Gegen die Hysterie: Ein Plädoyer für Awards
Awards haben in der Barwelt einen hohen Stellenwert entwickelt, vielleicht einen zu großen. Unter dieser Prämisse kam letzte Woche eine Runde im Rahmen von P(our) zusammen. Ein Diskussion sollte Licht ins Dunkel bringen. MIXOLOGY-Chefredakteur Nils Wrage nimmt dieses Ereignis und die generellen, aktuellen Trends im öffentlichen Diskurs der Szene zum Anlass für einen Kommentar. Und für ein Plädoyer zugunsten der Idee namens „Award“.
„Ich nehme diesen Preis nicht an!“ Mit diesen Worten sorgte Marcel Reich-Ranicki, gleichzeitig Bewahrer und Enfant-terrible der deutschen Literaturkritik des 20. Jahrhunderts, für einen seiner vielen kleinen Eklats und für einen handfesten Skandal im jüngeren deutschen Kulturbetrieb. Es war im Oktober 2008, dem sogenannten Literaturpapst sollte für sein Lebenswerk, namentlich für die langjährige Leitung und Prägung der Sendung „Das literarische Quartett“, der Deutsche Fernsehpreis für sein Lebenswerk verliehen werden. Sollte, wohlgemerkt. Doch er mochte ihn nicht haben. Bescheidenheit? Wohl kaum. Nicht bei so einem wie Reich-Ranicki. Es war eine Mischung aus Stolz, vielleicht sogar falschem Stolz, und der Meinung, dass ihn Kontext und Vergabe-Instanz störten.
Halbgötter und Hohepriester
Genrepäpste gibt es überall. Manche fahren Skateboard, spielen Fußball oder Gitarre. Sie züchten Orchideen, entwickeln Herstellungsverfahren in der Halbleitertechnologie oder sie kochen mit Schäumen, Aerosolen und Trockeneis (oder sie beschäftigen sich, heutzutage wohl eher der Fall in der Hochküche, mit der Frage, wie man den Geschmack eines in der Region erzeugten Spitzkohls möglichst unverfälscht auf einen Teller transportiert).
Und manch andere Päpste wiederum stehen hinter einem Tresen. Der Wunsch des Menschen, sein Bedürfnis, zu anderen aufzublicken, speist nicht nur die Religion im eigentlichen, transzendentalen Sinne, sondern sublimiert sich auch im Profanen, im Bestreben, Einzelne stellvertretend für ein großes Ganzes zu bewundern. Daran ist nichts schlimm. Das hat nichts mit blindem Gefolge zu tun oder mit unreflektierter Hingabe an einen Halbgott. Es ist allzu menschlich. Ohne Identifikationsfiguren wären viele Technologien und Berufe heute nicht dort, wo sie sind. Denn nur Leistung an sich hat wenig Magisches – es braucht den Menschen als Träger, die Figur, die das Feuer transportiert und die einem Ort auch erst seine Konnotation verleiht.
Pantheisten und Physikotheologen
Insofern darf es auch nicht verwundern, dass es wie überall sonst auf der Welt auch in der Barcommunity schon immer Wettbewerbe, Auszeichnungen und Bestenlisten gegeben hat. Weil der Mensch sich sich seines Hanges, sich zu kontextualisieren und zu kategorisieren, nicht erwehren kann. Weil die Suche nach dem Speziellen, dem Besonderen, ein Gegengift ist zum Alltag. Das Transzendentale, das sich auch in jedem noch so grauen Grau findet, wenn man so will. Das hat nichts mit Dogmen zu tun, sondern mit Humanität. Sogar die Pantheisten und Physikotheologen der technokratischen Aufklärung hatten angesichts der blühenden Naturwissenschaft ein Problem, sich mit dem alten, klerikalen Weltbild zu arrangieren – sie sahen daher Gott verkörpert in der Welt. Die Barwelt macht sich heute zwar keine Götter, aber sie schaut zu Gewinnern von Preisen auf. Zu jenen, die die Bestenlisten anführen oder Preise in den Himmel recken.
