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Dortmunder Export

Kumpelbier aus Dortmund

Dortmunder Export spiegelt wie kein anderes Bier die Entwicklung des Ruhrgebietes während der Industrialisierung wider. Zunächst ein bierkultureller Import aus dem Süden, mauserte sich Dortmund zur Bierstadt Nummer 1 in ganz Europa. Sinnbild einer Epoche, eines beispielhaften Aufstiegs und wenig glamourösen Falls.
Erwähnt man den Bierstil Export, so haben die meisten Menschen nur ein Bier vor Augen: Sternburg Export, das „Sterni“. Radebergers Retter der Enterbten und spärlich finanzierter Studentenparties, verunglimpft als Hartz-IV-Bier, seit Kurzem der erhobene Mollen-Mittelfinger des Prekariats an den modernen Biersnobismus und das Hopfen-Hipstertum. Vielleicht ist es auch dieser gesellschaftlichen Rolle geschuldet, dass nur wenige die Stilistik hinterfragen und sich wundern, was so ein Export eigentlich ausmacht. Woher kommt es, und inwiefern entspricht Sternburg Export dem klassischen Dortmunder Export? Diese Frage soll zu guter Letzt beantwortet werden, denn bis dahin steht uns eine spannende Reise durch die deutsche Bierwelt bevor. Vielleicht sogar ein Stück darüber hinaus, denn der Name Export lässt bereits darauf schließen, dass dieses Bier auch international seine Spuren hinterlassen hat.

Dortmunder Export: Wer hat’s erfunden?

Nein, nicht die Schweizer. Doch jeder anständige Bierstil braucht einen Gründungsmythos:  Die Wurzeln des Dortmunder Export, auch „Dortmunder Helles“ oder einfach „Dortmunder“ genannt, liegen in Bayern und Böhmen. Bis zur Erfindung der Kältemaschine durch Carl von Linde waren es die gebirgigen Regionen, in denen sich untergärige Hefen wohlfühlten und zur Fermentation bei kühlen 4 bis 8°C animieren ließen. Dennoch brauchte es auch hier zunächst die industrielle Revolution, ihre neuen Methoden zur Malzröstung und die damit plötzlich sehr hellen Malze, um den Pilsener Bierstil 1842 aus der Taufe zu heben. Geschehen in Pilsen, getan von einem bayrischen Braumeister namens Josef Groll, passend zum Namen wohl ein übler Choleriker, der nur kurze Zeit nach seiner die Bierwelt verändernden Erfindung wieder gefeuert wurde, da es wohl niemand mit ihm aushielt.

Wenker hat’s erfunden!

Doch die böhmisch-bayrische Kollaboration fand vielerorts Gefallen und entsprechend schnell Nachahmer. Wir spulen ein paar Jährchen zurück, und begleiten den jungen Heinrich Wenker auf seinen Reisen durch das heutige Süddeutschland. Hier lernt er die untergärige Brauweise kennen, bis dato im nördlich des Weißwurschtgürtels gelegenen Flachland quasi nicht praktiziert. Doch die Zeichen der Zeit stehen auf Wandel, und Wenker und sein Vater erkennen dies. Das bis zu diesem Zeitpunkt im Ruhrpott gebraute Bier dürfte dem Düsseldorfer Altbier recht ähnlich gewesen sein: Bernstein bis dunkelbraun und obergärig. Aus dem Jahre 1266 belegt eine Urkunde ein „Grutbier“ (hopfenlos, dafür mit Gewürzmischung) mit Myrte, Rosmarin, Wacholder, Lorbeer, Kümmel und Anis. Ab 1480 wurde Hopfen als einzige Würzzutat zunehmend beliebter. Ganzjährig verfügbar war jedoch bis ins 19. Jahrhundert nur dunkles, obergäriges Bier. Doch nun war der Ruhrpott dank Kohle und Stahl dabei, technisch massiv aufzurüsten. Dies brachte völlig neue Transport- und Lagermöglichkeiten, und so wurde 1843 – also nur ein Jahr nach der Erfindung des Lagers nach Pilsener Brauart – das „Dortmunder“ in der Krone am Markt aus der Taufe gehoben, ein Brauhaus, dass seine Wurzeln bis 1517 zurückverfolgen kann.

