Fitzcarraldo Wien: Speakeasy-Universum hinter dem Getränkeautomaten
Den peruanischen Dschungel hat man in Wien eher sparsam nachgebaut. Aus dem Staunen kommt man aber im Wiener „Fitzcarraldo“, der neuen Bar von Sammy Walfisch und Hendrik Genotte, auch so nicht heraus. Das Vergnügen beginnt bereits bei der unkonventionellen Eingangstür und setzt sich im Inneren nahtlos fort. Und bricht dabei mit einem Wiener Heiligtum.
Klaus Kinski stellt sich mit einem Satz vor. „My daddy was Irish“, erklärt der Opern-besessene seinen schrägen Namen: Brian Sweeney Fitzgerald alias „Fitzcarraldo“. 40 Jahre ist das jetzt her. Viel warf der Schauspiel-Berserker im peruanischen Dschungel Regisseur Werner Herzog noch an den Kopf. Etwa, was ihm ein echter Könner wie David Lean voraushabe. Dass dereinst eine Bar nach seiner Rolle benannt werden würde, war bei allem Kinski’schen Geltungsdrang aber nicht dabei.
Und doch ist dem so. In Wien, im Sommer 2022. Wobei die Namensgebung auch wenig mit Kinski zu tun hat; vielmehr hatte Betreiber Sammy Walfisch dereinst einen Hund namens „Fitzcarraldo“. Den dazugehörigen Film hingegen sah er erst vor sechs Jahren, „wobei das nahezu manische Verfolgen einer Idee durchaus etwas mit dem Umsetzen eines Barprojekts gemeinsam hat“.
Fitzcarraldo: Speakeasy mit historischer Disco-Kugel
Nicht zuletzt passt die dschungelartige Begrünung der Bar – gemalt auf der Tapete und live über den Köpfen der Trinkenden – zum Weg des Filmhelden nach Iquitos. Ein eigenes Pflanzenlicht sorgt dafür, dass das Grün in den „off hours“ des Lokals fleißig gedeiht, denn eine florale Umgebung begleitet seit dem Botanical Garden alle Bars des Wieners. Apropos Begleiter: Die werden im Herbst noch zahlreicher, wenn die Sommerlocation „Copa Beach“ schließt. „Dann wollen wir auch sieben Tage aufsperren“, ist der Weg klar. Auch die Karte wird in Zukunft alle drei Monate um neue Kreationen ergänzt werden.
Wobei man die Bar zuvor erst einmal finden muss.
Die Schiebetür zu ihr verbirgt sich hinter einem Getränkeautomaten in der belebten Neubaugasse, der vermeintlich eine unkonventionelle Mischung aus Monkey 47, Eistee und Metaxa feilbietet. Dahinter warten bekannte Gesichter der Wiener Bar-Szene wie Fabian Kalal („Café Bellaria“) und Steven Daevel („Roberto’s“). Hat man sich ans Halbdunkel gewöhnt, sieht man auch Mastermind Sammy. Er reicht die Karte mit den 12 Signature Cocktails des „Speakeasys“, die mit ihrer goldenen Schrift zum Interieur passt. Auch hier braucht es einen zweiten Blick, um die originalen Teile der Lambada-Bar zu erkennen. Der Vorbau aus Messing und geschliffenen Glaseinsätzen, den man am Weg zur Toilette passiert, könnte auch in einem Ringstraßenpalais stehen. Nur, dass sich dort wohl ein merkantiler Welteroberungsglobus statt der Diskokugel des ehemaligen „Tschecherls“ drehen würde. Selbstredend hat man diesen Part der früheren Absturzkneipe behalten. Stichwort: priceless!
Nahezu als Omen für Erfolg mit Flüssigem darf auch die Fußleiste gelten, die bekanntlich der „Bar“ als Genre den Namen gab – sie vermittelt das Gefühl, schon immer hier gewesen zu sein. Auch wenn nun eine neue Klientel ihre zehenfreien Schuhe darauf ruhen lässt und keine Arbeitsstiefel mehr. Denn der Partner von Walfisch ist in diesem Falle Hendrik Genotte alias Hank Ge (im Aufmacherbild des Artikels rechts zu sehen, Anm.), den man mit „Influencer“ nur ungenügend beschreibt. Denn auch wenn ein einziges Bar-Video auf TikTok unglaubliche 1,8 Millionen Zugriffe erreichte, steht er mit seinen Gastro-Unternehmen („Bali Brunch“ oder der Pizzeria „Wolke“) für eine zeitgenössische Optimierung der Nahrungsaufnahme. Während Betriebsberater die Margen erhöhen, steigert Ästhetikberater und Veganer Genotte – ironischer Weise ursprünglich im Finanzbereich tätig – die Sichtbarkeit.
Fitzcarraldo
Neubaugasse 38
1070 Wien
Di - Do 19-1 Uhr; Fr - Sa 19 - 2 Uhr
Bar-Wetterlage: Essbare Wolke von links!
