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Die Frescohallen in Bergen sind ein kulinarischer Anlaufstelle seit Mai 2022

Bergen sehen und trinken: Von Frescohallen und Loosy Goosys

Mit den „Frescohallen“ wurde im Mai in Bergen ein eindrucksvoller Ort eröffnet, der zeitgenössische Bar und norwegische Trinkkultur mit dem Begriff „Seafruit Cathedral“ vereint. Auch der norwegische Gin-Pionier Stig Bareksten hat dabei seine Finger im Spiel. Und wo trinkt man sonst hoch? MIXOLOGY Online zu Besuch in der norwegischen Kleinstadt, die Großes vorhat.

Zumindest im Blick auf das trinkende Leben ist Bergen ein Ort der Widersprüche. Dies könnte man von ganz Norwegen behaupten, doch dann ist Bergen das norwegische Konglomerat studentischer und künstlerischer Hochkultur schlechthin – und somit ein repräsentativer Ort der Recherche.

Die Stadt im norwegischen Fylke Vestland besitzt rund 270.000 Einwohner und sechs „Vinmonopolet“ – das sind die Orte, an denen der Mensch in Norwegen, nebst Bars, all die Getränke ersteht, die mehr als 4,7 Vol.% enthalten. Besonders schön im „Weinmonopol“ ist es samstags, kurz vor 15 Uhr, bestenfalls in der ersten Woche des Semesterbeginns, genannt „Fadderuken“. Im Falle zweier junger Damen: eine Palette sieben Fjell, acht Weinvariationen und fünf Flaschen Schnaps, darunter einen Gin des Bergeners Stig Bareksten, Gründer von „Det norske Brenneri“, inzwischen Master Destiller bei der norwegischen Oss Craft Distillery. Bergen besitzt dieser Tage 447 Schanklizenzen, zu norwegisch „skjenkebevilling“, also etwas wie „Schankbewilligung“.

Und hier kommen wir zur Widersprüchlichkeit: Am Bergener Flughafen wird das Ankunftsbier mit der Papiertüte verdeckt – denn Trinken in der Öffentlichkeit geht gar nicht. Bevor man allerdings ausgeht, wird ordentlich vorgeglüht, da die Bars enorm teuer sind, weshalb dort so wenig wie nur möglich konsumiert werden soll. Betrunken werden außerhalb von Bars also verpönt, Tipsy-Sein in Bars akzeptiert aber zu teuer, zuhause beides okay. Dies führt unweigerlich zu einer gastfreundlichen Kultur des Bunkerns – wer weiß schon, wann eine Vor-, wann einer Afterparty bei sich selbst stattfindet? Das Wochenende des „Fadderuken“ ist der St. Patrick’s Day der Stadt, zumindest wenn die Bars schließen und zumindest für die Teile des Volk unter 30 Jahren.

Zumindest war das so, bevor die heiligen Frescohallen nebst Fischmarkt des Bergener Hafens ihre Tore für das Glas am Tag eröffnet haben.

Die Frescohallen als gesellschaftlicher Treffpunkt

Die Frescohallen – benannt nach den historischen Fresken im Inneren der Alten Börse Bergens – wurde Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts gebaut und ist im Grunde seit 1862 der Treffpunkt monetär wichtiger Menschen Norwegens und Europas. Seit Mai diesen Jahres ist es eher die gustatorisch betuchte Klientel, die sich, gemeinsam mit den Gästen des Designerhotels Bergen Børs im Michelinstern-gekürten Restaurant Bare sowie der in Art Déco-Stil gekleideten Bar, den Tag versüßt. Das denkmalgeschützte Gebäude in der UNESCO-Welterbestadt hat seine namensgebenden Fresken von Axel Revold erhalten, und zwar zwischen 1921 bis 1923.

