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Durch das Flambieren der Zeste werden die ätherischen Öle noch intensiver

Warum die Geschichte der flambierten Zeste neu geschrieben werden muss

Lange Zeit wurde angenommen, die abgeflämmte Orangenzeste sei in den 1970er-Jahren erfunden worden, passenderweise in Hollywood. In Cocktailbüchern wurde dazu nie etwas geschrieben. Unser Cocktail-Historiker Armin Zimmermann hat jetzt in einem Buch aus dem 16. Jahrhundert genau das gefunden: eine geflämmte Zeste.

Es gibt Getränke, wie beispielsweise den Oaxaca Old Fashioned, die verlangen nach einer ganz besonderen Zubereitungsart: dem Abflämmen einer Orangenzeste. Jeffrey Morgenthaler schreibt dazu, dass man dafür das Öl aus einer Orangenzeste auf einen Drink spritzt und dabei eine offene Flamme verwendet, um die Öle bei diesem Vorgang zu entzünden, bevor sie sich auf die Oberfläche des Getränkes legen.

Er berichtet auch, wer diese Zubereitungsart erfand. Es war Pepe Ruiz, der sie um 1970 für seinen „Flame of Love Martini“ ersann. Dies geschah im Chasen’s, einer Bar in Hollywood, das Getränk war für Dean Martin bestimmt, und dieser Cocktail wurde zum Signature Drink der Bar. In den 1980er Jahren wurde diese Methode von Dale DeGroff wiederbelebt und ist heute ein beliebtes Showelement bei vielen Bartendern.

In alten Bar-Büchern kein Hinweis auf eine flambierte Zeste

Durchsucht man die alten Bar-Bücher nach ähnlichen Methoden, so findet man keine Hinweise. Jedenfalls habe ich keine gefunden. Dabei wäre es doch denkbar, dass man solch eine Show bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts präsentierte. Wurde doch in jenen Jahren Jerry Thomas für seinen Blue Blazer berühmt, bei dessen Zubereitung ein brennender Scotch von einem Becher in den anderen aus großer Höhe geschüttet wurde. Vielleicht wurde dieser Blue Blazer schon um 1812 getrunken, denn ein Marineoffizier berichtete damals davon, einen „blue blazes“ getrunken zu haben, leider ohne genauere Beschreibung.

Ein Anzünden von alkoholreichen Spirituosen war auch noch früher bekannt. Die Feuerzangen-bowle kannte man spätestens im frühen 18. Jahrhundert, und brennender Punsch war in Europa seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich. Vom Anzünden des Orangenöls beim Spritzen über ein Getränk hörte man jedoch nichts. Doch diese Methode ist trotzdem keine neuzeitliche Erfindung.

Wir reisen ins 16. Jahrhundert

Ich bin auf einen bisher unbekannten Text gestoßen, der uns zeigt, wie alt diese Methode schon ist. Im Jahr 1577 erschien in Basel ein ins Deutsche übersetztes Buch mit dem Titel „Artztgarten von Kreutern so in den Gaͤrten gemeinlich wachsen / vnnd wie man durch dieselbigen allerhand kranckheiten und gebrechen eylends heilen sol“.

Darin steht geschrieben:

„Die rind von allen pomerantzē iſt warm vnnd hitzig / welches der ſchmack bezeuget: denn derſelb iſt herb vnnd bitter. Wo man deßhalbē den ſafft bei einē liecht außtrucket / ſo wirt er leicht angezuͤndet / vnd gibt ſein krafft dem wein am leichteſten von wegen ſeiner duͤnnen ſubſtanz / in ein glaß auch von weitem her geſpritzet.“

In moderneres Deutsch gebracht lautet der Text sinngemäß:

„Die Rinde von allen Pomeranzen ist warm und hitzig, was der Geschmack bezeugt: denn dieser ist herb und bitter. Wenn man das Öl der Schale bei einer offenen Flamme ausdrückt, so entzündet es sich leicht und gibt seine Kraft an den Wein am leichtesten wegen seiner dünnen Substanz; in ein Glas auch von weit weg gespritzt.“

Dies ist der Beleg dafür, dass man bereits im Jahr 1577 eine Zitrusschale über Wein ausdrückte und sie dabei abflämmte. Als Autor dieses Buches wird der Franzose Anthonius Mizaldus genannt. Man kennt ihn auch als Antonio Mizauld oder Antoine Mizauld. Er war ein französischer Arzt und Astrologe, geboren im Jahr 1510 in Montluçon. 1578 verstarb er in Paris. Dort war er als Medizinprofessor tätig. Er schrieb viele Bücher über medizinische, astronomische, botanische und meteorologische Themen. Er wollte die Allgemeinheit von Apothekern unabhängiger machen und gab Ratschläge zu verschiedenen Heilmitteln, die man auch im eigenen Garten pflücken konnte.

Im Jahr 1575 veröffentlichte er in Paris sein Werk „Alexikepus, seu auxiliaris et medicus hortus, rerum variarum, & secretorum remediorum accessione locupletatus.“ Dort findet man den Ursprung des ins Deutsche übersetzten Textes:

„Cortex omnibus calidus & igneus est : quod gustatu deprehenditur, nam acer est & amarus : hinc contra lucernarum flammulas expressus ab eo succus, ignem facilè concipit : transitq; expeditè in vinum essentiæ suæ tenuitate per vitreum calicé, vel è langinquo iaculatus.“

Dieser geht jedoch noch weiter in die Vergangenheit zurück. Im Jahr 1560 veröffentlichte Antoine Mizauld sein Buch „Secretorum agri enchiridion primum, hortorum curam, auxilia, secreta, & medica praesidia inventu prompta, ac paratu facilia, libris tribus pulcherrimis complectens“. Darin steht der Text in leicht abgewandelter Form:

„Cortex omnibus calidus & igneus cēsetur esse: quod gustatu deprehenditur: nam acer est ac amarus : cuius succus in flammulam lucernarum iaculatus, ignem facilè concipit : transitque in uinum contra uitreum calicem uel è longinquo expressus : digito mador deprehenditur, & infusus liquor corticem redolet.“

Die Geschichte der abgeflämmten Orangenzeste muss also neu geschrieben werden. Sie scheint jedenfalls definitiv älter als der Flame of Love Martini.

Credits

Foto: fesenko - stock.adobe.com

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