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Fakten: Aber bitte mit Sahne!

Sahne, für Viele ein sprichwörtliches Fettnäpfchen an der Bar. Der Grat zwischen traumhafter Cremigkeit und klebriger Pampe ist überaus schmal. Tatsache ist allerdings: Sahne ist mitnichten der Dämon, als der sie von vielen Bartendern immer noch gesehen wird. Eine Annäherung von Philipp Gaux.

Licht und Schatten beim Thema Sahne in der Bar. Die Einen lieben ihren dem Drink durch sie verliehenen, cremigen Charakter und schwelgen in Erinnerungen vergangener Tage. Die Anderen kritisieren ihre überlagernde, dominante Präsenz in jedem Cocktail, dessen Rezept ihre Zugabe verlangt. Sahne spaltet die Gemüter. Doch stopp! Wie kam es eigentlich dazu?  Was macht Sahne im Drink? Zeit für einen Blick in die Vergangenheit!

1) Die „gute“ alte Zeit

Wir schreiben die 1980er Jahre. Die politische Stimmung in Deutschland ist ähnlich frostig wie der hiesige Winter, daheim träumen vielerorts Menschen davon, der angespannten Situation im Lande zu entfliehen. Und reichte das Geld nicht für ein Flugticket auf die Bahamas, dann doch mit Sicherheit für eine Piña Colada, einen „Swimming Pool“ oder „Flying Kangaroo“ (beides Kreationen aus dem Münchener Schumann’s übrigens). Gebeutelt vom Kalten Krieg, wärmten sich die Menschen an den durch Kokos, Ananas, Sahne und Blue Curaçao entfachten tropischen Illusionen fortan die heimischen Gemüter. Star dieser Szene war ebenjener Charles Schumann, der mit seinen Machwerken alsbald in aller Munde war und der Cocktailkultur Anfang der 80er-Jahre einen neuen Impuls gab.

Doch schnell kamen bessere Zeiten, der politische Horizont erhellte sich mit dem Mauerfall und zur Sahne gesellten sich Blender, Sweet & Sour-Mixes, Konservenfrüchte, und pasteurisierte Säfte. Die Cocktails wurden (noch) bunter, die Bartender noch agiler und wirbelten Shaker durch die Lüfte. Eine Hochkultur, befeuert durch Tom Cruises Auftritt in „Cocktail“. Und doch steht diese Zeit nicht nur für spaßige Panscherei der Bartender, sondern auch für traurigen Alltag voller Kreativitätslosigkeit hinter der Bar. Aus dem Handwerk wurde ein Sell-out, Sahne wurde für jeden Wald- und Wiesen-„Barkeeper“ zum Alleskleber süßer Tropenfantasien.

Schließlich kehrten sich mehr und mehr Menschen ab und proklamierten die Cocktail-Renaissance, zu deren prominentesten Opfern auch die Sahne gehörte. Fortan wurde sie nur noch verachtet, blieb weitestgehend ungenutzt. Jeder „ernsthafte“ Bartender, der am Puls der Zeit arbeitete, runzelte nur die Stirn, wenn eine Piña Colada bestellt wurde. Erst nach der Jahrtausendwende, als Bartender wieder vermehrt dazu übergingen, der alten Zeit samt ihrer Rezepte und Techniken Tribut zu zollen (und natürlich durch filmische Meisterwerke wie „The Big Lebowski“), wurde Sahne wieder unabdingbar und erlebte eine – wenn auch zaghafte – Renaissance.

2) Der Star der Texturen

Schade eigentlich, dass Sahne noch immer in vielen Bars ein solches Schattendasein genießt und Skepsis hervorruft, verfügt sie doch über besondere Eigenschaften. Im Grunde ist Sahne nichts anderes als ein Milchprodukt, das durch das „Aufrahmen“ entsteht, d.h. emulgierte Milchfette lösen sich aufgrund geringerer Dichte und bilden an der Oberfläche den sogenannten Rahm (oder „Obers“), der abgeschöpft werden kann und zentrifugiert zur Sahne wird.

Die süßliche Sahne, die wir zumeist in Cocktails verwenden (auch Schlagsahne genannt) verfügt über einen hohen Fettanteil von mindestens 30%. Ihren Beinamen verdankt sie der Tatsache, dass sie aufgrund des hohen Fettgehalts nach dem Schlagen steif wird. In ihrer Konsistenz ist sie nach dem Schlagvorgang fest und drängt sich somit regelrecht als Topping für Drinks auf, die durch eine schöne Textur formvollendet werden sollen (falls man nicht auf Espumas o.ä. zurückgreifen möchte).

3) Schütteln, Layern, Blenden?

Womit wir auch schon bei dem Grund angekommen wären, weshalb Sahne nun gar nicht zu den bevorzugten Zutaten hinter der Bar gehört. Denn sie fordert den richtigen Umgang und die gezielte Verwendung wie kaum eine andere Ingredienz. Man muss sich ihrer annehmen, wohlwissend, dass ein Drink mit Sahne mehr Zeit benötigt als einer ohne. Zum Beispiel wäre da wieder einmal ihre Konsistenz. Sahne sollte unbedingt kühl gelagert werden, da die Fettkügelchen nur kalt die nötige Stabilität zum schaumigen Aufschlagen haben. Da für den Schneebesen neben Shaker und Strainer wohl kaum Platz sein dürfte, kann man nun wahlweise zum Blender greifen oder sich traditioneller Mittel bedienen. Was beim Blender lange dauert, kann durch Zugabe der Spirale eines jeden Hawthorne-Strainers in den Shaker zusammen mit Sahne in kurzer Zeit realisiert werden.

