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Viele Wege führen zur Gastfreundschaft

Gastfreundschaft ist das Aushängeschild einer jeden Bar. Immer wieder hört man von der Einzigartigkeit asiatischer Gastgeberkunst.  Ein Hort dieser Kunst ist Antonio Lais The Quinary. Aber ist der asiatische auch der einzige Weg? Ein Einblick in die heiligen Hallen der vielfach prämierten Bar und einige Gedanken von Philipp Gaux.

Es ist nun etwa ein halbes Jahr her, da setzte sich ein Mann mittleren Alters an den Tresen direkt vor meine Mixstation und bestellte gleichermaßen mutig wie auch skeptisch einen Malibu Bellini. Kaum vergewisserte ich mich der eigentlichen Bestellung, so flimmerte vor meinem geistigen Auge bereits Henning Rieckens Mantra des zufriedenen Gastes. Bricht man dieses auf eine aussagekräftige Botschaft, so lautete sie so wohl einfach und prägnant: Der Gast ist der Kunde und der Kunde ist König. Oder etwas kosmopolitischer: Mi casa es su casa.

Vodka-Bull?! Gibt es nicht! — Gibt’s nicht!

Gastfreundschaft. Bei ihr geht es nicht darum, was der Gast wie und wann genau bestellt und ob sein Drink des Abends unserem persönlichen Geschmack entspricht. Welches Tonic er zu seinem Gin wählt und welche Reifungsqualität er beim kubanischen Rum präferiert, sind für uns ähnlich unerheblich wie die Kleidung, die er trägt. Er ist ein Gast und damit wie jeder andere — unabhängig von seiner Bestellung. Nun scheint diese neudeutsch als ‚hospitality’ bezeichnete und sträflich missachtete Tugend allzu häufig nicht existent unter all jenen Cocktail-Virtuosen, die mit aller Vehemenz versuchen, dem Gast ihren persönlichen Stempel aufzudrücken.

All jene, die lieber großspurig vom ‚personal imprint’ sprechen, als dass sie der Bestellung ihrer Gäste mit erforderlicher Ernsthaftigkeit nachkommen und mit diesem Verhalten einem jeden Kunden signalisieren, dass sie es sind, die als letzte Instanz darüber richten, was denn nun schmeckt und was besser nicht bestellt werden sollte.

Do the asian way

In Asien wäre das unvorstellbar. Natürlich wäre es infam und schlichtweg dumm, an dieser Stelle zu generalisieren. Deutschland hat mit Sicherheit eine große Vielzahl an erfahrenen und versierten Gastgebern, die individuell auf das persönliche Wohl eines jeden Gastes eingehen. Gleichermaßen gibt es in Asien ebenfalls Myriaden von Touri-Schuppen, über denen neongrell das Wort Abzocke flackert. Dennoch hat die Gastfreundschaft in Asien immer noch eine ganz andere Reputation innerhalb der Gesellschaft und wird dementsprechend feierlich in Szene gesetzt. Doch warum eigentlich?

Wie so häufig führt uns die Spurensuche hierbei direkt in das Epizentrum des Buddhismus. Buddha, nicht unbedingt für seine gastronomischen Eskapaden bekannt, lehrte einst die hohen Ideale des Friedens und der Toleranz, der Freundschaft und Gastfreundschaft, das Streben nach Gutem und Schönem sowie das Mitleid für alles, was lebt und atmet. In Kurzfassung: Bei Buddhisten werden Gäste nicht nur geehrt, man vergöttert sie regelrecht.

Bezogen auf die Gastronomie und gepaart mit anderen asiatischen Charakteristika wie Disziplin, Arbeitsmoral und Präzision, öffnet diese Welt eines jeden Genussmenschen Herz. Akribisch wird hier der Körper für die absolute Perfektion geschunden und das Werk eines jeden Mitarbeiters sekündlich mit kritischem Auge gemustert. Große asiatische Hotelketten expandieren und treffen mit ihrem ausgeklügelten Angebot bei vielen ausländischen Gästen ins Schwarze. „The idea is to look after guests as though they were family“, so beispielsweise Greg Dogan, CEO der Shangri-la-Kette. Genug der asiatischen Mentalität, wie macht sich dieser Ethos eigentlich in der Bar bemerkbar?

