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FÜNF! Drinks zum Krawall

Bei uns brennen nicht die Autos, sondern allenfalls der „Blue Blazer“. Berechtigte Sozialkritik in allen Ehren, aber wir servieren keinen Molotow-Cocktail. Dafür suchen wir FÜNF Mal nach dem trinkbaren „Bella Ciao“, einem Cocktail gewordenen „Roter Wedding“. 

Die große Frage, ob man erst Krawall macht, weil man getrunken hat, oder Alkohol quasi den folkloristischen Brennstoff der Weltrevolution darstellt, blenden wir aus. Schließlich stehen am 1. Mai ja alle Räder still. Auch die im Hirn. Dafür lassen wir uns die Krawall-Drinks schmecken – und hoffen, dass unser Auto sicher versteckt ist.

1. Auf die Barrikaden: Die Dialektik des Hopfens

Wiens neueste Bar heißt Barrikade, genau genommen ist Hubert Peter damit aber nur innerhalb der „Marktwirtschaft“, eines Indoor-Marktes im hippen Siebenten Bezirk, umgesiedelt. Revoluzzer ist der Vorarlberger, der gerne mit möglichst viel selbst gemachten Getränken hantiert, zwar durchaus. Der Name spielt aber eher auf die Bretterverschalung seines Ein-Mann-Experimentalecks an. Dort gibt es nicht nur Chorizo-Likör (so abgefahren, wie es klingt), sondern auch das bei Forstners Handbrauerei in Graz abgefüllte „Mei Ginger Beer is net deppat“ (im Lokal 5,90 Euro die 0,33 Liter-Flasche). Der Name zitiert den bekanntesten Proleten der Austro-Fernseh-Geschichte, Edmund „Mundl“ Sackbauer.Was als Ginger Beer alter Schule, also gebraut und damit leicht alkoholisch, gedacht war, endete als Bier mit Ingwer-Zugabe zur Würze. Der Hopfen, bekanntlich beruhigend, erhält hier einen Partner, der Marxisten als Schaubild für den Dialektischen Materialismus dienen kann. Mit ihm und Chili agierte die Stammwürze nämlich in Richtung etwas Unvorhersehbarem. Dass der Ingwer im Lagertank noch nachschärfte, brachte der ersten Charge von Peters Getränk einen Schärfekick, der an Georg Büchners Danton erinnert: „Die Revolution frisst ihre Kinder“. Aber sie schmeckt in diesem Fall auch verschärft gut.

2. Trink mit Jerofejew: Die Tränen der Komsomolzen

Bei der Liste der FÜNF! alkoholschwangeren Bücher fehlte Wendedikt Jerofejews „Reise nach Petuschki“ (auch als „Moskau–Petuschki“ bekannt) noch, hier kommt sie zu Ehren. Denn der mit vielen Flaschen Schnaps angegangene Trip in der sowjetischen Eisenbahn ehrt mit etlichen Cocktail-Rezepturen den real existierenden Sozialismus. Ihnen allen gemeinsam sind die eher schrägen Zutaten und der hohe Wirkungsgrad der verwendeten Alkoholika. Wie es sich für ein Säufer-Kultbuch eben gehört. Vor allem das der Jugendorganisation der KPdSU, dem Komsomolz, gewidmete Cocktailrezept war mit dem hohen Kräuter-Einsatz seiner Zeit (das Buch erschien 1973) voraus: 15 Gramm Lavendel und 15 Gramm Eisenkraut (Verbene) werden für die „Komsomolzenträne“ benötigt. Dazu kommen rare Spirituosen, wie sie auch heutige Mixologen nicht oft verwenden, nämlich, 30 Gramm (wir sind in Russland, daher Gramm).

3. Aufruhr in Krawall-Stärke: Rumbullion

Wenn es schon eine Spirituose gibt, deren Name vom Krawall stammt, dann darf sie hier natürlich nicht fehlen. Der Aufruhr, engl.: Rumbullion, den der übermäßige Genuss verursachte, soll ja dem Rum in der Karibik ja einst seinen Namen verliehen haben. Nicht auf Barbados, sondern in England entsteht der von Cornelius Ampleforth abgefüllte Spiced Rum, der den „Rumbullion“ in die Gegenwart rettet. Madagaskar-Vanille, Zimt, Nelken und weitere geheime Gewürze werden mit Orangenzesten in karibischem Rum mazeriert. Wirklich auf Krawall gebürstet wird man aber nur von der Navy Strength-Variante (ca. 60 Euro/Flasche) mit ihren 57% Vol. Bei ihr zündete einst nicht nur das mit Rum vermischte Schwarzpulver noch, auch der Schalter im Hirn legt sich schnell um.

