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Fuck the Band, Motherfucker!

Live-Musik in einer Bar ist schön, aber scheiße. Sie hat die Barkultur mitbegleitet, ist aber heute ein Anachronismus. Sie ist ein Opfer der Zeit. Man kann das bedauern, kommt aber nicht darum herum, dass moderne Bars neue Bilder prägen.

Die Diva Coco Chanel, der coole Humphrey Bogart, das sexy Miststück Rita Hayworth oder der schreibende Abenteurer Ernest Hemingway – sie alle hörten ihm gebannt zu. Simon Schott hieß dieser Mann und war ein legendärer Barpianist, der ein faszinierendes Leben führte und es auch in seinen Romanen verarbeitete. 2010 ist er in München gestorben, nach einem Leben zwischen Schenkeln und Kadenzen. Ohne ihn wäre Harry´s New York Bar in Paris nicht zu dem geworden, was sie ist. Er stammt aus einer Zeit, in der Live-Musik und Cocktails einfach zusammen gehörten. Diese Zeit ist tot. Sie ist so schön, wie lange vergangen. So wunderschön hingesunken.

Das Ohr der Nacht

Bars haben sich entwickelt und verändert, Gäste haben einen anderen Anspruch an sie formuliert. Eine Bar ist nicht mehr der Ort des Entertainments durch Musik und lausige Cocktails als schalem Beigeschmack, sie ist Freudenhaus durch sich selbst. Die Bar ist ein Gespräch, ein Ort, in dem Dunkles und Helles aus der Taufe gehoben wird, wo man sich fokussiert. Ein selbstreferenzielles Versprechen. Eine moderne Bar ist der Violinschlüssel des Eros, der Wirkungsmacht von Gesten, Gedanken, Gesagtem, Blicken und Hoffnungen.

All das wird getragen von einem Bartender, der den Sound der Nacht komponiert – mindestens so gut, wie seine Drinks. Mit seiner Schlauheit und Dezenz, seinem Einfühlungsvermögen und der Gastbezogenheit. Er ist das Ohr der Nacht. Er gestaltet die Anderswelt.

Die Nacht will und kann

Diesen sozialen und kreativen Raum gab es in vormaligen Zeiten so nicht. Da musste es Lärmen und Lauten sowie Reize herbeigejazzt und dicke Dinger geblasen werden. Backenpumpen. Schwarze Rollkragenpullis und Existentialistenhabitus, das Seichte und Triviale wurde mit Bedeutung aus der Tuba geschwurbelt und bedeutungsvoll getrötet. Bebop, Bars und weißes Pulver war die Glücksversprechung und folgerichtig lautet so ein Romantitel von Jack Kerouac, einem der Begründer der Beat-Genaration.

Und heute? Man besucht eine gute Bar, weil sie einen aus der Zeit entsorgt, in den Arm nimmt, die Koordinaten der immer weiter voranschreitenden Lärm- und Unsinnsüberflutung in unentdeckte Breiten- und Längengrade navigiert. Ich möchte dabei nicht von einem noch so guten Lautbläser, Schlagwerker, Seitenzupfer und Nachtschmalzer gestört werden. Bands in Bars sind eine Geißel der zernichteten Kommunikation. Sie sind so unnütz, wie der Bachmann-Preis für Literatur. Kunst kann, sie will nicht. Die Nacht will und kann, wenn man sie nur lässt.

Bartender als Karajan

Wenn ich affektive Reize suche, mich im Brei des Geschrammels, der Kunst der Höhen und Tiefen verlieren, ekstatische und errartische Gesichter sehen will, dann gehe ich dort hin, also in ein Konzert, ein Stadion, eine Halle und glotze romantisch auf die Bühne. Dann habe ich meine Wachheit gegen ein Ticket eingetauscht und mache Körpermusik zusammen mit der Band auf dem Podium. In einer Bar bin ich bar. Bar jeder Reizüberflutung und Ablenkung.

Der Bartender ist mein Karajan oder Furtwängler, der Seismograf meiner Zustandsunwucht. Der Klang seiner Bewegungen, die Anmut seiner Mooves, sein Schweigen und die Souveränität seines Auftretens sind die Sinfonie des nächtlichen Augenblicks. Mit dieser Kunst macht er die Stille zu einem Nutz, zu meinem mentalen Headbang.

Synapsenkitzlung

Die Komplexität früherer Zeiten die die Reize und Synapsenkitzlung in einem einzigen Habitat, in einem Moment gebündelt hat, ist endgültig der Vergänglichkeit übereignet. Nein, ich bin nicht in einem Stadion, nein, ich bin nicht in einer verschnarchten Hotelbar, ja, ich bin in einer Bar. Ich tigere mit meinen Augen nach den sieben Todsünden, will durch einen außergewöhnlichen Drink versucht werden, die Biografien der Gäste fantasieren, mich auf mich selbst zurückwerfen, den Sazerc riechen und ihm dann das Du anbieten. Ohne Ablenkung und ohne Klangwollen auf der Bühne.

Simon Schott hat ein großartiges Buch für Barpianisten geschrieben. Eine Bibel der freien Interpretation, des aus dem Gedächtnis gespeisten Spiels, der notenfreien Improvisation. Dieser Mann konnte damit einen Raum verzaubern, ihn umwidmen, Sex hörbar machen. Aber wann hatten Sie zuletzt guten Sex? Wenn Sie auf der Suche danach sind, gehen Sie in eine Bar, wecken die Sinne selber auf, suchen die Wildnis und haben hoffentlich das Glück, nicht von einer ambitioniert lautmalenden Band dabei den Gedankenflug überspielt zu bekommen und das Wesentliche aus dem Auge zu verlieren. Hören Sie immer genau zu – aber einem Menschen -,  es kann zur Not auch der Bartender sein. Er ist ein Meister und spielt auf der Klaviatur der Seele.

Credits

Foto: Brennendes Klavier via Shutterstock.

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