Rye mit Geweih: der Elk’s Own Cocktail
Die Rye-Welle rollt weiterhin, doch leider meistens ohne den Elk’s Own Cocktail. Dabei ist der herbsüße, klassische Sour ein aromatisches Gedicht, nicht nur für Freunde gehörnter Riesenhirsche. Ein kleiner Ausflug in die Tierwelt der nördlichen USA mit einem altbekannten Ergebnis: Die einfachsten Drinks sind meist die besten.
Elche mögen Süßes. Dieses Problem haben auch schwedische Behörden entdeckt: vor einigen Jahren hatte man in Nordeuropa reichlich Probleme mit den Riesenhirschen, die sich im Winter auf gestreuten Straßen umtun. Weshalb? Die Tiere hatten herausgefunden, dass viele Hersteller von Streugranulat ihre Präparate auf Glukose oder Melasse aufbauen um so deren Haftung auf der Fahrbahn zu erhöhen. Für jeden Elch ein verlockendes, delikates „Streetfood“ im wahrsten Sinne des Wortes.
In Schweden streute man daher die Straßen wieder großteils mit anderen Substanzen. Das ändert nichts daran, dass es diesen einen Drink gibt, der das Tier mit den markanten Schaufelhörnern nicht nur im Namen trägt, sondern ihm gar „gehört“: der Elk’s Own. Ein herausragender, wenn auch unterschätzter Sour.
Elk’s Own
Zutaten
4-5 cl Rye Whiskey
2 cl roter Port (Ruby oder Tawny)
1-1,5 cl frischer Zitronensaft
1-2 BL Zuckersirup
½ Eiweiß
Aus den Wäldern in die Stadt
Angesichts seiner Herkunft mag der Bezug auf den Winterwald nicht verwundern. Seinen Ursprung hat der Elk’s Own Cocktail den Quellen nach im Chicago des 19. Jahrhunderts. Glaubt man David Wondrich, tat nämlich dort zunächst der Vorläufer namens Chicago Fizz seine ersten Schritte, der dem Elk’s Own, von Rum als Basis und einem Spritzer Soda abgesehen, komplett gleicht. Bekannt wurde der Chicago Fizz dann jedoch im New Yorker Waldorf Astoria, wo so viele Cocktail-Märchen ihren Anfang nahmen (wie der Bronx Cocktail).
Rum gegen Rye
Der Austausch von Rum gegen Rye ist dann letztendlich nur noch ein kleiner, fast zwangsläufiger Schritt, zumal in einer Zeit, in der vielleicht einfach eine Spirituose mal zeitweise nicht verfügbar war. Spätestens 1901 war jemand auf ebendiese Idee gekommen, denn in jenem Jahr wurde der Elk’s Own in der National Police Gazette mit der bartender’s medal ausgezeichnet. Das erste Cocktailbuch, das den Drink listet, ist Harry McElhones Standardwerk „Barflies & Cocktails“ von 1927. Ansonsten schweigt der Drink vornehm in Bezug auf seine Vergangenheit.
Die Herkunft in der „Windy City“ Chicago mag außerdem mit Blick auf den Namen des Elk’s Own nahe liegen. Zwar gelten Elche in Illinois nicht wirklich als heimisch, in der kalten Jahreszeit kann jedoch schon mal passieren, dass sich ein „geweihter“ Riese aus dem Norden ans Südwestufer des Michigansees verläuft.
Die Vielfalt in der Einheit
Dabei liest sich die Rezeptur zunächst fast ein wenig zu einfach. Ein simpler Rye Sour, der lediglich durch die Zugabe einer gesunden Ladung roten Portweins in eine fruchtig-würzige Richtung nachjustiert wird. Eigentlich nichts Besonderes. Sollte man meinen. Die Wahrheit sieht jedoch anders aus. Denn die feinen, grasigen Getreidenoten und das leichte Karamell des Rye verbinden sich mit der komplexen Süße und den Trockenbeerenaromen aus dem Port zu einem tiefen, vielschichtigen Gebilde, das trotz der Assoziationen nicht zu sehr ins Süße abgleitet und die Säure harmonisch einbindet. Das Eiweiß – das auf keinen Fall außen vor bleiben sollte – sorgt für die gewohnt seidige Struktur und unterstreicht die cremige Süße des Port.
Ein wenig muss eventuell auf den gewählten Port und dessen Süßwirkung eingegangen werden. So manche sehr zuckrige Ruby-Variante mag den Einsatz von Zucker fast komplett unnötig machen, dennoch sollte jedes Mal abgeschmeckt werden, bevor man den Whiskey hinzugibt. Und wer sich für einen länger gereiften, vollmundigen Tawny Port entscheidet, muss vielleicht mit einem Barlöffel Zucker mehr gegensteuern, wird aber dafür mit einem wahren Himmelreich an herbstlichen, fast schon weihnachtlichen Aromen belohnt. Um die nussigen, herben Töne des Port noch besser hervorzuheben, kann ein optionaler Spritzer Walnut Bitters nicht schaden, entweder im Drink oder einige Tropfen als Garnitur auf dem Schaum. Hier sind der Kreativität im Elk’s Own auch ansonsten keine Grenzen gesetzt.
Der Elch ist kein Freund des Floating
In den wenigen Bars, die den Elk’s Own auf der Karte führen, sieht man hin und wieder, dass der Port nicht mitgeschüttelt, sondern – möglicherweise als Verweis auf den New York Sour oder Continental Sour – nach dem Abseihen auf den fertigen Drink gefloatet wird.
Da der Likörwein im vorliegenden Beispiel jedoch gleichzeitig die Hauptzuckerquelle ist, sollte er aber eher komplett vermixt werden. So mancher Bramble, der zu Beginn nur nach Zitrone und am Ende ausschließlich nach Beeren schmeckt, darf als abschreckendes Beispiel gelten. Und bei einem solch sauren Einstieg hätte sich unser Elch bestimmt schon einen anderen Drink gesucht.
Dieser Beitrag erschien erstmals im Oktober 2015 auf MIXOLOGY Online. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er inhaltlich minimal adaptiert und mit einem neuen Bild versehen.
Credits
Foto: Sarah Swantje Fischer