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Den Nebel lichten? Der Fog Cutter

Der potente Fog Cutter ist eines der vielen schillernden Kuriosa der klassischen Tiki-Kultur, eine Rezeptur, die jeden Puristen schreiend davonlaufen lässt. Seine Zusammensetzung aus drei unterschiedlichen Spirituosen plus Sherry hat ihm den Beinamen als Long Island Iced Tea der exotischen Cocktails eingebracht. Alles Nebel oder doch ein relevanter Drink?

Nennen wir das Kind beim Namen: Tiki-Cocktails, Tiki-Bars und die ganze mit ihnen verbundene Assoziationswelt sind nicht nur wegen der häufig saftigen Alkoholdosis zu einem solchen, jahrzehntelangen Erfolg und einer völlig eigenständigen Strömung in der Bar-Historie geworden. Nein, der gastronomische Tiki-Pop und seine maßgeblichen Gründer wie Donn Beach und Trader Vic waren auch die ersten, die so etwas wie eine ganzheitliche Erlebniswelt schufen.

Fog Cutter

Zutaten

6 cl leichter, puerto-ricanischer Rum (ersatzweise kubanisch)
3 cl Brandy
1,5 cl Dry Gin
1,5 Cream Sherry
6 cl frischer Zitronensaft
3 cl frischer Orangensaft
1,5 cl Orgeat

Wucht und Spaß: der Fog Cutter

Besonders deutlich schlägt sich das in den Namen von Tiki-Drinks nieder. Sicherlich hat es auch schon vorher „sprechende“, humoristische Cocktailbezeichungen gegeben, die die Attribute eines Drinks launisch hervorheben. Aber in schriftlicher Form lässt sich das kaum strukturiert auffinden. Tiki war da anders: Zombie, Fat Sailor, Mai Tai, Scorpion, Pearl Diver, Colonel’s Big Opu. Und natürlich der Fog Cutter, um den heute gehen soll. Das sind Namen, die was aussagen sollen, und zwar jenseits aller Systematik, wie es zuvor meist der Fall gewesen war. Die Namen von Tiki-Cocktails sind immer dicke Hose. Entweder sie tragen Südsee-Assoziationen mit breitem Pinsel auf, oder aber sie verweisen – wie eben im Fall von Fog Cutter oder Zombie – recht eindeutig auf ihre alkoholische Wirkungsmacht. Ein Old Fashioned oder Martinez tut das nicht.

Damit wird ein zentraler Aspekt von Tiki hervorgehoben. Denn abseits des nachweislich vorhandenen, komplexen historisch-kulturellen Überbaus (siehe auch die aktuelle Titelgeschichte in MIXOLOGY 6/2021) geht es in Tiki-Bars einfach um: Spaß. Lust. Lebensfreude. Wer das leugnet, hat Tiki nicht verstanden, und diese Diagnose soll überhaupt nicht wertend gemeint sein.

Alle Hände voller Schnaps mit dem Fog Cutter

Tiki war immer auch Eskapismus, war ein Ausbrechen. Tiki passte sich mit diesem Entwurf schlicht den Lebensumständen seiner Blütezeit an, wie auch der Barbetreiber und Tiki-Forscher Jeff Berry im Vorwort zu seinem Beachbum Berry’s Grog Log von 1998 schreibt: Vom Moment seines Aufkommens in den 1930ern bis zum Niedergang Ende der 1960er bot Tiki den Amerikanern immer die richtige Gegenwelt, die Fluchtmöglichkeit – wahlweise weg von der großen Depression, weg von der Angst um den Sohn, der im zweiten Weltkrieg kämpfte, weg von der sowjetischen Wasserstoffbombe oder einfach weg vom routinierten Bürohengstleben der späten 1950er. Tagsüber Sachbearbeiter bei einer Versicherung, abends dann für zwei, drei Stunden Drinks, deren Namen und alkoholische Kraft einem das Gefühl geben, man sei eine Mischung aus Pirat, Admiral und polynesischem Gott.

Auftritt Fog Cutter, der mutmaßlich genau in der Mitte dieser Zeit, um das Jahr 1947 herum vom erwähnten Trader Vic (Victor Bergeron) ersonnen wurde, dem – gemessen an der Zahl seiner Bars und Restaurants rund um den Erdball – erfolgreichsten Tiki-Gastronomen aller Zeiten. Neben dem Mai Tai (die größte Tiki-Streitfrage überhaupt) dürfte der Fog Cutter sein mit Abstand bekanntester Drink sein. Auch hier sind es wieder Name und Zusammensetzung, die für den Siegeszug verantwortlich sein dürften. Der Nebel, der sinngemäß durchschnitten werden soll, schlägt die Brücke zur bei Tiki allgegenwärtigen Seefahrt, blickt aber natürlich auch schelmisch auf die reine Potenz des Drinks. Mentaler Nebel at ist best: Jeff Berry gibt mit Bezug auf Trader Vic eine Rezeptur aus Rum, Brandy, Gin, Sherry, Zitrussäften und Orgeat an, die auf insgesamt 10,5 cl Spirituose kommt – der Sherry noch nicht mitgerechnet. Die gern gewählte Bezeichnung als Long Island Iced Tea der Tiki-Kultur kommt nicht von ungefähr.

