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Zucker im Glas: Grundlage und Gift

Nachdem Großbritannien eine Steuer für mit Zucker gesüßte Getränke und Softdrinks einführt, regt sich auch hierzulande die Debatte um eine Zuckersteuer. Was würde es bringen – und was nicht? Eine Bestandsaufnahme zwischen Fillern und Fakten.

Es ist so eine Sache mit Statistiken. Wie Zitate sind sie das Salz in der Suppe eines Artikels, manchmal aber auch einfach nur Glutamat: Würzig, aber mit Vorsicht zu genießen. Nehmen wir zum Beispiel folgende Zahl: Rund 90 Gramm Zucker nimmt jeder Deutsche heute täglich zu sich. Was aber heißt das? Wohl kaum, dass sich jeder zum Frühstück ein paar Löffel Zucker reinschiebt. Vielmehr steckt in dieser Statistik mein ehemaliger Kollege, dem es bei seinem Whiskey Sour schon gereicht hat, den Zuckersirup solange reinzuhalten, wie man beim Zapfhahn an der Tankstelle von 19,99 auf 20,00 Euro drückt, ganz zu schweigen von dem Dash Grenadine, der sich gerade noch so in seinen Jack Rose gesellt hat. Darin spiegelt sich aber auch die Truppe wider, die jede Woche ihre zwei Sixpacks 2-Liter-Cola von Lidl an unserem Haus vorbei nach Hause schleppt.

Mit einem Wort: Die ganze Bandbreite menschlicher Geschmacks- und letztlich auch Ernährungsvorlieben.

Statistiken sind oft nur die halbe Wahrheit, in der sich das Individuum kaum entschlüsseln lässt. Andere Zahlen jedoch sind absoluterer Natur, wie beispielsweise folgende: 30 Gramm. Das ist der empfohlene Maximalbetrag an Zucker, den ein Mensch ab dem 11. Lebensjahr zu sich nehmen sollte. Eine Dose 0,33 l Coca-Cola hat 35 Gramm Zucker, was umgerechnet etwa sieben Teelöffel Zucker ergibt.

SWEEXIT FÜR DEN ZUCKER

Es sind solche Zahlen, die die britische Regierung dazu bewogen haben, dem Zucker den Kampf anzusagen. Zwei Steuern sollen ab 2018 im Vereinten Königreich – sehr zur Freude von Jamie Oliver, einem bekennenden Zuckergegner – eingeführt werden: Eine für Softdrinks ab fünf Gramm Zucker pro 100 Milliliter und eine für Getränke ab acht Gramm pro 100 Milliliter. Reine Fruchtsäfte, Getränke auf Milchbasis und Produkte von Kleinstunternehmen seien davon ausgenommen. Denn es geht nicht um Zucker per se als solchem in der „Zuckersteuer“: Ihr Hauptaugenmerk liegt auf den zuckergesüßten Getränken, den Limos, diesen silent killern – also unmerklichen Zuckerbomben – diesen als harmlose Capri-Sonne getarnten Fettleibigkeitsagenten, die ihre Wirkung heimlicher verbreiten als Schokolade und Süßigkeiten.

Mit der Steuer, auf die sich Produzenten durch die Frist einstellen können (um so eventuell den Zuckergehalt ihrer Limos anzupassen), soll Prognosen begegnet werden, dass bereits in der zukünftigen Generation rund die Hälfte der männlichen und 70 Prozent der weiblichen britischen Jugend übergewichtig sein würden. „Fünfjährige konsumieren jedes Jahr ihr Körpergewicht in Form von Zucker“, beschreibt es der ehemalige britische Schatzkanzler George Osborne, der die geschätzten Mehreinnahmen von rund 520 Millionen Pfund an Steuern folgerichtig in den Grundschulsport fließen lassen will.