Das darf man durchaus wörtlich verstehen und sieht man bereits am ersten Drink, der auf den Marmortisch kommt. Die essbare „Wolke“ aus Kokosnuss-Schaum, mit Helium zur Fluffigkeit gebracht wie in den besten Zeiten der Molekularküche, begleitet den „Tropical Daiquiri“ (15,50 Euro). Dass der Drink nur „schön“ wäre, gilt allerdings im Umkehrschluss nicht. Da ist das Barteam vor, das einige Kochvorgänge im Schwesternlokal Moby Dick vornimmt, aber auch in der kleinen rosa Vorbereitungsküche in der Neubaugasse an Garnituren wie Piña Colada-Mochis feilt. Auch der „Sweeny Julep“ (15,50 Euro) stellt ein gutes Beispiel dafür dar. Gefrostet wird er im Mule-Becher, dazu gibt es per Zufallsgenerator ausgedruckte Kurzzeit-Tattoos. Sammy Walfisch ist selbst alt genug, diese Faszination von den Bazooka Joe-Kaugummis zu kennen. Und daran Spaß zu haben wie einst als feixendes Dreikäsehoch.
Nächtliches Dunkel mit Messing-Schimmer
Die Rückführung in die Kindheit ist auch einer der Gründe, warum der Nachhaltigkeitspionier aus dem Moby Dick hier eine andere Seite zum Schwingen bringt. Denn mitunter ist der spielerische, auf Optisches versessene Zugang von Instagram-Versteher Genotte einfach nur ein Kompetenzgewinn. Und das nicht nur im Social Media-Bereich. Auch die Symbole auf der Karte erleichtern den Zugang für eine neue Generation von Barbesuchern. Nicht nur die Glasform – ein alter Hut! – wird visualisiert, sondern auch die Art der Garnitur („Smokebubble“, „Lightflash“). In der gleichen Art werden aber auch das Geschmacksprofil und der Alkohol-Level der Cocktails mittels Piktogrammen angezeigt. Das ist viel Information auf kleinem Raum und vor allem: viel Nützliches.
Denn die Gäste-Entscheidungen sollen schnell fallen, man sich dann aber „verlieren können“, wie es Sammy Walfisch nennt. Die flaschengrünen Sessel sind gut gepolstert, es gibt trotz der nur 36 Plätze mehrere Nischen. Die begehrte Loge direkt an der Mixstation oder die von einem kleinen Sichtschutz (Messing und Schwarz, what else?!) abgetrennten Plätze ganz vorne. „Ich mag diese Ein-Raum-Dynamik, wo man alles überblickt“, flossen in den Umbau viele Erfahrungen der Bartender-Praxis ein. Am Ende wurden es dann drei Kinski-Bilder. Dazu lächeln auch der Clownprinz des Verbrechens, David Bowie und „Aquaman“ Jason Momoa von den Wänden.
Dass die Neueröffnung ein Speakeasy-Konzept geworden ist, hat mit der Mundpropaganda zu tun, die ein solches Projekt auch auslöst: „Speakeasy – say it loud!“, lacht Walfisch und sieht die verpflichtende Anmeldung auch als demokratisches Instrument. Dresscode und strenge Tür gibt es keine, allerdings auch keine geheimen Reservierungen. „Bitte nur über die Homepage reservieren“, appelliert Sammy Walfisch daher an alle. Telefon gibt es daher auch konsequenter Weise keines im Fitzcarraldo. Diese Antithese zu einem exklusiven Club mit Schlüssel, Tür-Code oder Mindestkonsumation durchbricht man nur in einem Punkt. Und der ist für Wien ein ziemliches Novum.
Der pädagogische 11 Euro-„Spritzer“
Gerade erst hat die aktuelle MIXOLOGY-Printausgabe (4/2022) den eigentümlichen Kult des „weißen Spritzers“ in allen gastronomischen Einrichtungen – vom Speisewagen der Bahn über den Würstelstand bis zum Gourmetlokal oder „seriösen“ American Bars – beleuchtet. Der theoretische Preis für die Weinschorle beträgt in der Neubaugasse allerdings elf Euro. Acht davon werden für die Understatement-Bestellung „White Wine“, wie es in der Karte steht, fällig. Man bekommt dafür Riesling von Fred Loimer aus dem Kamptal, zahlt aber einen Mehrpreis, der der Kleinheit des Raumes und sanftem Druck zur Cocktail-Konsumation geschuldet ist. „Spritzer“-trinkende Runden sollen nicht die wenigen Plätze versitzen, würden Verhaltensökonomen laut klatschend „Nudging, Nudging“ rufen!
Dieses Stichwort ist auch nicht ganz falsch, denn einige Beobachtungen der Gästepsychologie flossen in die finale Gestalt des Fitzcarraldo mit ein. So verschwanden innerhalb von Tagen die Hocker vor der Bar. Die kommunikativen Stehplatzreihen erleichtern speziell am Wochenende auch Einzelgästen ohne Tisch den Besuch. „Es sollte auch kein andächtiges Trinken werden“, lautete die Vorgabe, der man auch mit den Gimmicks Vorschub leistet.
So zitiert der Lavendelrauch den schottischen Nebel beim „Cloudy River“ (16 Euro), während veganer Kaviar am goldenen Löffel den Metaxa-Highball „Theben Zisch“ (15 Euro) begleitet. „Das war die Stadt des Dionysos“, soll zwischen goldenen Lampenhaltern und ungehemmt blühenden Ranken auch der Rausch gefeiert werden.
Wozu sonst sollte man schließlich „in“ einen Getränkeautomaten gehen wollen?
Credits
Foto: Adrian Almasan