Obgleich dieser Ort vor möglicher Nennung von Jahreszahlen und involvierten Namen nur so strotzt, bleibt ein Name, der die Hausnummer maßgeblich prägt: Stig Bareksten. Zwar steht der Gin des Bergeners mit dem langen grauen Haar inzwischen in der Londoner American Bar im The Savoy, im Cesar’s Palace in Las Vegas und auf dem Rollwagen im Flieger nach Norwegen, aber ein eigener Tasting Room war ihm wichtig.

Frescohallen als Gin-Hotspot: Der Tastingroom des Stig Bareksten

Stig Bareksten: zwischen Brand Building und Kräutersammeln

Das Licht schimmert aus kupfernen Lampen, spiegelt sich in der ebenso kupfernen Schaudestille über die schwarzen Ledersitze auf das Holz an Tresen und Boden. Nicht viel anders hätte man sich das Zuhause des schwarz gekleideten Machers der schwarzen Flaschen vorgestellt. In diesem Jahr ist er viel gereist, in die USA und nach Japan, zwischenzeitlich findet man ihn in norwegischen Gefilden bisweilen am Straßenrand, wo er nach heimischen Kräutern sucht, wie etwa nach der Lingobeere – einer skandinavischen Variation der Preiselbeere.

Stig Bareksten ist das perfekte Beispiel dafür, wie Brand Building funktioniert: Eine Geschichte des Rezepts aus dem 18. Jahrhundert, die deswegen so authentisch ist, weil sie einen so traditionellen Gin ausspukte, wie er eigentlich jeder herkömmlichen Tradition entsagt. Dazu ein charismatischer Macher, der norwegische Klischees nicht nur bedient, sondern auch glaubhaft beherrscht: regionale Zutaten, nachhaltige Produktion und die eigene Hand über jeden Batch. Die Auszeichnungen sitzen zuhauf, er sponsert Awards, und trifft man ihn am Abend, sitzen neben ihm eine Reihe von Menschen mit Notizblock, die nach Zitaten haschen. Etwa so eines wie „Meine Methode ist es, zuerst den Geschmack zu visualisieren – und dann mit dem praktischen Teil fortzufahren. […] Für mich geht es darum, einen abstrakten Weg zum Ziel zu gehen, anders zu denken. Mein Gin mag zwar traditionell sein, aber er wird auf jeden Fall auf keine traditionelle Weise hergestellt.” Und wie wir seit rund 15 Jahren gelernt haben: In der Welt des Gins geht es ums Funktionieren der Geschichte und darum, dass er schmeckt. Bareksten hat beides geschafft; dass er außerdem seine eigenen Tonic Water-Variationen entwickelt hat, ist ja wohl klar.

Frescohallen: eine Kathedrale der Meeresfrüchte

Zudem hat er sich die Compagnons der Stunde gewählt, um unter diesem historischen Dach veredelte Rohstoffe zu kredenzen. Denn dafür war es gedacht: zum Austausch von Gütern. Die Geschichte der Fresken erzählt die der norwegischen Wirtschaft, Klippfisk selbstredend inklusive. Die Hallen öffnen zur Frühstückszeit und schließen spät. Rein theoretisch könnte man also den Tag starten mit Fresco’s Eggs Benedict, zu Mittag essen mit einem „Aurora Salmon“ mit Sesam-Mayo und Ponzu-Sauce und dinieren mit Sterling Heilbutt und Muschelsalat, zwischendurch immer mal wieder eine norwegische Auster, gefischt vor der Haustür und deutlich kostbarer als Fine de Claire No.3.

Bereits kurz nach Öffnung war die in den Medien betitelte „Seafruit Cathedral“ bekannt für seine exzellente Weinbegleitung aus rund 400 Weinen sowie als Ort für einen After Work Drink; der lässt sich zwar täglich einnehmen, freitags jedoch dezidiert und namentlich zum „Afterwork“ mit Drinks, Antipasti und Live-DJs. Die Getränke, die unter dem Gewölbe serviert werden, reichen von den Classics der American Bar über norwegische Gin &Tonic-Spezialitäten, wie natürlich Bareksten, Elsker Dry Pink oder Harahorn.