KEIN SÜSSER SCHLAND

Das mediale Echo auf den britischen Vorstoß gegen zuckergesüßte Getränke war  – ungeachtet der Tatsache, dass es ähnliche Konzepte in skandinavischen Ländern, Frankreich, Belgien oder auch in Mexiko gibt – enorm. Die Frage, ob so eine Steuer auch hierzulande Sinn macht, folgte auf den Fuß. Nicht unverständlich, denn es gibt genügend Zahlen, die aufschrecken: Jeden Tag erkranken in Deutschland nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) etwa mehr als 700 Menschen neu an Diabetes. Darunter sei eine große Zahl von Kindern und Jugendlichen, die erst durch falsche Ernährung zuckerkrank würden (was als „Diabetes Typ 2“ bezeichnet wird).

Eine andere Zahl: Der Pro-Kopf-Verbrauch an zuckergesüßten Getränken liegt in Deutschland bei rund 84 Liter pro Person im Jahr, womit man sich mit an vorderster Stelle der süßen Nationen befindet. Laut Prognosen wird eine auf Zucker zurückzuführende Fettleibigkeit bei gleichzeitiger, höherer Lebenserwartung ein gesellschaftliches Problem, das in Zukunft den Krankenkassen hierzulande noch heftig auf die Börse drücken wird. Bereits heute leidet etwa ein Viertel der erwachsenen Deutschen unter Fettleibigkeit oder starkem Übergewicht.

Es sind Zahlen, die den Zuckergegnern und -Skeptikern Rückenwind verleihen. Laut eines Tests des Vereins Foodwatch sind etwa 60 Prozent der zuckergesüßten Getränke auf dem heimischen Markt zu süß und enthalten mehr als fünf Prozent Zucker. Am schlechtesten kamen dabei – wenig überraschend – die sogenannten Energy Drinks weg (mit einem Höchstwert von umgerechnet 13,5 Stücken Würfelzucker auf 250 ml), aber auch in der Bar bekannte Player wie Schweppes Bitter Lemon  (12,1 Gramm Zucker je 100 ml oder umgerechnet 10 Stücke Würfelzucker pro 250 ml) greifen ordentlich in die Zuckerdose. Selbst die Bio-Traubensaftschorle von Fritz enthält ca. 6,5 Würfelzucker pro 250 ml.

Oliver Huizinga von Foodwatch schlägt einen einen Drei-Stufen-Plan vor, um dem Problem der als Durstlöscher angepriesenen Kalorienbomben Einhalt zu gebieten: „Eine bessere Kennzeichnung der Produkte, eine Beschränkung des Marketings und der Werbung, die sich an Kinder richtet, und eine Abgabe der Getränkeindustrie.“

SWEET LAW AND SUGAR ORDER

Eine bessere Kennzeichnung fordern manche Experten mit einem „Ampelsystem“, die Produkte durch einheitliche Symbole kennzeichnet, schon länger. Das Problem ist ja nicht, dass die negativen Auswirkungen einer zu süßen Ernährung nicht bekannt wären, ignoriert würden oder gar verteufelt. (Es funktioniert auch nicht mehr wie im Jahr 1967, als die Zuckerlobby drei Ernährungswissenschaftler der Harvard Universität offenbar mit 50.000 US-Dollar schmierte, um Fett und Cholesterin den schwarzen Peter für Herzerkrankungen zuzuschieben). Das Problem ist ein altbekanntes: Bevormundung vs. Aufklärung.

Es gibt Verordnungen, die Sinn machen, wie Geschwindigkeitsbeschränkungen vor Schulen, ein Hundeverbot in der Schwimmhalle oder Telefonverbot in der Bibliothek. Es gibt aber auch Aktionen, die nach Bevormundung riechen, und eine Zuckersteuer oder -Abgabe hat diesen Beigeschmack. Denn das eigentliche Problem – ein schlechtes Ernährungsbewusstsein und mangelnde Aufklärung – würde damit wohl kaum behoben. Sondern nur verlagert. Zuckerhaltige Getränke zu besteuern und gleichzeitig dabei zuzusehen, wie McDonalds sein Happy Meal austeilt oder die Zuckerwatte zur Kirmes zum Kinder-Highlight zählt, packt das Übel ja nicht wirklich an der Wurzel.

