Selosoda: Droht der nachhaltigen Limonade das Aus durch die EU-Bürokratie?
Sie wurde als Innovation gefeiert, nun droht der Selosoda aufgrund einer EU-Verordnung der Untergang. In der Geschichte – oder vielmehr Farce – um die auf der Kaffeekirsche basierenden Limonade spiegelt sich das vielleicht größte Problem des europäischen Staatenbundes wider: seine Schwerfälligkeit.
Es ist durchaus richtig und bedarf in der heutigen Zeit mehr denn je des ewigen Repetitio, die Vorteile und Errungenschaften der Europäischen Union und Wertegemeinschaft herauszustellen, sie zu betonen und ihnen eine gewisse Achtung, ja den nötigen Respekt entgegenzubringen.
Das seit über 50 Jahren bestehende historische Konstrukt einer politischen Überzeugung der Überwindung von Grenzen auf der Karte und im Kopf brachte uns die Freizügigkeit von Waren und Dienstleistungen, Personen und Arbeitnehmern. Sie schenkte uns Erasmus, eine gemeinsame Währung und befreite uns von einem zusätzlichen Ballast der Bürokratie. Nicht zuletzt ist die EU auch wichtig für jedes ihrer Mitglieder, die aufgrund der demographischen Wachstumsexplosion in Asien, Afrika und Südamerika drohen, alleine in der wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit und politischen Peripherie zu versinken. Gemeinsam sind wird stark, zumindest auf dem Papier.
Selosoda und die nicht vorhandene Zeit
Denn das Europa, das wir alle so lieben und als Konterpunkt gegen national-populistische Tendenzen sehen wollen, leidet im Grunde an jenem reglementierten Konstrukt, das es sich selbst auferlegt hat. Wenn 28 Mitgliedsstaaten, die historisch, politisch und kulturell nicht unterschiedlicher geprägt sein könnten, in ein und derselben Sache auf den gleichen Nenner kommen müssen, damit Verordnungen und Richtlinien auf den Weg gebracht werden können, dann bedarf diese Bilderbuch-Demokratie der Utopie zumindest einer Sache: Zeit.
Gerade die hat Laura Zumbaum, Start-up-Gründerin und Erfinderin der Selosoda, nicht. Eine EU-Verordnung mit dem klangvollen Namen „Novel Food Catalogue“ erschwert ihr den Vertrieb der von ihr verkauften Limonade und könnte das Ende eines vor zwei Jahren erfolgreich gestarteten Projektes sein. Doch warum all die Aufregung um eine Limonade?
Kaffeekirsche ist das Geheimnis der Selosoda
2015 ins Leben gerufen, zeichnet Selosoda bis heute vor allem die Verwendung einer ganz bestimmten Zutat aus: des Fruchtfleischs der Kaffee-Bohne, auch Kaffeekirsche genannt. Was bei der Kaffee-Produktion rund um die Bohne immer nur Abfallprodukt war, wurde von Zumbaum schnell als interessante Aromakomposition für etwas, das in Deutschland eher Mangelware ist, gesehen: eine besondere Limonade. Ohne Zucker und andere Zusätze, dafür reich an Vitaminen, erfuhr die Idee ihrer Selosoda auch Unterstützung des Business Angels Christophe Maire.
Das so erfolgreich gestartete Projekt ist nun in großer Gefahr. Besagte EU-Richtlinie besagt nämlich, dass alle nach 1997 auf dem europäischen Markt als Lebensmittel verkauften Produkte, in der Regel Rohwaren, zunächst auf gesundheitsgefährdende Bestandteile geprüft werden müssen. So absurder Weise eben auch jene Kaffeekirsche, die im Grunde ob ihrer biologischen Existenz her ein integraler Bestandteil der Kaffeebohne sein müsste. „Zunächst haben wir den Hinweis von der Lebensmittelbehörde bekommen, kurz danach folgte ein Schreiben des LKA. Als nächstes droht uns die Strafanwaltschaft mit Geldstrafe oder Vorstrafe“, so Zumbaum im Gespräch.
Selosoda als Spielball politischer Interessen
Nun ist vor allem der Sektor alternativer Limonaden und Filler in Deutschland noch immer ein hartes Pflaster. So ist die Marge selten höher, als dass das gewonnene Kapital nicht wieder für die nächste Produktionscharge aufgewandt werden müsste. Für Zumbaum und ihrem Selosoda-Team, dem ein Verkaufsstopp kurz nach Produktionsphase von über 50.000 Einheiten droht, eine Katastrophe.