Es ist immer gesund – und ein wichtiger Aspekt der Aufklärung – jenen als Fakt inszenierten Auszeichnungen und Awards stets mit einer gesunden Skepsis entgegenzutreten. Das gilt ganz besonders für „weiche“ Gattungen von Auszeichnungen, die nicht in einer nachweisbaren Leistung liegen, sondern in der Bewertung durch andere Menschen. Eiskunstläufer können davon ein Lied singen. Skispringer übrigens sogar auch. Und ganz besonders können das Köche und Bartender. Diese Skepsis der Fachwelt in Bezug auf Preise für Bars und Bartender, und das ist an sich begrüßenswert, tritt in letzter Zeit vermehrt und offen zutage. Dabei gibt es zwei Themengebiete an Kritikpunkten, aus denen sich die Bedenken speisen. Erstens: Wer verleiht eigentlich Preise, wer gesteht sich selbst die Kompetenz zu, die Arbeit des anderen zu bewerten und zu sagen, welche Person oder welcher Ort der Beste ist? Welche Interessen stecken dahinter? Ist am Ende der Preis nur eine Hülle der Generierung von Aufmerksamkeit für den Stifter? Geht es nur um Geld?
Und zweitens: Entwertet sich das Prämierungsuniversum nicht letztlich dadurch, dass es zu einem ebensolchen geworden ist? Unter anderem diese beiden Leitfragen waren es auch, die die Macher der Plattform P(our) dazu bewogen hatten, am Montag vergangener Woche in London eine vielbeachtete Podiumsdiskussion zum Thema „Awards“ abzuhalten. Nun sind die Macher von P(our) (etwa Alex Kratena, Simone Caporale, Joerg Meyer oder Jim Meehan) sowie auch viele der Diskussionsteilnehmer (etwa Zdenek Kastanek, Simon Ford, Ryan Chetiyawardana und „Alternative-Bar-Awards“Gründer Jake Burger) selbst in Sachen Awards sehr bewandert. Also Menschen, die etwas von der Thematik verstehen und deren Mechanismen selbst kennengelernt haben.
Die drei Fragezeichen
Moderator Jim Meehan führte in gewohnt humorvoller Weise durch das Gespräch, das sich im Prinzip in drei inhaltliche Großbereiche gliedern ließ:
1) Die Frage, ob Awards zu groß, zu professionalisiert und mittlerweile zu sehr von wirtschaftlichen Interessen getrieben sind.
2) Die Problematik der Bewertung: Wer zeichnet aufgrund welcher Wahl- und Ausschlusskriterien verantwortlich für die Vergabe und wie könnte man dort Prozesse optimieren bzw. nachvollziehbarer gestalten?
3) Die Frage, ob die Hysterie um Awards heutzutage bei einer steigenden Zahl von Bars und Bartendern dafür sorgt, dass die tägliche Arbeit dem abstrakten Primärziel „Awardgewinn“ untergeordnet wird. Vereinfacht gesagt also: Gefährden Bars Qualität und Integrität der Barszene?
Um die erste Frage nachvollziehen zu können, muss man rund zehn Jahre in die Vergangenheit zurückblicken: 2007 nämlich wurden zum ersten Mal im Rahmen der Tales Of The Cocktail die Spirited Awards verliehen, bis heute vielleicht das weltweit wichtigste Awards-Format der internationalen Branche. So etwas wie die Geburtsstunde der heutigen Award-Kultur. Simon Ford, Preisträger bei den ersten Spirited Awards und in der Folge bis 2016 einer der Organisatoren, fasst die Entwicklung seither zusammen: „2007 war es ungefähr so: Ich kam dort an, war noch vollkommen verkatert von er Nacht zuvor. Übrigens waren die Awards damals noch eine Nachmittagsveranstaltung. Es gab ein Frühstücksbuffet. Ich stand da also mit meinem Glas Champagner und einem Teller Rührei, war total betrunken, und plötzlich hieß es ‚And the winner is – Simon Ford!‘ Das war alles damals: eine Bühne mit ein paar Dutzend Betrunkenen davor. Heute ist eine festliche Abendveranstaltung mit 1.200 Gästen, und es könnten sogar noch mehr Ticket verkauft werden, wenn es denn einen größeren Veranstaltungsort gäbe.“
Übrigens wurden im selben Jahr auch die MIXOLOGY BAR AWARDS beim ersten Bar Convent Berlin vergeben – deren Entwicklung vom lockeren Branchentreff zu einer Gala ganz ähnlich verlief. Gleiches gilt für andere nationale Preise.
Gastgeber und Gemeinplätze
Awards sind heute in vielen Fällen eine festliche, großformatige Angelegenheit. Das erfordert viel Arbeit. Und Geld. Ohne Sponsoren geht das nicht. Auch nicht ohne PR – denn wer sich die Mühe macht, ein solches Event aus dem Boden zu stampfen, der möchte, dass es auch Beachtung gibt. Daran ist an sich, nüchtern betrachtet, auch nichts Schlimmes zu finden. Möchte man meinen. Woher kommen also die Bedenken? Zumal, wie Jim Meehan selbst anmerkt, die gewonnenen Awards „für jeden von uns wichtig“ waren, außerdem habe „sie die Community zu einem wichtigen Zeitpunkt näher zusammengebracht“.
