„Das ist bei uns nicht drin!“
Etwas über drei Jahre betreibt Gerhard Tsai seine „Tür 7“ in Wien nun schon. Der Josefstadt-Fan „Geri“ prägt Wiens Szene allerdings schon länger – etwa im „Planter’s“ oder im „Scotch Club“. Warum sein Cocktail-Wohnzimmer ohne Karte gut funktioniert und weshalb man auch als guter Gastgeber manchmal „nein“ sagen muss, erzählt er bei einem Daiquiri.
Wir sind früh dran, doch eigentlich ist es wie immer in der Buchfeldgasse: Man läutet am kleinen Klingelknopf neben dem Hotel Graf Stadion und „Geri“ öffnet die Tür. Er nimmt einem die Garderobe ab und bringt den Gast dann an seinen Platz. Nur, dass der diesmal gar keinen Drink will (okay, am Ende des Gesprächs waren es dann sogar drei), sondern heute vom Hausherrn der „Tür 7“ wissen möchte, was er denn gerade so trinkt.
Lieber Geri, was wird es denn werden? Diesmal steht ja nicht die Vorliebe des Gasts am Beginn, sondern Deine?
Gerhard Tsai: Ich mache einen Daiquiri natural. Den mag ich persönlich und er passt ja auch perfekt zur Jahreszeit.
Welches Verhältnis bevorzugst Du da?
Gerhard Tsai: Für mich steht der Drink unter dem Motto „Alt, aber frisch“, daher ist für mich 6:3:1,5 genau richtig. Da kann man die Frische schön rausspüren.
Wird er auch oft bestellt in der Bar?
Gerhard Tsai: Du weißt ja, dass wir ohne Karte arbeiten. Wenn dann jemand kommt, der sagt, er will etwas Frisches, bieten sich als erstes Rum und Gin an. Da startet dann das Frage-und-Antwort-Spiel mit dem Gast. Für manche ist der Daiquiri zu simpel, da habe ich dann was Anderes. Wenn er aber mit einem Klassiker beginnen will, dann gerne!
»Viele Bars versuchen sich derzeit am Daydrinking. Wir wollten betonen, dass wir eine echte Abendbar sind.« – Gerhard Tsai
Wie weißt Du im Vornherein, wieviel er überhaupt trinken will – das ist ja speziell bei euch fast dramaturgisch notwendig?
Gerhard Tsai: Man kann das nebenbei erwähnen, mit Fragen wie „in welche Richtung soll es gehen?“. Wenn wir mit einer Eigenkreation beginnen, dann mache ich gern als zweiten Drink einen Klassiker. Da sieht der Gast, dass wir nicht nur unsere eigenen Rezepte können, sondern auch die großen, klassischen Standards. Und dann spielt noch Süße oder Säure eine Rolle. Daher ist diese Frage-Antwort-Sache wichtig: Man muss die Bedürfnisse heraushören können. Manchmal braucht man ja gar nicht zu viel Zauberei hineinbringen. Wenn das ein Purist ist, wird er auch mit einem Longdrink glücklich. Und gegen einen guten Gin & Tonic habe ich nichts.
Womit natürlich die Frage folgen muss: Was ist ein guter G&T?
Gerhard Tsai: Wir haben bei uns nur ein Tonic, das heißt, der Gin muss hier viel „leisten“. Er soll blumig, zitral, fruchtig, oder aber herb und kräutrig sein. Wir sind bei schottischen Gins sehr gut aufgestellt. Sagt dann der Gast „es war ein geiler Gin & Tonic“, dann haben wir in der Kunst Erfolg gehabt, genau das zu bringen, auf das er gewartet hat. Da spielt aber auch die Situation eine Rolle. Merke ich, dass der Gast eher in Richtung Longdrink tendiert, sollte es schneller gehen und dann kann der einfache Drink, mit seiner spannenden Geschichte aus Schottland, gut funktionieren.
À propos „funktionieren“: hat sich schon einmal jemand beschwert, weil es keine Karte gibt?
Gerhard Tsai: Naja, Karten haben wir ja: Hinter jedem der Fotos auf unser Pinnwand finden sich Spirituosen. Das Ganze auf Bildern, die alle den Bezirk Josefstadt zeigen, etwa die Mariatreu-Kirche. Aber da stehen keine Cocktails. Und hier bin ich der Meinung: Ohne Karte zu arbeiten bringt dem Gast extrem viel. Du gibst ihm die Möglichkeit zu entscheiden, was er will, aber gleichzeitig ist es sehr leicht, etwas zu empfehlen. Ansonsten greift er in einer Bar ja in seiner Unsicherheit oft genug erst zu einem Klassiker. Allerdings: Nur mit der begrenzten Gästezahl bei uns ist so ein Arbeiten möglich.