4. Der Hesse vom Haymarket – Kölsch oder Chicago?

Geht man den Spuren des ersten Mai als Arbeiterfeiertag nach, stößt man bald auf die Haymarket Riots 1886 in Chicago. Der aus Hessen stammende Zeitungsredakteur August Spies, einer der lokalen Arbeiterführer, hatte am 4. Mai wie schon drei Tage zuvor zur Kundgebung gerufen, nach der Explosion einer Rohrbombe entglitt die friedliche Demo: Demonstranten und sieben Polizisten sterben. Spies und sechs weitere „Anarchisten“ werden in einem manipulierten Prozess und trotz internationaler Gnadenappelle zum Tode verurteilt. Zwar wurden Spies und seine Mitstreiter vom Gouverneur Peter Altgeld (einem weiteren gebürtigen Deutschen) schon 1892 rehabilitiert, der Haymarket darf aber seither als Geburtsort der Maifeiern und der Unruhen drum herum gelten. Stilecht kann man mit einem „Cream Kolsch“ darauf anstoßen. Das braut die Haymarket Brewery in Chicago nämlich als Hybrid aus Cream Ale und Kölschhefe aus „Good Old Germany“.

Wer auf den Cocktail nicht verzichten will, kann auf die 1. Mai-Feier aber auch mit einem „Chicago“ anstoßen. Der Drink geht vermutlich auf die Zeit der Haymarket Riots zurück, ist möglicherweise aber sogar älter. Die Rezepturen des Brandy-Cocktails variieren vor allem hinsichtlich der Zugabe von Champagner. Obwohl wir finden, dass solche Dekadenz nichts in einem Krawall-Drink zu suchen hat, halten wir uns an die Variante, die der Chicagoer John Drury während der Prohibition in der American Bar in Nizza kennenlernte. Sie gleicht Harry Craddocks Version aus „The Savoy Cocktail Book“ bis auf das Stirren statt dem Shaken und die Garnitur.

Chicago Cocktail

(nach John Drury, „Dining in Chicago”, 1931)

1-2 Dashes Angostura Bitters

3 Dashes Curaçao

1,8 cl („half a gill”) Brandy

Champagner

Glas: Coupette

Garnitur: Zitronenzeste und Olive oder Cocktailkirsche

Zubereitung: Rand des Cocktailglases in Zitronensaft tauchen und in Puderzucker stippen. Rührglas zur Hälfte mit Eis füllen und alle Zutaten (außer dem Champagner) gut verrühren. Ins Cocktailglas abseihen, mit Zitrone abspritzen und die Zeste ins Glas geben. Mit etwas Champagner auffüllen.

5. Schlichter Geisenheim: Rabiat-Perle darf bleiben

Auch die Weinbranche kennt ihre Krawallmacher. Genauer gesagt ihre „Rabiat-Perlen“, wie man vor allem die Direktträger lange schmähte. Im Kampf gegen die Reblaus hatte man Ende des 19. Jahrhunderts aus den USA Rebstöcke importiert, auf die dann europäische Sorten „gepfropft“ wurden. Allerdings nicht überall, denn u. a. in Kroatien, Italien (Fragolino) und Österreich erntete man direkt von den Reblaus-resistenten Stöcken. Was wurde in der Folge nicht alles geschrieben gegen die „Amerikaner-Reben“, die vor allem deutschtümelnde Züchter wie Dr. Fritz Zweigelt zum Feindbild völkischer Trinkgewohnheiten erkoren hatten: Rabiat, dumm, ja sogar blind machten die Weine wie der Uhudler angeblich. Die wenigen Hektar der südburgenländischen Spezialität wurden nur mit Augenzudrücken von der EU genehmigt, 2030 sollte mit der Nachsicht endgültig Schluss sein, erste Rodungsbescheide (für verbotene Neupflanzungen) gab es bereits – das kleine österreichische Bundesland hatte ein Wahlkampfthema. Doch aus dem Krawall rund um die Rabiatperlen und „Heckenklescher“ wurde dank der Fachschule Geisenheim ein Strohfeuer. Mehrere Uhudler-Sorten seien genetisch als echte Kreuzungen mit der europäischen Vitis vinifera zu betrachten und der Uhudler somit rechtskonform als Wein zu bezeichnen. Und so findet sogar unsere Krawall-Story ein versöhnliches Ende!

Credits

Foto: Molotowcocktail via Shutterstock

Comments (1)

  • FLO

    Ferdinand Weidner@ Retour Kutsche # 1.Mai

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