Für Chetiyawardana liegt die Gefahr vor allem darin begründet, dass die gesteigerte Aufmerksamkeit von Preisverleihungen dazu führen kann, dass Bars ihre Arbeit zielgerichtet so anlegen, auf dem Schirm der großen Jurys aufzutauchen: „Unsere Awards haben uns definitiv sehr geholfen, aber wir haben es nie darauf angelegt“, meint der Betreiber von White Lyan und Dandelyan. Auch William Drew, leitender Redakteur der World’s 50 Best Restaurants und neuerdings auch der World’s 50 Best Bars (W50BB) sieht das so: „Ein Award kann und darf immer nur das Nebenprodukt guter Arbeit sein. Ansonsten treibt die ‚Jagd‘ darauf zu den wildesten Stilblüten und Exzessen!“ Dieser von „Mr. Lyan“ und Drew geäußerte Punkt ist zwar treffend, aber andererseits auch eine Art immer und überall mantrahaft gebeteter Gemeinplatz, überdies eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Dass die alltägliche Arbeit für den Gast am Ende für einen Unternehmer und Bartender mit gesundem Blick ausschlaggebend sein sollte, ist eigentlich klar.
Doch scheint es dann nicht eigentlich um ein Problem zu gehen, das in einer ungesunden Hysterie einzelner liegt? Wenn sich einige Bars oder Teile deren Teams verblenden lassen und sich explizit anschicken, so zu arbeiten, dass sie einen Preis gewinnen, wenn sie meinen, ein Award sei im Prinzip obligatorisch – ist das ein Fehler der Preise oder derjenigen, die sie stiften und verleihen? Es gibt immer die lauten Claqueure, die Narzissten, die sich in den Vordergrund drängen. Aber ist es nicht am Ende die Lautstärke dieser wenigen, die von einer großen Mehrheit all jener Bars ablenkt, die ihrer täglichen Arbeit nachgehen und Preise tatsächlich als Nebeneffekt ansehen? Soll man sich durch diese Doppelbödigkeit die Freude daran vergällen lassen, „Exzellenz anzuerkennen und zu würdigen“, wie Meehan den Zweck von Awards passend zusammenfasst?
Vergabe und Verschlagenheit
„Mich störte immer das Gefühl, dass die Szene durch die Awards sehr stark damit befasst war, sich selbst auf die Schulter zu klopfen“, führt Burger an – doch nicht einmal eine Hand voll globaler Preis-Formate und deren nationale Entsprechungen können damit nicht ernsthaft gemeint sein. Und Meehan meint: „Mich störte die Doppelzüngigkeit: Da gab es bei der Verleihung Gratulanten, die direkt nach den Glückwünschen raus gingen und anfingen, Mist über denjenigen zu reden, dem sie eben noch gratuliert hatten.“ Aber auch hier gilt wieder: Ist die Verschlagenheit, die Missgunst Mancher ein Grund, etwas völlig anderes anzuzweifeln?
Viel begründeter sind in jedem Fall die Zweifel an den Vergabekriterien bzw. die Jurykonfigurationen der unterschiedlichen Plattformen. Diese Fragestellung war es auch, die von der P(our)-Runde am kontroversesten und konstruktivsten bearbeitet wurde. Denn natürlich stellt sich jeder Beteiligte – auch jeder kritische Gewinner eines Preises – angesichts stets „weicher“ Bewertungskriterien zu recht die Frage, wie eine Preisvergabe oder die Erstellung einer Bestenliste überhaupt vonstatten geht und ob die Wählenden genügend Kompetenz mitbringen. Denn: Es kann niemals objektiv bewertet werden – selbst dann nicht, wenn in einem Phantasieszenario eine unabhängige und hauptamtliche Jury nach einem Punktesystem bewerten würde. Aber die Runde zeigt sich auch einig in der Einsicht, dass eine solche Vorstellung ohnehin nicht realisierbar wäre – es sei denn, auch dort wären wieder Sponsoren involviert.
Objektivität und Subjektivität
Die Gretchenfrage von Meehan lautet: Sind die Bewertungen der Juroren bei Spirited Awards, W50BB oder MIXOLOGY BAR AWARDS intuitiv oder objektiv? Die Mehrheit der Beteiligten bezieht klar Stellung: Die Wahl geht subjektiv über die Runde. Einzig Chetiyawardana bringt implizit den Begriff der „Intersubjektivität“ ins Spiel. Eben, weil doch eine objektive Bewertung per definitionem ausgeschlossen sei, würden Juroren aufgrund ihrer Kompetenz ausgewählt und dann intersubjektiv entscheiden – was nichts anderes bedeutet, als dass eine zwar individuelle, aber dennoch begründbare Wahl getroffen würde. Wo keine empirische Wahrheit existiert, gibt es auch gar keine andere Möglichkeit.