Von der Kopie zum eigenen Stil

Wenker und bald darauf auch andere findige Braumeister merkten jedoch beim Feilen an der Rezeptur, dass der fein ausbalancierte Pilsener Stil maßgeblich durch das in den hochgelegenen Regionen verfügbare, weiche und wenig salzige Wasser beeinflusst wurde. Mit dem härteren Wasser im Pott, vor allem durch Calciumsulfat charakterisiert (also Gips), war es schwierig, ein gefälliges Pils zu brauen. Wasseraufbereitung, heutzutage Gang und Gäbe, war damals noch ein feuchter Traum der Brauereien, Industrialisierung hin oder her. Daher betonte man den Malzcharakter etwas mehr, der Hopfenanteil wurde leicht gesenkt. Für den Export wurde das Bier aus Haltbarkeitsgründen etwas stärker eingebraut, denn Alkohol konserviert (eine Analogie zu India Pale Ale und Imperial Stout, die ihre hohe Stammwürze ursprünglich auch aufgrund der Haltbarkeit für weite Transportwege erhielten). Auch dies unterstützte den Malzkörper, und so wurde aus dem Versuch, einen bayrischen Stil nachzuahmen, letztlich ein lokales Bier, von den Bedingungen des Ruhrpotts geprägt.

Aufstieg zur Weltmacht

Der Stil namens Dortmunder Export überzeugte und verbreitete sich schnell. Zu den zu diesem Zeitpunkt bestehenden 74 Brauereien, darunter die 1796 gegründete Bergmann Brauerei, gesellten sich in den nächsten 50 Jahren all jene Namen, die man heute mit dem Erfolg und Niedergang der Dortmunder Exportbierkultur in Verbindung bringt: die bereits erwähnte Kronen-Brauerei, Thier, Hövels, Borussia (vermutlich Namensgeber für den BVB, später Hansa), Stifts, Dortmunder Actien-Brauerei (DAB), Dortmunder Union-Brauerei (DUB) und zuletzt Ritter. Der Erste Weltkrieg brachte den ersten Einbruch, den nur 28 Brauereien überstanden. Allerdings konsolidierte sich so auch die Dortmunder Bierlandschaft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es ein Jahrzehnt, bis der Wohlstand zurückkehrte, denn als Herz der Schwerindustrie hatte es den Ruhrpott natürlich besonders schlimm getroffen: Im Mai 1945 waren rund 90% von Dortmund ein Trümmerhaufen. Doch nach dem Wirtschaftwunder kam das Dortmunder Bierwunder, und auf ihrem Höhepunkt im Jahre 1972 stieß die Stadt 7,5 Millionen Hektoliter Bier aus – Spitze in Europa.

Sauer auf die Sauerländer

Der steigende Wohlstand aber sollte gleichsam der Anfang vom Ende der Exportexplosion sein. Immer mehr Arbeiter kamen in den Genuss regelmäßiger Urlaube. Viele reisten ins Sauerland, um sich von der verrußten Luft des Potts zu erholen. Die dortigen Brauereien hatten sich auf Pilsener Lager spezialisiert. Nach und nach begannen die Biertrinker im Ruhrpott, die noch einen Tick frischeren und herberen Pilsener mit Erholung und Freizeit zu assoziieren, das heimische Export hingegen mit dem täglichen Geschufte. Die Dortmunder Großbrauereien reagierten natürlich und boten zunehmend selbst Pilsener an. Mit der Zeit verschwand das Dortmunder Export fast völlig, ersetzt vom neuen und bis heute ungeschlagenen Klassenprimus der deutschen Bierkultur. Die Dortmunder Brauereien erlebten einen Niedergang, fusionierten eifrig durcheinander und landeten schließlich Mitte der sogenannten Nullerjahre im Schoß der Radeberger Gruppe.