Obacht beim Trinken!

Das dürfte auch bei geübten Trinkern rasch ins Kontor schlagen, insbesondere da der Fog Cutter durchaus süffig rüberkommt und man den ersten sicherlich gern etwas zu schnell trinkt. So hat Vic laut Berry formuliert: „After two of these, you won’t even see the stuff.” Eine notwendige Anspielung darauf, dass sein größter Konkurrent Donn Beach in seinen Betrieben angeblich vom legendären Zombie nicht mehr als zwei pro Gast servierte? Auch hier gilt, wie so oft bei der kulturanthropologischen Untersuchung von Drinks: Wir wissen es nicht.

Was wir aber wissen: Im Lauf der Jahrzehnte wurde dem Fog Cutter das gleiche Schicksal zuteil wie fast allen bekannten Tiki-Cocktails. Er wurde aufgeweicht, zerpanscht, verramscht. Am Ende blieb vielfach nur der Name, aber auch der wurde mitunter angepasst. Fast immer ging es um den Alkoholgehalt, der wohl vielen zu hoch erschien. Die leichtere Abwandlung, der „Samoan Fog Cutter“, etablierte sich vielfach. Weshalb der sonst sehr verlässliche Diffordsguide der Rezeptur auch noch Pisco einverleibt, erscheint ebenso wenig nachvollziehbar wie sinnvoll.

Keine großen Experimente mit dem Fog Cutter, bitte

Ein Fehler, der häufig gemacht wurde und wird, ist die Verwendung von dunklem full-bodied Rum jamaikanischer bzw. britischer Spielart anstelle des im Original verlangten leichten Rums im puerto-ricanischen Stil. So der Fall bei Rezepten unter dem Namen „Royal Navy Fog Cutter“, in denen etwa Pusser’s Navy Rum gefordert wird, also ein sehr körperreicher, estriger und dunkler Rum. Auch hier meist in geringerer Dosierung, von der man sich verspricht, den geringeren Alkohol durch einen vermeintlich ausdrucksstärkeren Rum zu nivellieren.

Dabei macht gerade der leichte Rum viel von der eleganten Aromatik des Fog Cutter aus, die ihn von Drinks wie Zombie oder Mai Tai deutlich unterscheidet. Der Fog Cutter ist zwar Tiki, will aber trotz seiner Kraft eher zart und beschwingt sein, zumal ja bereits der Brandy eine Portion Fassreifung und, je nach Sorte, auch eine Spur Rauch einbringt. Ebenso wird häufig der Anteil an Orangensaft unnötig erhöht, eventuell gar bei gleichzeitiger Reduktion des Spirituosenanteils. Das ergibt zwar keinen schlechten Drink, endet aber eher in einem Punch als in einem echten kräftigen Sour.

Der Fog Cutter sollte also mit Bedacht gemixt und möglichst nicht zu weit von seinem Originalrezept weg bewegt werden. Es ist kurios: Häufig wird Tiki-Drinks eine gewisse Beliebigkeit vorgeworfen. Speziell im Fall des Fog Cutters ist diese aber definitiv nicht gegeben. Das gilt übrigens auch für den Cream Sherry. Manche Rezepte geben einen Oloroso an. Diese teils auch als „Medium Dry“ bezeichnete Art ist aber nicht süß genüg und lässt den Drink kippen. Ein PX Sherry wiederum ist einfach zu sirupig. Idealerweise nimmt natürlich man einen hausgemachten Orgeat. Wer dann doch noch etwas mehr Schwung in den Fog Cutter bringen will (obwohl das eigentlich nicht nötig ist), der greift zu einem höhergrädigen Rum, der keinen oder nur wenig Holzkontakt hatte. Falls man die Mandel auf stärkerem Wege hineinbekommen möchte, geht auch ein guter Mandelmilchlikör wie beispielsweise der aus dem Hause Adriatico. Und natürlich ist es auch nicht verboten, einen Gin mit Navy-Strength zu nehmen. Doch nötig ist das eigentlich nicht. Der Fog Cutter in seiner alten Form ist nämlich alles andere als neblig, sondern eine ziemlich klare Sache.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

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