Bleibt noch die Frage nach dem Drink: Wann wird Sahne mit dem Drink geschüttelt, wann wird ge-layert (also eine Sahneschicht auf den Drink aufgetragen)? Die Magie der Sahne liegt in vielen Fällen in ihrer Verwendung als texturellem Element. Sie wirklich in einen Drink zu geben, geht in vielen Fällen schief. Jedoch als Schicht auf dem fertigen Drink wirkt sie Wunder und erzeugt häufig einen gewollten Bruch, einen Gegensatz zwischen Flüssig und Fest, zwischen Herb und Cremig.

4) Gekonnte Kontraste

Und da wären wir auch schon bei der Verwendung. Ein Flip mit Eigelb, Licor 43 mit Milch – beides ebenfalls Fettlieferanten. Was denn nun mit Sahne? Da geschlagene Sahne, vor allem wenn sie mit Stickstoffkapseln im Cream-Whipper versetzt wird, einen süßlichen Charakter erhält, drängt sich die kontrastreiche Kombination zwischen heller, leicht süßer Sahne und dunkler, gereifter Spirituose geradezu auf. Schokoladentöne und Kaffeearomen in Verbindung mit Sahne sind nicht umsonst Lieblingselexir des Dudes in „The Big Lebowski“ (wobei der von Jeff Bridges verkörperte Dude im erwähnten Film auf jene schreckliche, als „Half & Half“ bezeichnete Kondensmilch aus Milch und Sahne zurückgreift).

Jene Kombination würde vor allem durch die Zugabe von Zitrusfrüchten zunichte gemacht werden, von deren Verwendung im Zusammenhang mit Sahne allemal abgeraten wird, weil letztere in ihrer Verbindung mit Zitrone und Limette relativ schnell flockt. Neben dem White Russian oder dem Brandy Alexander stehen allerdings noch zahlreiche andere Drinks wie der winterliche Irish Coffee für die Renaissance der Sahne in der Barkultur. Aufgrund des hohen Kalorienanteils und der Schwere dieser Cocktails gelten sie als klassische Dessert-Drinks – allemal dazu geeignet, einem schönen Abend einen süßen Höhepunkt zu verleihen.

Eins darf man dabei jedoch nie vergessen: Eben aufgrund ihres sehr hohen Fettgehalts ist Sahne nicht der Partner für feine, filigran-komplexe Zubereitungen auf Gin- oder Vodka-Basis. Sahne passt nicht nur zu kraftvollen, süß-ausdrucksstarken Drink – sie braucht derartige Partner geradezu. Sonst wirkt sie rasch eindimensional. Eine Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang etwa der mittlerweile als Königsdisziplin wahrgenommene, extrem kraftraubende Ramos Gin Fizz aus New Orleans: hier wird aus Sahne, Gin, Eiweiß und Zitrus in minutenlanger Gewaltarbeit eine cremige, reichhaltige, sorbet-artige Emulsion erschüttelt. Das Ergebnis ist allerdings derart eigenständig, dass man kaum noch von einem klassischen Fizz sprechen kann.

Wenn man so will, liebt Sahne die große Geste, sie gibt keine leisen Töne von sich. Zudem breitet sich im Mund ein Fettfilm aus, der den Gaumen daran hindert, jene feinen, flüchtigen Aromen wahrzunehmen, die ein zarter Aperitif eben mit sich bringt. Wer leichteren Drinks zu etwas Fluffigkeit verhelfen möchte, sollte sich daher lieber in Richtung des wesentlich dezenteren Espuma bewegen.

5) Damals und Heute

Sagt der Kaffee zur Sahne: „Komm doch rein!“ Darauf die Sahne: „Na gut, ehe ich mich schlagen lasse.“ Stumpf ist er schon, dieser Aphorismus. Doch beherbergt er eine Wahrheit im Hinblick auf die Verwendung der Sahne früher und heutzutage. War sie einst direkter Bestandteil tropischer und an Säften überladener Drinks, konzentriert man sich seit der Rückbesinnung auf die frühen Tage der Barkultur auf ihren sinnvollen Einsatz im Drink. Dieser erfolgt heutzutage viel eher im Sinne der Textur.

So unterscheiden sich auch die Techniken elementar voneinander. Wurde sie früher direkt in den Shaker gekippt, so wird sie heute häufig mitsamt anderer Ingredienzien im „Whipper“ vielschichtiger eingesetzt und symbolisiert den süßen Kontrast zu einem schweren Drink anstatt nur Mitläufer einer cremigen, oft bunten Konsistenz zu sein. Auch, wenn Sahne an der Bar die Rolle eines wirklichen Protagonisten nie eingenommen hat und wohl auch nie einnehmen wird, so ist sie heute allemal zu einem renommierten und beachteten Nebendarsteller in der Barkultur geworden.

Credits

Foto: Lupe & Sahne via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

Comments (4)

  • Alex

    Habe den Jahresbeitrag für den Zugang gezahlt, kann jedoch keine Artikel lesen

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    • Denis

      Geht mir genauso

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  • Edgar Diola

    Und ich zahle seit vielen Jahren viel Geld für das Abo und kann auch nichts lesen. Ich werde bestimmt nicht fürs Abo und für den Zugang hier bezahlen. Finde das schon ein wenig verstörend muss ich gestehen.

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    • Redaktion

      Lieber Edgar,

      wir haben nun vielfach darauf hingewiesen, dass Print- und Online-Abonnement (noch) nicht miteinander gekoppelt sind. Schließlich findest Du (abgesehen von einigen wenigen Print-Beiträgen, die wir kostenfrei um Weihnachten herum bringen) auf MIXOLOGY ONLINE auch komplett separate, eigens erstellte Inhalte. Was also an unserem Vorgehen “verstörend” sein soll, will sich mir nicht wirklich erschließen.

      Herzliche Grüße
      // Nils Wrage für die Redaktion

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