Natürlich wurde auch das Thema von Bestechlichkeit und Manipulation diskutiert. So gab Ford zu, ihn hätten im Laufe der Jahre Hinweise erreicht, dass möglicherweise einige der zur Tales-Jury gehörende Markenbotschafter versuchten, Vereinbarungen mit Bars einzugehen, frei nach dem Motto: „Wenn Du meine Produkte listest, hast Du meine Stimme.“ Sicher ist, dass so etwas oder ähnliches passiert. Auch der Autor dieser Zeilen, der im vergangenen Jahr erstmals für den internationalen Teil der Spirited Awards mit abgestimmt hat, wurde von einigen Bars kontaktiert, und zwar mit der Anfrage, ob er ihnen seine Stimme geben würde.
Letztlich muss anerkannt werden, dass es überall, in jeder Branche, Manipulationsversuche gibt und geben wird. Auch sie gehören dazu, wenn Menschen beteiligt sind. Und man mag von den jeweils spezifischen Modifikationen der Jury und den einzelnen Wahlverfahren halten, was man will, aber beim Blick auf die öffentlich gemachten Zusammensetzungen der Jury darf man getrost feststellen: Dort sind Fachleute aufgelistet. Die von P(our)-Mitglied Meyer im Anschluss an die Debatte geäußerten Bedenken darüber, „wen wir [die Barszene, d.Red.] über uns abstimmen lassen“, sind ein interessantes Gedankenspiel. Mit Blick auf die Realitäten der Jurys bei den großen Formaten muss man jedoch eigentlich eher fragen: Wer, wenn nicht die Leute, die es ohnehin schon tun? Man mag immer Probleme mit Einzelfällen einer Jury-Besetzung haben. Aber auch die muss man ertragen lernen. Oder einfach diese Awards dann nicht mehr beachten.
Misstrauen und Medien
Ein tiefes Misstrauen scheint in der Barszene zudem aufgrund der Tatsache gehegt zu werden, dass die großen Awards heutzutage auch viel externe Beobachtung durch größere Medien und ein fachfremdes Publikum erhalten. Als würden sich dort Leute „einmischen“, die kein Recht dazu haben. Diese Vermutung lässt sich immer wieder heraushören, wenn die zu starke Größe von Awards erörtert wird. Wenn es darum geht, dass Awards mittlerweile nicht mehr nur eine szene-interne Würdigung sind, sondern durch ihre mediale Beachtung auch durchaus eine Richtgröße für interessierte Barflys und Gäste.
Doch lässt sich ein solch „toxischer Effekt“ wirklich auf die Gesamtheit an Preisen und Würdigungen übertragen? Lässt sich die Tatsache, dass – wie überall – einige Protagonisten nicht mit Ruhm umgehen können, als Beleg für eine Vergiftung des Branchenklimas heranziehen? Die Antwort sollte logischerweise „nein“ lauten. Auch das Zurechtkommen mit Anerkennung ist zunächst einmal Aufgabe und Angelegenheit des Einzelnen, ebenso wie das Schultern der Bringschuld, die eventuell mit der Annahme eines Preises einhergeht, denn Preise erwecken bei neuen Gästen, die aufgrund dessen eine Bar überhaupt erst besuchen, eine bestimmte Erwartungshaltung. Aber keine Bar, die einen Preis gewonnen hat, wird dazu gezwungen, den Gewinn in großem Maßstab an die Öffentlichkeit zu tragen. Niemand wird beleidigt sein, wenn eine angeblich „Beste Bar in XY“ auf ihrer Website kein Wort über ebenjenen Award verliert – außer vielleicht die verleihende Instanz, die dann aber eben wiederum damit klarkommen muss.
Die professionelle Bar muss auch das gesteigerte Interesse der Öffentlichkeit an ihren Vorgängen und Entwicklungen „ertragen“ lernen. Denn jenes geht einher mit der Verbreitung eines immer stärker in der Gesellschaft verankerten Begriffs von Bars und Cocktails. Es wäre weltfremd, naiv und irgendwie auch infam von der Barwelt, vor allem von der „alten Garde“ der Gründerzeit, zu erwarten, dass die Szene und ihr Ankommen in einer größeren Konsumentenschicht nicht auch zu mehr Beachtung führen würde. Denn ein Wachstum, eine Etablierung bei einer breiteren Schicht scheint genau der Wunsch vieler Initiatoren gewesen zu sein, die seinerzeit dazu beigetragen haben, dass die Barkultur wieder erstarkt.