Wie wichtig ist dieser Bezug zur Josefstadt, in der Du ja wohnst und arbeitest?
Gerhard Tsai: Wenn Du hier wohnst und etwa die Postkarten siehst, dann fühlst Du Dich vielleicht noch einen Tick wohler bei uns. Ich bin ja nicht nur der „Wirt ums Eck“, sondern für viele auch der Nachbar. Das hat dann schon Dorf-Bar-Charakter. Du siehst Leute am Morgen, wenn die Kinder in den Kindergarten gebracht werden, und dann am Abend wieder als Gast. Es gibt nahezu jeden Abend Gäste, die um die Ecke wohnen. Aber auch viele andere, die reinkommen, sehen sich als Nachbarn. Schließlich kommt man bei uns schnell ins Gespräch. Alles ist gemütlich und reduziert, auch allein traut man sich eine Runde anzusprechen oder wird umgekehrt was gefragt. Das liegt aber auch am Gästeschnitt, der bei 30 bis 40 Jahren liegt, da hat man weniger Scheu als in jüngeren Jahren.
»Im Interesse aller Gäste musst Du einfach manchmal sagen: Das ist bei uns nicht drin!« – Gerhard Tsai
Die räumliche Nähe zur Bar hat ja nicht nur Vorteile, wie siehst Du das als dreifacher Vater unter dem Aspekt der „work-life-balance“?
Gerhard Tsai: Ich glaube, dass das sehr stark eine Einstellungssache ist. In Summe bringt die Nähe mehr Annehmlichkeiten als Unannehmlichkeiten. Lass es mich so sagen: Je unabkömmlicher man sich macht, desto näher sollte man an der Bar wohnen. Es liegt aber in meiner Verantwortung, Mitarbeiter so stark zu machen, dass sie selbst entscheiden können und Dich nicht ständig anrufen. Da müsste ich dann auch mein Management hinterfragen.
Viele Konzepte forcieren aktuell „day drinking“, Du hast im Januar die Öffnungszeiten auf 21 Uhr nach hinten verschoben. Wieso das denn?
Gerhard Tsai: Ich wollte zeigen, dass wir eine echte Abendbar sind. Auch wenn jetzt viele andere Bars früher öffnen – die Uhrzeit positioniert uns auch gleich anders. Du gehst vorher essen und dann in eine schöne Bar, das wäre die Idee.
Womit wir bei der Frage wären, was man dann von einem Gastgeber erwarten darf?
Gerhard Tsai: Er sollte zuhören, freundlich sein und Dienst am Gast leisten, wie der das gerne hätte. Auf keinen Fall darf man das gleiche Schema fahren. Den Gast sollte man Gast sein lassen, aber so hofieren, dass seine Bedürfnisse erfüllt werden. Es gibt auch Gäste, die wollen Dich nur bei einer Bestellung sehen. Auch das gehört dazu: Den Gast in Ruhe lassen zu können.
Das klingt nach „alles ist erlaubt“ – wie setzt Du aber dann Grenzen?
Gerhard Tsai: Wenn Du meinst, den Bogen überspannen zu müssen, dann muss man das auch aufzeigen. Wir haben bis vier Uhr früh offen, der Gast erlebt uns in dieser Zeit aber immer im gleichen Zustand, wir sind gleich höflich, aber auch gleich bestimmt. Das ist eine Respektsache. Es ergibt sich aber, ohne dass wir das beschlossen hätten, eine spürbare Etikette. Wenn dann jemand zu weit geht, muss man auch zum Schutz der anderen Gäste Grenzen aufzeigen. Da habe ich kein Problem damit.
»Es ist ganz einfach: Was hinter der Tür passiert, soll hinter der Tür bleiben.« – Gerhard Tsai
Kommt das vor in eurem „Wohnzimmer“?
