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Erfolgreiche Fahndung: das George R. in Moabit

Eine klassische Bar, und das in Berlin-Moabit? Wo sonst jeder an Knastbrüder und eiserne Gitter denkt, erblüht nun auch ein erster feiner Trinktempel.

Benannt nach einem Bootlegger-König, schickt sich das George R. an, den Betonmauern mit zeitgemäßen Drinks zu begegnen. Peter Eichhorn hatte bereits Besuchsrecht.

Bars, die immensen Respekt verdienen, sind oftmals jene, die nicht in bevölkerungsreichen Städten oder in zentralen Metropolenlagen ihren Tresen aufstellen. Bars, die in der Provinz oder in urban-unhippen Lagen die Shaker stemmen, leisten einen herausragenden Beitrag zur Verbreitung der Barkultur, der viel zu selten gewürdigt wird. Zahlreiche Gäste erleben an diesen Orten oft ihr erstmaliges Erweckungsmoment eines großartigen Cocktails und lassen Hugo und Caipirinha hinter sich, um künftig Martinez und Vieux Carré den Vorzug zu geben. Das George R. im Berliner Ortsteil Moabit ist ein solcher hervorragender Ort.

Die falsche Fährte

Wer „Moabit“ hört, denkt meist zunächst an Gerichtsverfahren am größten Kriminalgericht Europas und an diverse Gefängnisse und deren Gäste. Prominente Fälle rings um Kaufhauserpresser Dagobert, Schiedsrichterbestechung um Herrn Hoyzer oder die Inhaftierte DDR-Führung um Mielke, Honecker und Krenz. Auch der Hauptmann von Köpenick saß bereits in Moabit ein. Was also liegt näher, als eine Bar nach einem Berliner Bootlegger zur Prohibitionszeit zu benennen. George Remus gehörte zu den Königen der Alkoholschieberei in der Ära von Al Capone, Lucky Luciano und Meyer Lansky.

König der Bootlegger

George Remus war ursprünglich als Pharmazeut tätig, bevor er eine juristische Ausbildung durchlief. Beides in Kombination sollte ihm sehr nützlich werden, als er sich auf die Suche nach Lücken in der Prohibitionsgesetzgebung machte. Alkohol, der vor den Gesetzen hergestellt worden war, durfte als Privatbesitz in Lagerhäusern bestehen bleiben. Fortan erwarb er von Cincinnati aus 10 Destillerien. Zudem durfte Alkohol zu medizinischen Zwecken in Apotheken verkauft werden. So hatte Remus eine legale Grundlage, um Alkohol zu besitzen und zu transportieren. Der schlaue Fuchs ließ dann seine Alkoholtransporte durch seine eigenen Männer überfallen, um den Schnaps so in den illegalen Markt zu transferieren und als Schnapsschieber und Bootlegger Unsummen zu verdienen.

1925 wanderte der gebürtige Berliner dann aber doch für zwei Jahre hinter schwedische Gardinen. Im Gefängnis berichtete er einem Zellengenossen von seinem Vermögen und den schlauen Mechanismen, mit denen seine Ehefrau die Gelder tarnt und verwaltet. Der Zellengenosse, eigentlich Undercover-Agent der Behörden, quittiert seinen Dienst, verführt die Ehefrau und verprasst Remus’ Geld.

Ein Glas Gatsby, ein Schuss Scheidung

Später, auf dem Weg zum Scheidungstermin, erschießt Remus seine Frau, plädiert auf Unzurechnungsfähigkeit und kommt auf diese Weise davon. Angeblich basiert die Romanfigur Jay „Der Große“ Gatsby von F. Scott Fitzgerald auf Remus. Eine faszinierende und doch eher unbekannte Figur der Getränkegeschichte, die zuletzt in „Boardwalk Empire“, jener Fernsehserie zur Prohibitionszeit in Atlantic City, wiederentdeckt werden konnte. Auch ein Small Batch Whiskey aus Cincinnati wurde nach Remus benannt. Wer mehr erfahren möchte, kann zu dem Roman The Jazz Bird oder der Biografie King of the Bootleggers greifen.

Mörderdrinks in Moabit 

Zurück nach Moabit. Literarische Prominenz findet sich hier in Form des dort geborenen Kurt Tucholsky. Sein Bezug zum Trunk wird offensichtlich, als er 1912 eine Bar eröffnet. Sein „Rheinsberg: Ein Bilderbuch für Verliebte“ verkauft sich anfangs nicht so gut, also verspricht er jedem Käufer des Buchs einen Schnaps in der „Bücherbar“ am Kurfürstendamm. Das  Prä-Crowdfunding-Projekt soll den Verkauf ordentlich angekurbelt haben. Eine Gedenktafel in der Lübecker Straße 13 erinnert an Tucholskys Elternhaus. Die zweitprominentesten Moabiter wären dann schon wieder Kriminelle. Die Brüder Franz und Erich Sass waren die berühmtesten Geldschrankknacker der 1920er Jahre und wohnten seinerzeit in der Birkenstraße 47.

Auf halber Höhe zwischen den beiden Adressen stoßen durstige Ermittler nun auf die Bar mit ihrem spannenden Namen und ihren aufregenden Drinks. Premium Cocktails sind in Moabit absolut keine Selbstverständlichkeit. Umso stärker wächst die Neugierde, auf welche Weise Cocktailkultur auf der vernachlässigten Gefangeneninsel nun Einzug hält.

Der Geist des Verbrechens — in delikater Weise

Die Zeit vor der Prohibition inspiriert die Cocktails und die Atmosphäre. Die Karte verfügt über ein Sour-Kapitel und einen Old Fashioned-Abschnitt, dazu wechselnde Specials, insbesondere saisonale Eigenkreationen. Schlichte Holzmöbel vor einer imposanten roten Vintage-Tapetenwand, ein Hauch Apothekeninterieur hinter dem Tresen. Die Musik kommt von Vinyl und die engagierten Betreiber beweisen ein souveränes Händchen für Spirituosen.

Das Backboard ist sowohl mit großen Klassikern als auch ungewöhnlichen Geheimtipps gut befüllt. Vom Hahn fließen Pilsner Urquell und Guinness, dazu gesellt sich eine wechselnde Auswahl von Bierspezialitäten aus Belgien oder von einheimischen Craft-Brauern. Der Mai Tai war kraftvoll und komplex, der Vieux Carrée wies genau die richtige Balance aus Spirituose und dezenter Süße auf. Die Cocktails sind mit um die 8 € Moabit-mäßig und dementsprechend sehr moderat, mit dem Bouvet Crémant zu 5,50 € kann man ebenfalls nichts falsch machen. Fünf Tonics erfreuen zudem die Anhänger der aktuellen Gin & Tonic-Woge, die somit auch solch getränketechnischen Entwicklungsgebiete wie Moabit erreicht hat.

Noch hält sich das junge Publikum ziemlich stark am Bier fest, aber sicherlich werden sie von George Remus bald eines Besseren belehrt. Bartender, übernehmen Sie!

 

Credits

Foto: Moabit via Shutterstock

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