Export International

Dennoch hatte man einen bleibenden Eindruck hinterlassen. In den Niederlanden wird Dortmunder Export – oder „Dort“ – auch heute noch gebraut, obwohl manche Biere dieser Bezeichnung nichts mehr mit dem Original zu tun haben. Die Kreativbier-Revolution in den USA macht ohnehin vor keinem Bierstil halt, und seit man sich dort mehr und mehr mit untergärigen Bieren versöhnt, tauchen auch viele amerikanische „Dortmunder“ aus kleinen Kreativbrauereien auf. Nicht verwechseln darf man den Stil namens Dortmunder Export mit Bieren, die das Wort „Export“ auf dem Etikett tragen, weil sie für den Export gedacht sind. Ursprünglich hatte dies zwar beim Dortmunder denselben Zweck, doch international findet man alle möglichen Biere als Export gekennzeichnet, die eigentlich anderen Stilen angehören und einfach deutlich stärker eingebraut wurden, um haltbarer zu sein.
Fun Fact: In Südafrika galt Oettinger Export lange als Qualitätsbier aus Deutschland und wurde entsprechend verkauft. Wer jetzt amüsiert schmunzelt, dem sei gesagt, dass auch das andere große Billigbiere neben dem Sterni in Blindverkostungen grundsätzlich besser abschneidet als sein Ruf. Geschmacksempfinden und Preisempfinden sind eben nicht vollständig voneinander zu lösen.

Dortmunder Export: ein Protagonist in Nordamerikas neue Lagerliebe

Bedingt durch die Gegebenheiten des Heimbrauens waren es vor allem obergärige Biertypen, mit denen sich die erst Micro- und dann „Craft“-Brauer in den USA und Kanada vertraut machten. Ales können in einem kühlen Zimmer vergoren werden und sind schneller fertig als die aufgrund ihrer langen Reifezeit entsprechend benannten Lager, die es deutlich kühler mögen. Auch galten gerade die goldenen Lager wie Pilsener und Export als Inbegriff des Bösen, als Sinnbild für das Verwaschen allen Geschmacks auf den kleinsten, gemeinsamen Nenner, wie es die Großbrauereien in den USA praktizierten. Daher dauerte es eine Weile, bis die Nordamerikaner ihre Liebe zum Lager wiederentdeckten. Doch der Kreis schließt sich. Nach den Hopfeneskapaden rund ums IPA, dem Ausreizen des Alkohols in Imperial Stout und Barley Wine und der Wiederentdeckung der Sauerbiere bemerkten die Brauer und Biertrinker im Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten, dass so ein wohlbalanciertes Lager erstens ziemlich schwer zu brauen ist (und damit bei Gelingen die Adelung für jeden Braumeister darstellt), und zweitens nicht grundsätzlich fade und langweilig sein muss.
Neben dem Pils war es vor allem das Export, in den USA durch den – Achtung Doppeldeutigkeit – Exportdrang der Dortmunder Bierindustrie wohlbekannt, auf das sich die „Crafties“ stürzten. Inzwischen waren aus den einstigen Kochtopfbrauern gestandene Braumeister geworden, mit hochmodernen Brauereien unter ihrem Kommando. Auch die notwendige Kühlung und Lagerzeit stellten also kein Problem mehr da. Ein weiterer Grund für den Aufschwung der Lager ist die sogenannte sessionability: Ein Double IPA mag lecker sein und die Hopfensucht befriedigen, und so ein Imperial Stout lässt einen schon mal mit genussvollem Seufzer auf dem Sofa zurücksinken – aber eben auch nicht mehr aufstehen. Für einen langen, geselligen Abend brauchen viele jedoch ein leichteres Bier. Session IPAs waren der erste Trend in diese Richtung, doch in einem Bier mit wenig Alkohol knallen die Hopfennoten eines IPAs gewaltig, wirken fast säuerlich. Auch das passt nicht in jede Situation. Ein schönes Export hingegen darf durchaus mit massiven Hopfenmengen gestopft sein und dadurch blumig-fruchtig schmecken – seine schlanke Trinkbarkeit bleibt erhalten, ob es nun „India Pale Lager“ heißt oder „Dry-Hopped Dortmunder“.

Charakteristik

Ein Dortmunder weist eine kräftige Goldfärbung auf, ein paar wenige Töne dunkler als ein Pilsener. Wird die originale Wasserqualität verwendet, so sorgen die Sulfat-Ionen für einen unterschwelligen Eindruck von Salz und Schwefel. Mit dieser einzigartigen Basis spielt die für ein helles Bier kräftige, volle Malzaromatik, die neben einer keksig-zuckrigen Getreidesüße und Honig auch leicht brenzlige Noten in Richtung Karamell haben kann. Dennoch ist und bleibt das Dortmunder ein „Trinkbier“ mit Wurzeln in der Arbeiterklasse von Bergbau und Schwerindustrie, nahrhaft und erfrischend zugleich. Ein schlanker Körper ist also Pflicht. Die Hopfennote ist jener eines Pilseners vergleichbar, wird aber durch das Mehr an Alkohol und Malzsüße aufgefangen. Sie sollte würzig, aber nicht stechend sein.