„Wir bemühen uns jetzt um eine Duldung und betreiben Lobbyarbeit, um über die richtigen Leute in Ministerien vielleicht noch etwas erreichen zu können. Wir haben zwar eine gute Argumentation für einen Vertrauensschutz, um unser Produkt jetzt noch bis zum out-of-stock-Zeitpunkt absetzen zu können, aber gerade diese politische Arbeit ist unfassbar nervenaufreibend.“
Einig in der Uneinigkeit
Und sucht man nach Antworten, so sucht man meist vergebens. Die EU verweist auf die Länder, die Länder auf die Kommission. Einig in der Uneinigkeit, ein zu Beginn angesprochenes Charakteristikum des Staatenbundes. Drei Monate lang kann die Erstprüfung der Kaffeekirsche nun dauern, 60 Tage haben danach alle Länder Zeit, einen Einspruch einzulegen. Zeit, die das Team um Selosoda nicht hat.
Besonders brisant wird es dann, schaut man sich die Umstände einmal genauer an. Kurz nachdem in den USA der milliardenschwere Großkonzern Starbucks sich dazu entschied, die Kaffeekirsche ebenfalls als Bestandteil einiger Produkte in seinen Shops anzubieten, rief das die direkte Konkurrenz schnell auf den Plan.
Die Big Player und Angst vor Innovation
Alles andere als unbekannt ist sie, die schwierige Situation der großen Getränkehersteller. Ein wegbrechender Absatzmarkt, fehlende Innovation und Abkehr der Kunden hin zu alternativen Limonaden machen den Großen zu schaffen. Innovation macht ihnen Angst, Lobbyarbeit scheint da oftmals der einzige Weg.
„Caffeinated Soda geht halt gerade gut ab in den Staaten und ich könnte mir schon vorstellen, dass einige großen Produzenten da gerade ihre Felle davonschwimmen sehen“, so die Selosoda-Macherin. „Ich denke nicht, dass da ein EU-Beamter in Italien plötzlich denkt: ‘Ist die Kaffeekirsche nicht eigentlich eine fremde Zutat? Lass uns die mal in den Katalog aufnehmen’“.
Dass die neuartige Reglementierung nichts anderes ist als eine Schikane und ein Hindernis für progressive Entwicklung zeigt auch die Tatsache, wie wenig es in Wirklichkeit eigentlich um den Faktor der Gesundheit geht. Könnten Zumbaum und ihr Team beweisen, dass eine Kaffee-Rösterei in Berlin die Zutat bereits vor 1997 verkauft hat, dann wäre das Nebenprodukt der Kaffeeproduktion nicht mehr im Katalog.
Besonders absurd und geradezu unverständlich wird es auch bei einer weiteren Begründung seitens der EU. Zwar kann Laura Zumbaum die Kaffeekirsche nicht mehr direkt für ihre Selosoda benutzen, es steht ihr aber offen, ihr Extrakt, eben die Fructose, als Sirup zu verwerten und dieses dann als Aroma in ihr Getränk zu geben. Dann könnte man der Reglementierung nach die Rohware verwenden, weil sie nicht als Lebensmittel gelte.
Alternativloses Politikum
Und so ist die Aufnahme der Kaffeekirsche in den Katalog nichts als ein Schlag in das Gesicht der Innovation, der letztlich auch den Kunden trifft. Denn wo eine derartig absurd Reglementierung dafür sorgt, dass nachhaltige Produkte wie Selosoda aus dem Regal verschwinden, da wird der Konsument in seinem Kaufverhalten massiv eingeschränkt, bevormundet und hin zu den großen, immer dagewesenen Limonaden gedrängt. Ein Skandal, ein Politikum.
Denn einhergehend mit dem Produktionsstopp geht auch das Auslisten des Produktes in allen Supermärkten, um die das Team lange hat kämpfen müssen. Aufgeben wird Zumbaum ihre Selosoda keineswegs. Sie arbeitet momentan bereits an einem Alternativprodukt zusammen mit einer Kaffee-Kooperative aus Kolumbien. Dahinter steckt die gleiche Vision wie schon auch bei Selosoda: Ein extrem nachhaltiges Produkt zu schaffen, das sich durch Innovation und Beständigkeit auszeichnet. Basieren wird es laut der Wahlberlinerin wohl auf grünen Kaffeebohnen und exotischen Kräutern und Gewürzen. „Wir brauchen ja auch einen wirtschaftlichen Bestand, um auf dem Markt zu bleiben.“
Selosoda: Lost in Debattierwut
So ist letztlich all die Lobhudelei bezüglich Innovationsstandpunkte und all das Nachhaltigkeits-Geschwafel nichts wert, wenn es sich nicht im täglichen Leben auch bemerkbar macht. So mag es vielleicht eine nette Vision sein, doch scheint auch diese in der Debattierwut der EU unterzugehen. Aber auch das ist ja bekannterweise nichts als kalter Kaffee…
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