Mehr als zwei Drittel des zweimonatlich wechselnden Menüs machen jedoch die Signature Drinks aus. Besonders geklärte Drinks machen ihnen Freude, weil sie den Kontakt zum Gast herstellen – der sich naturgemäß wundert, wenn ein vermeintlicher Whisky mit tropischen Fruchtnoten wie ein Glas Wasser mit Ananasscheibe daherkommt. Entgegen seines Namens ist ein wunderbarer Absacker der „Monkey never sleeps“ mit Kamillen-Cognac, Honig, Bitters und Absinth. Weicher wird das Bett nicht mehr.

In den Frescohallen gibt es Cocktails auf der Höhe der Zeit. Und das ganztags.
Seit dem Mai 2022 kleiden sich die Frescohallen in neuem, kulinarischem Gewand

Von Loosy Goosys und Lückenfüllern

Der Fokus in der Handhabe der Bar sind Kräuter- und Essig-Infusionen, mit der Zeit sollen es zunehmend fassgelagerte und Pre-batched Cocktails auf der Karte werden. 20 Sitze gibt es an der Bar, bis zu 120 im restlichen Restaurant, außerdem 25 erhöht, in einer Private Lounge für Gespräche über die Börse oder eben Botanicals.

Wo aber hin, wenn man nicht 17 Euro für ein Getränk ausgeben mag und dennoch einheimisch und mit Schliff trinken möchte? Da wäre etwa das Café Legal mit jungem alternativem Publikum sowie gediegener Atmosphäre. Im Landmark der Bergener Kunsthalle indes gibt es Naturwein, artisanales Bier und Drinks am Tag sowie natürlich bei abendlichen Veranstaltungen: Day Drinking künstlerischer Natur. Wer es richtig hölzern und am Tresen will, suche das Nedre Nygaard auf, am Tag mit Lachs, bei Nacht mit einem „Loosy Goosy“. Anders pittoresk als die Frescohallen, aber mit Chic auf ähnlichem Level, hantiert die Biblioteket Bar: gehoben, fantastischer Blick und versteckter, als man für solche Räumlichkeiten denken sollte.

Wenn irgendwer neben Bareksten Ahnung vom Bergener Nachtleben hat, so ist das gewiss Odd Fjeldsgaard Rasmussen. Er ist Chef der „Bargruppen“, und jat somit die Ägide über sechs Bars in Bergen, einer in Haugesund, die nächste Osloer Bar eröffnet noch in diesem Jahr. Sein Fokus liegt stets auf dem, was noch nicht da ist, er will Lücken füllen. Bars öffnen, die eine Stadt braucht.

In Bergen ist war das in seinen Augen das Vinyl: „Regionale Biere mit lustigen Namen.“ Dann ist es so. Am Herzen liegt es ihm außerdem, Bartender:innen zu dem professionellen Status zu verhelfen, den sie verdient haben. Er ermuntert die Community, an Wettbewerben teilzunehmen – die er selbst zuhauf gewann. Sein Ziel ist es, den Menschen am Tresen zu einem überregionalen Gesicht zu verhelfen, um die Barszene so mitzugestalten, wie sie nachhaltig funktionieren kann.

Einer hat es ja nun schon vorgemacht. Und wohingegen Bareksten mit seiner Bar und Tasting Room im Nebenzimmer eher für die naturmystischen Vibes der Tage zum Klingen bringt, versinkt die Sonne in den Gläsern der Frescohallen in einem geklärten New York Sour mit ausdrucksstarkem Schluck Rotwein: „Bergen Flame“.

Bergen bleibt mit den Frescohallen seiner lauter-dramatischen Seele treu.

Credits

Foto: Audun Lindholm

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