Rickey, Collins und Martinez: Gin und Genever im Celebrity Deathmatch
Gin und Genever sind verwandte Kategorien. Genever wird gerne als Vorgänger von Gin bezeichnet. Wann aber verwendet man Gin, und wann lieber Genever? Gibt es Richtlinien, und kann man die beiden Spirituosen wirklich überhaupt noch vergleichen? Gabriel Daun macht den Vergleich und stellt fest: Man kann, aber es ist dünnes Eis. Er wagt sich aber trotzdem hinauf und testet Rickey, Collins und Martinez.
Eine Bemerkung vorneweg, auch auf die Gefahr hin, sich damit auf das gefährliche Feld der Redundanz zu begeben: Die Möglichkeit, drei Gins nebeneinander zu stellen und zu behaupten, „Ein Gin, ist ein Gin, ist ein Gin!“ besteht nicht. Gleichermaßen verhält es sich mit Genever. Während den meisten hier Lesenden die sensorische Komplexität des Gin-Feldes vermutlich bewusst ist, besteht beim Genever – ohne jemandem zu nahe treten zu wollen – vielleicht eher etwas Nachholbedarf.
Deshalb, in aller Kürze: Auch beim Genever existieren unterschiedliche Stile. Während Jonge Genever erst seit etwa 75 Jahren gebrannt wird, um vom damals aufkommenden Phänomen, dass Vodka plötzlich rasant an Popularität gewann, mitprofitieren zu können (und der deshalb auch aromatisch nicht sonderlich interessant ist), weist ein bereits etwas länger existierender Oude Genever bereits i.d.R. wesentlich mehr Botanicals auf, da er laut Gesetz mindestens 15% moutwine enthalten muss. Das macht ihn malziger und geschmacksintensiver als seinen „jüngeren“ Bruder.
Gin oder Genever? Dünnes Eis
Wesentlich malzlastiger als Jonge und Oude Genever sind der Korenwijn/Corenwyn und der Maltwine/Moutwijne Genever. Ungelagerter Maltwine Genever dürfte wohl am ehesten dem entsprechen, womit im 19. Jahrhundert gemixt wurde. Und dann gibt es da noch 100% Maltwine Genever, bei dessen Herstellung überhaupt kein Neutralalkohol zum Einsatz kommt und der in einem Whisky-Tasting bei manchem Verkoster vermutlich glatt als ein Scotch durchginge. Will sagen: Ein Jonge Genever ist mit einem 100% Maltwine Genever so gut wie gar nicht mehr zu vergleichen, obwohl beide der gleichen Kategorie angehörig sind. Dem Gin sehr ähnlich der eine, fast einem Single Malt gleichend der andere.
Insofern begibt man sich beim Beantworten der vordergründig harmlosen Frage, wann man zu Gin und wann zu Genever greifen sollte, dann doch schneller auf dünnes Eis als gedacht.
Zusätzlich problematisch: Da in manchen Rezepten – gerade in älterer Bar-Literatur – die beiden Begriffe Gin und Genever synonym verwendet werden (im übertragenen Sinne ähnlich wie Brandy und Cognac) ist leider oftmals sowieso nicht ganz klar, ob gerade von einem (London Dry oder Old Tom) Gin oder einem Genever (oftmals Holland Gin genannt) die Rede ist. Meine Genever-Liebe habe ich bereits offenbart, als ich über den Fix schrieb; ich gelobe jedoch Unparteilichkeit, mal davon abgesehen, dass jeder, der mich etwas besser kennt, unterschreiben würde, dass ich auch dem Gin durchaus nicht abgeneigt bin.
Runde Eins: Rickey Fight!
Je länger ich mich mit Spirituosen auseinandersetze und sie natürlich deshalb auch selbst trinke, desto dezimierter sind die Rezepte, die mich wirklich interessieren. Das ist erstens vermutlich einem gewissen Phlegma geschuldet, zweitens dem less is more-Mantra, bei dem man, vertieft man sich nur lange genug in eine Sache, anscheinend immer schließlich irgendwann angelangt.
Gin Rickey vs. Genever Rickey ist deshalb die erste Paarung, um die es gehen soll. Ein simpler Highball: Spirituose, frische Limette, Eis und Sodawasser mit ordentlich Fizzybubbele!
Auch wenn der Rickey ursprünglich vermutlich mit (Bourbon) Whiskey gemacht wurde, der, würde ich behaupten, ebenfalls dem Genever aromatisch näher ist als dem Gin, hatte er seinen Durchbruch erst, als seine Version mit Gin populärer wurde. Kein Wunder: Ein wunderbarer, einem Gin & Tonic weit überlegener Drink! Gerade jetzt, wenn sich der Sommer und mit ihm die flirrende Hitze dazu anschicken, sich endlich wieder Bahn zu brechen. Das wusste schon F. Scott Fitzgerald, der seinen Gatsby bereits während eines Mittagessens an einem heißen Tag Gin Rickeys ordern ließ:
The next day was broiling, almost the last, certainly the warmest, of the summer […]
Tom came back, preceding four gin rickeys that clicked full of ice.