Der Report der Europäischen Union, „Food taxes and their impact on competitiveness in the agri-food sector“, 2014 erschienen, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Der Bericht bestätigt zwar die positive Auswirkung von Steuern auf den Gehalt von Zucker, Salz und Fett in Nahrungsmitteln, „allgemein ist eine Reduzierung des Konsums der besteuerten Produkte festzustellen“, heißt es da. Gleichzeitig wird jedoch darauf hingewiesen, dass sich der Konsument eben nach billigeren Alternativen umsieht. Mit anderen Worten: Der Zuckerjunkie findet seinen Weg. Auch mögliche negative, wirtschaftliche Auswirkungen für die Branche werden angeführt.

SWEET CHILD O´MINE

In der Bar sind Zucker und zuckerhaltige Flüssigkeiten natürlich elementare Bestandteile. Wer behauptet, die Süß-Sauer-Mischung hätte hier eine evolutionsstiftende Wirkung gehabt, hätte ein paar Argumente für sich. Zucker ist im Filler in Highballs, in den Likören, als natürlicher Bestandteil in Früchten, in den Sirups, freilich in den Cocktails. Das spielt sich im Jahr 2016 zwar in einer ganz anderen Liga ab als zu Ende des 19. Jahrhunderts, als Zucker noch wesentlich höher dosiert war, um die Spirituosen überhaupt trinkbar zu machen. Aber bereits 1948 gab David A. Embury seine radikale 1 cl-Zuckerdosis für seinen Sour vor. Ganz ohne geht es jedoch nicht, selbst der trockenste low-sugar-drink wird irgendwann ungenießbar, und wie es eben so ist: „Zucker ist Zucker, egal ob vom Rohrzucker oder von Bienen“, formuliert es Sarah Wilson, australische Bestseller-Autorin und Macherin des Blogs „I Quit sugar“. (Wer sich für diverse Süße-Quellen von Stevia bis Birkenzucker und deren Einsetzbarkeit an der Bar interessiert, dem sei Reinhard Pohorecs ausgiebige Studie in MIXOLOGY 03/16 empfohlen.)

„Übergewicht und Adipositas haben bekanntlich viele Ursachen und wir können diese Probleme nicht mit Gesetzen und Verboten lösen“, stellt hingegen das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf eine Anfrage der Apotheken-Rundschau klar. Soll heißen: Vorerst wird an keine Reglementierung gedacht. Das spricht schon mal dafür, dass sich Bars vorerst keine Sorgen um steigende Preise machen müssen. Eine potentielle Besteuerung von Tonics und Limos klingt ohnehin eher nach einer Verärgerung des Kunden – an den der Aufwand letztlich wohl auch weitergegeben würde. Wenn es allerdings Richtung Sirups, Liköre oder auch dem Rohrzucker im Mint Julep gehen würde, wäre das eine andere Sache. Das ist das Eingemachte der Bar, ihre DNA.

Aber wäre so ein Schritt überhaupt zu legitimieren? Wäre dann nicht auch der Löffel Zucker für den Espresso eine Abgabe wert? Kaum vorstellbar, dass sich das Ganze so weit ausdehnen könnte. Andererseits war es auch bis vor zehn Jahren kaum denkbar, auf einem Konzert nicht zu rauchen, während man heute von allen Seiten wie ein Aussätziger betrachtet wird, wenn man es tut – und sich auch so fühlt.

Das Thema Zucker ist jedenfalls eines, an dem sich sowohl etwas Gutes wie auch etwas Schlechtes finden lässt. Vielleicht wäre an ihm ein gutes Beispiel zu statuieren, wie bessere Aufklärung über eine oktroyierte Abgabe zu stellen ist. Ein bewussterer Umgang mit der Thematik ist auf jeden Fall sinnvoll. Die Frage, wieviel Zucker man sich mit einen Gin & Tonic, einem Horse’s Neck oder einem Moscow Mule reinzieht, darf gestellt werden. Aber wie es der Frankfurter Bartender und regelmäßige MIXOLOGY-Gastautor Gabriel Daun so schön formuliert hat: „Wenn man sich dafür das eine oder andere Bonbon verkneift, sollte dem unbeschwerten Barbesuch auch nichts im Wege stehen.“

Credits

Foto: otttn

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