Zum Schluss ein Sterni

Na dann Butter bei die Fische! Wie gut passt das Sterni in die Exportkategorie? Antwort: Erstaunlich gut! Alkoholgehalt etwas über dem Pils? Check. Etwas weniger hopfenbetont als ein Pils? Check. Etwas malzbetonter? Check. Trotzdem schlank und erfrischend, und für den einfachen Arbeiter erschwinglich? Check. Natürlich wird das Sternburg Export am Rande der Wirtschaftlichkeit gebraut und ist überhaupt nur über einen gnadenlosen Effizienzfokus bei den Rohstoffen und einen hohen Technisierungsgrad profitabel. Doch genau das prägte schließlich auch die Industrialisierung. Irgendwie ist das auf bittersüße Weise passend, so wie das Export selbst. Glück auf!

Probiervorschläge

Bergmann Export (5,2%-Vol.)

Einst produzierte die Bergmann-Brauerei in Dortmund-Rahm jährlich fast 100.000 Hektoliter. Nach der Übernahme durch Ritter wurde der Braubetrieb eingestellt. Die Markenrechte wurden schließlich aufgegeben, und 2005 erwarb Thomas Raphael diese und begann, unter dem Bergmann-Namen wieder Bier zu produzieren. Damit stammt das Bergmann Export als einziges aus einer unabhängigen Dortmunder Brauerei. Zumindest fast, denn aufgrund der noch zu geringen Kapazitäten muss das Bier bei Bosch in Bad Laasphe produziert werden. Nicht dramatisch, denn dort beherrscht man das Brauhandwerk ziemlich gut.
Preis: ca. € 1,50 à 0,33 l, z.B. via dortmunderisch.de

Great Lakes Dortmunder Gold (5,8%-Vol.)

Die Brauerei aus Ohio zeigt, dass auch die US-Kreativbrauer den Dortmunder Stil beherrschen. Etwas stärker als in Deutschland mittlerweile üblich, trifft das Great Lakes Dortmunder dennoch die subtile Balance zwischen erdig-würziger Hopfennote und schlanker, süßer Malzigkeit. Dank dieser schlagen die 30 Bittereinheiten, hierzulande schon pilstauglich, nicht allzu herb zu Buche. Mal zu Fish & Chips probieren!
Preis: ca. € 2,10 à 0,33 l, z.B. via greatlakesbrewing.com

Ayinger Jahrhundert Bier (5,5%-Vol.)

Goldig gelb, mit einem sanften Hefearoma und milder Honigsüße. Süddeutsch weich und rund, dadurch von mundfüllender Malzigkeit. Die Bitterkeit ist eine Punktlandung für den Stil, spürbar, aber sanft ausklingend. Vielleicht auch ein Zeichen nord- und süddeutscher Bierverbrüderung, wenn eine urbayerische Brauerei das Dortmunder Export bayerisch interpretiert, welches einst eine Dortmunder Interpretation des Bayerisch Hell war. Auf jeden Fall weithin verfügbar und ein schöner Einstieg in den Stil
Preis: ca. € 0,85 à 0,5 l, z.B. via getraenkedienst.com
 Dortmunder Union Export (5,2%-Vol.)
Das Dortmunder Export aus der Großbrauerei. Aber irgendwie gehören Industrie und Export halt zusammen, also warum so tun, als wäre dieser Stil nicht ein Produkt technologischer Innovation und wirtschaftlicher Expansion? Die meisten Dortmunder Biere kommen aus der Brauerei an der Steigerstraße, und immerhin wird dort der Dortmunder Stil noch gebraut. Nur echt mit dem “U”, einst ein Symbol mit weltweitem Wiedererkennungswert.
Preis: ca. € 0,50 à 0,5 l, z.B. via Rewe Online
 
Der vorliegende Artikel erschien ursprünglich in der aktuellen Ausgabe 5/2018 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur.

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Foto: Shutterstock

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