Rote und schwarze Zahlen
Sich nun darüber zu ereifern, dass auch die Maßstäbe der begleitenden Phänomene wachsen, enthält eine Spur von Klüngel und nostalgischem Elitenkult. Nicht alles, was wächst, ist automatisch schlecht. Es ist nur nicht unbedingt wie früher. Der Vorwurf einer zu starken Monetarisierung von Awards hingegen wirkt in Teilen nur wie ein Additiv: Denn ohne Sponsoren geht es nicht. Es sei denn, es würde eine Stiftung gegründet, die Awards spendet. Aber auch diese Stiftung hätte Gönner und wäre in ihrer Integrität wieder angreifbar. Der Vorwurf jedenfalls, bei Awards gehe es heutzutage nur noch ums große Geld und eigentlich viel mehr um jene, die sie verleihen, verpufft im Angesicht der Realität recht schnell. Denn worüber spricht man heute, wenn es – nur beispielsweise – um das Barteam des Jahres der MIXOLOGY BAR AWARDS 2015 geht? Man spricht über den Gewinner, die Berliner Booze Bar – und nicht über das Magazin oder den damaligen Sponsor.
Und ums Geld geht es deshalb, weil eine große Verleihung mit all ihrem Vorlauf in Sachen Infrastruktur und Organisation ohne Geld nicht möglich wäre. Und zwar viel Geld. Das geht nur mit Sponsoren. Mutmaßlich wird keine der großen Plattformen ihre Macher aus alleiniger Kraft reich machen: Die MIXOLOGY BAR AWARDS tragen sich erst seit einigen Jahren mit einer ungefähren „Schwarzen Null“, davor machten sie als Einzelposten Verlust. Und die Spirited Awards schreiben vereinzelten, leider nicht vollends bestätigten Angaben zufolge bis zum heutigen Tag rote Zahlen.
„Wir dürfen vor allem nicht vergessen, dass das, was wir gerade in Sachen Awards erleben, noch immer Geburtswehen sind“, führt Ford einen wichtigen Aspekt an. Auch Chetiyawardana merkt an: „Unsere Branche ist trotz der starken Entwicklung der letzten Jahre noch immer sehr jung.“ Mit Blick auf diesen Umstand lassen sich auch Awards anders begreifen, an denen weniger Schlechtes ist, als derzeit mancherorts gesagt wird. Freilich ist ebenso nicht alles gut an ihnen, auch nicht an den eigenen Awards von MIXOLOGY. Die Stifter und Macher werden ihre Formate und Mechanismen hoffentlich jedes Jahr wieder kritisch überdenken und abändern, möglicherweise auch einen offenen Diskurs über die Wahlverfahren zulassen. Vielleicht wird es irgendwann an der Zeit sein, dass (wie bei den Tales schon teils praktiziert), Jury und/oder Beiräte noch durch ein Aufsichtsgremium flankiert werden, das auf die Einhaltung von Standards, Kategorien und Kriterien achtet.
Hysterie und Ruhe
Awards werden niemals eine reine Wahrheit transportieren, das können sie gar nicht. Es ist an sich auch fatal, ihnen diese Aufgabe überhaupt zuzudenken. Aber sie sind noch immer ein gutes Instrument, wahrscheinlich das bestmögliche, wenn es darum geht, dass eine Branche aus sich selbst heraus ihre Kreativen, Leistungsträger und Vordenker würdigt. Man muss ihnen allerdings mit Ruhe begegnen, nicht mit Hysterie. Man darf sie Ernst nehmen, aber in keinem Fall verbissen. Man kann sie ignorieren und tut damit kein Übel. Der Umgang mit Awards zeigt vielleicht sehr passend und analog zu Fords Feststellung, dass es Teilen der Branche noch ein wenig an Souveränität fehlt. Denn der gesunde Umgang mit Lob ist zunächst einmal eine Frage von Haltung. Und die fängt beim Menschen an. Nicht beim Award. Jener allerdings fängt, wie oben gesagt, auch beim Menschen an. Er ist ihm ein Bedürfnis. Er ist nichts Schlimmes. Er ist keine Gefahr. Man kann ihn sogar ausschlagen und nicht annehmen. Aber auch diese Entscheidung liegt erst einmal bei Einzelnen und nicht im Wesen eines Preises verankert. Awards sind keine zwingende Notwendigkeit. Aber dennoch etwas Schönes.
Credits
Foto: M. Reich Ranicki via ZDF
Bernd Klein
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