Die magische Fünf

Das The Quinary – ein modernes Märchen. Antonio Lai – die Verkörperung dieses Märchens. Mit seinen 5 Bars hat sich der Bartender aus Hong Kong einen regelrechten Promi-Status innerhalb der internationalen Cocktail-Szene gesichert, zuletzt brillierte er zudem beim globalen Finale der Diageo World Class. Sein The Quinary rangiert seit Jahren in der Bestenliste der World’s 50 Best Bars. Wenn nicht hier, wo findet man sie dann, die „asian hospitality“?

Nun sind es vor allem die ausgebufften Details, die zu beeindrucken wissen. Das Logo seiner Wirkungsstätte stempelartig in Orangen-, Zitronen- und Grapefruitzesten zu brennen, offene Champagnerflaschen zu rekarbonisieren, Popcorn im Slow Cooker langsam zu erhitzen und es in der Zentrifuge anschließend mit Bourbon zu vereinen… Das Repertoire ist groß, die Drinks wissen zu beeindrucken.

Als „quinär“ bezeichnet man gemeinhin Objekte, die aus fünf Teilen bestehen. Antonio Lai setzt bei der Namensgebung seines Etablissements ganz auf die klassische Wahrnehmung des Drinks durch den Gast. Smell it – Taste it – Touch it – Hear it. Die bekannten Sinneseindrücke ergänzt er um seine ganz persönliche Perzeption, enjoy it.

Es ist dieser Wow-Effekt, der hier mittlerweile von Allen verlangt und sogar per Instagram in die Welt hinausgetragen wird, so Lai stolz. Suchte man einmal nach dem Hashtag Quinary, so fände man schließlich nur Fotos vom Earl Grey Caviar Martini, einen aufwendigen Twist auf einen klassischen Martini mit einem Schaum, infundiert mit Earl Grey-Tee und Kaviar.

Gastgeber im Schüttel-Zirkus?

Doch neben all den technischen Spielereien der Mixologie-Werkstatt und zwischen all den Rotationsverdampfern blitzt immer wieder jenes im Artikel beschriebene Phänomen der asiatischen Gastfreundschaft auf. „Gastfreundschaft bedeutet für mich, dass meine Kunden zufrieden sind und dementsprechend wiederkommen. Dafür ist gute Kommunikation unabdingbar“, so Lai demütig. Es ist hier sicherlich das gute Verhältnis aus exzellentem Service und hervorragender Qualität, das die Gäste glücklich stimmt und allgemeinhin als asiatische Geheimformel für den Umgang mit Kunden gilt. Greg Dogan hebt die Wichtigkeit noch einmal hervor und betont, dass große asiatischen Hotelketten sehr viel mehr Zeit und Geld in die Schulung und Ausbildung ihrer Hotelfachkräfte investieren, um sich positiv abheben zu können.

Nun mag ein ehrliches Bier häufig „authentischer“ erscheinen als das Gurkenwasser vor dem Drink, doch beweisen sie beide gleichermaßen, dass Gastfreundschaft nichts mit Etikette zu tun hat. Dem Gast mit einem freundlichen und aufrichtigen Lächeln interessiert entgegen zu treten, seine Bestellung aufmerksam und neutral aufzunehmen und ihm das Labsal seiner Wahl herzlich zu servieren, das geht sowohl auf regelrecht devot-serviceorientieren asian-way als auch europäisch-locker. Auch wenn Gastfreundschaft in Asien möglicherweise extremer in Szene gesetzt wird, so darf der Kern der Aussage nicht vergessen werden: Die Herzlichkeit.

Credits

Foto: Hong KOng via Shutterstock

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