Gerhard Tsai: Ja, das gab es. Ich habe dann gesagt, das ist bei uns nicht drin. Der Gast wurde von mir eingeladen, allerdings habe ich ihn gebeten, mir zu versprechen, nie wieder zu kommen. Jemanden rauszuwerfen und zu kassieren, halte ich für schwierig. Ich will kein Geschäft, das nur für eine Seite vorteilhaft wäre. So ist aber einfach kein Geschäft zustande gekommen. Ist halt so!
À propos Regeln: In der „Tür“ wird auf das Verbot von Fotos für Social Media hingewiesen. Warum das?
Gerhard Tsai: Weil hinter der Tür bleiben soll, was hinter der Tür geschieht.
Mit Drinks, die bei 17 Euro starten, habt ihr auch einen neuen Preispunkt in Wien gesetzt. Was steckt da dahinter?
Gerhard Tsai: Das ist bei uns ja nicht willkürlich, jeder Drink – der Champagner wie der Gin & Tonic – kosten ihre 17 Euro. Wenn alles passt, zahlt man das auch gerne. Die Überlegung war, weniger Leute herein zu lassen, dafür muss aber der Service passen. Auch 12 oder 13 Euro sind ja teuer, wenn der Drink nicht schmeckt. Bei uns erklären wir die Zutaten immer hinterher am Gast. Und wir reparieren den Cocktail gerne am Tisch. Da kommen wir mit dem Rührglas und ein, zwei Zutaten und der Gast ist auf einmal mitten im Geschehen.
Du bist einer der Gründer der Vienna Bar Community, die es nicht nur lange gibt, sondern in ihrem Zusammenhalt auch relativ einzigartig ist. Gibt es da ein Geheimnis, von dem andere Bar-Städte profitieren könnten?
Gerhard Tsai: Wir halten grundsätzlich den Ball flach und gehen aufeinander zu. Entstanden ist das sicher zur rechten Zeit am rechten Ort, weil viele gefühlt hatten, dass so etwas fehlt. Der zweite Vorteil war sicher die erkennbare Linie, die Du haben musst. Das ist in guten Zeiten leicht, aber wenn Du das auch in unruhigen Zeiten machst, schafft das Vertrauen. Bei uns tut sich auch keiner besonders wichtig hervor. Es geht um ein Miteinander. Das kannst Du eigentlich jede Nacht erleben, wenn das Telefon läutet mit der Frage von Kollegen, ob ein Platz frei ist. Für den Gast ist das ja sowieso das Größte, wenn er wo hinempfohlen wird, wo es ihm gefällt.
Zieht ein neuer Bartender nach Wien, kommt er an der Bar Community eigentlich nicht vorbei. Erst letztens war ein slowakischer Kollege bei mir, der nur Englisch spricht. Ich habe ihm gleich einmal zehn Bars aufgeschrieben, mitsamt den Ansprechpartnern. Wichtig sind zwei Dinge: Zum einen, dass es eine Non-Profit-Geschichte ist; wir haben keine Mitgliedsgebühren und niemand hat das Gefühl, dass es nur ums „G’schäft“ geht. Zum anderen muss man sich fix drei bis vier Mal im Jahr sehen. Dazu gibt es unser Sommerfest, die Weihnachtsfeier und Workshops. Und natürlich gehört dazu, dass man sich gegenseitig besucht in der Bar.
Wien scheint derzeit ja Bars ohne Ende zu vertragen. Wie siehst Du diesen Bar-Boom?
Gerhard Tsai: Innerstädtisch wird diese Dynamik bald an die Grenzen stoßen. Aber Bars könnten endlich auch die Randbezirke, wo viel Potential steckt, erreichen. Das sieht man zum Beispiel am „Bei mir“ (im 16. Bezirk, Anm. d. Red.). Und man sollte nicht vergessen, dass jeder Bar-Boom auch Personal erfordert. Da sind wir alle zusammen gefragt, unser Berufsbild so professionell vorzuleben, dass sie darin auch einen Sinn sehen. Zu motivieren, ist sicher härter geworden. Ich meine, die Belastung ist da, Du musst die Dienstleitung mögen und es sind sicher Momente dabei, wo Du alles andere lieber machen würdest. Andererseits kann es nicht nur Studierte geben – und selbst da sind ja nicht alle glücklich. Die viele Tagesfreizeit aber sollte dann wieder attraktiv sein (lacht).
Lieber Geri, wir danken Dir herzlich für das Gespräch!
Dieser Artikel ist zuerst in der Mixology Ausgabe 03/18 erschienen.
Credits
Foto: Constantin Falk