Gatsby took up his drink.
“They certainly look cool,” he said, with visible tension.
We drank in long greedy swallows.
Da hätte ich gerne mitgetrunken, bevor das Unheil im Roman endgültig seinen Lauf nimmt. Mit einem London Dry und so viel Eis wie möglich. 1:0 für den Gin.
Tom Collins? John Collins!
Gehen wir weiter in Runde 2 und zu einem Drink, der zumindest im weiteren Sinne der gleichen Familie wie der Rickey angehört: zum Collins.
Nach Fitzgerald fällt mir auch hier sofort ein Schwergewicht der US-amerikanischen Literatur ein, dieses Mal aber biographisch und nicht bezogen auf sein Werk: Von Ernest Hemingway wird berichtet, er habe in den 22 Jahren, die er auf Kuba verbrachte, einen nicht unerheblichen Teil der Tage irgendwann vormittags mit zwei oder drei Tom Collins‘ (Old Tom oder London Dry Gin, frischer Zitronensaft, Zucker, Sodawasser) in seinem Pool gestartet.
Zugegeben: Ich vermag Schlimmeres zu imaginieren, als den Tag auf diese Weise zu starten, allerdings hätte dieser Text vermutlich am heutigen Abend nicht das Licht des Monitors erblickt, hätte ich es dem, seien wir ehrlich, selten wirklich nüchternen Pulitzer- und Literatur-Nobel-Preisträger gleichgetan!
Naja, da ich unglücklicherweise auch über keinen Pool verfüge, wäre es vermutlich ohnehin nur der halbe Spaß gewesen. Aber ich schweife ab; viel wichtiger und für den geneigten Leser vermutlich auch spannender als meine ins Leere laufenden Tagträume: Wie sieht der Drink mit Genever aus? Klare Antwort: Wer schon einmal einen Genever Collins (aka John Collins, vielleicht noch mit einem kleinen Schuss Birnenbrand verfeinert) getrunken hat, der schaut nie wieder auf den Tom Collins zurück. Verschämt möge er in der Ecke stehen, darum wissend, dass er niemals die Komplexität, Tiefe und immer wieder aufs Neue begeisternde Liaison zitrisch-malziger Erfrischung erreichen wird. Es gibt keine Spirituose, mit der ein Collins köstlicher gerät als Genever! Ausgleich und deshalb ab in die Verlängerung.
Martinez – einigen wir uns auf Unentschieden?
Die gute Antwort vorweg, auch wenn es den Nervenkitzel im Keim erstickt: Beides geht im Martinez. Und zwar gleichermaßen gut.
Mit Genever ergibt sich ein eher Manhattan-artiger Drink, während der Martinez mit Gin wesentlich transparenter, allerdings nicht mit weniger Aussage daherkommt. Für mich ist der Martinez ein Paradigma. Er erlaubt es, mustergültig zu demonstrieren, dass Rezepte nur grundlegende Ausgangspunkte sein dürfen. Man muss sie im ersten Schritt im Schlaf können, im zweiten muss man sie beherrschen, indem man an ihnen zu drehen und schrauben vermag.
Neben der Wahl der Spirituose spielen freilich die Gewichtung des Wermuts, des Maraschinolikörs und die Wahl der Bitters bei seiner Zubereitung ebenbürtig wichtige Rollen. Aber eben auch die Frage, ob man sich für Gin oder Genever entscheidet – und wie eingangs bereits angemerkt ist das keine A-oder-B-Entscheidung. Zu mannigfaltig sind die beiden Kategorien. Ein fast – um es mit den Worten des berühmtesten deutschsprachigen Autoren des poetischen Realismus zu sagen –zu weites Feld!
Gin und Genever: das Elfmeterschießen entfällt
Aber genau das ist die Magie und Herausforderung unserer Profession: Die Zutaten im Einzelnen zu kennen und zu verstehen, souverän mit ihnen umzugehen und sie zu einem Ganzen miteinander zu vermählen, auf das das Ergebnis einem Menschen auf der anderen Seite des Tresens ein Lächeln ins Gesicht zaubern möge.
Es bleibt dabei: Unentschieden zwischen Gin und Genever. Oder besser, Kitschalarm: Beide haben gewonnen! Das Elfmeterschießen entfällt.
Credits
Foto: Editienne; Sarah Swantje Fischer
Kevin Domanski
Schöner Beitrag!
Bin großer Fan solcher Experimente.. ich persönlich mag meinen Martinez lieber mit Genever, aber stimme zu, dass er mit Gin auch definitiv seine Daseinsberechtigung hat.
Einen Collins mit Genever hab ich gefühlt schon eeeewig nicht mehr getrunken, wird wohl mal wieder Zeit.
Mit welchen Produkten wurde denn eigentlich gemixt?
Gabriel Daun
Hallo Kevin,
danke Dir!
Dieses Mal wurde der Gin Rickey mit Sipsmith Gin zubereitet, der John Collins mit Old Duff Genever und die beiden Martinez-Varianten mit De Borgen Malt Genever und Jensen’s Old Tom Gin.
Beste Grüße,
Gabriel