dieser Begriff ein bisschen „zu nerdy“. „Gutes Bier muss aus dieser Nerd-Szene raus. Gutes Bier soll ganz normal sein“, poltert Groll. „Wenn hier einer reinkommt und von sich selber sagt: ‚Ich bin ein Bier-Nerd‘, muss ich leider sagen: Dann kauf dir eine Kiste gemischtes Bier, geh damit nach hause und hab‘ keinen Spaß. Das sind nämlich Leute, die wollen mich vom Gelände zu diskutieren. Aber über einen guten Schinken aus Spanien diskutiere ich ja auch nicht, sondern ich will den essen und genießen. Und dann maximal sagen: Was für ein geiler Schinken.“ Und um es kurz zu machen: „Uns war es wichtig,  nur kleine, private Brauereien hier reinzunehmen. Die machen die besten Biere und müssen unterstützt werden, sonst sterben sie“, sagt Groll. Es gibt nur Flaschen und keinen Großbrauerei-Sponsor, der neben Zapfhahn und Knebelvertrag auch Sonnenschirme und Aschenbecher beschert, aber dafür ein eigens für den kleinen Laden gebrautes, „The Chicago Williams BBQ Dunkel“.
Da fliegst Du weg
Das passt besonders gut zu den Rippchen, schwärmt Nawid Samawat: „Wir packen hier Rippe ohne Knochen auf Graubrot, mit Käse und Zwiebeln überbacken, Coleslaw und BBQ-Sauce. Das hat so einen intensiven Geschmack, wenn man da noch ein Rauchbier in dem Mund dazu kippt… – “
Holger Groll: „Da fliegst du weg.“
Nawid Samawat: „Da hast du keinen Bock mehr.“
Holger Groll: „Da fliegst du echt weg.“
Wenn das nicht ist, was alle Wirte wollen: Gäste, die vor Begeisterung wegfliegen. Vielleicht hilft es ja, die eigene Bierkarte einmal zu überdenken. Gutes Essen und Craft Beer ist eine Abflug-Kombination, egal, ob eher Business oder Economy.

Credits

Foto: Nina Klotz

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