Birkenholz-Negroni und Buchbinde-Kunst: „Die Glocke“ in Leogang
Daniel Hatzer ist im Stress. Denn ein Bauprojekt des „Krallerhofs“, das in der Architekturszene schon vorab Wellen schlägt, beschäftigt auch den Barchef des Hotels. Deutschlands Architektur-Star Hadi Teherani entwarf die Wellnessanlage „Atmosphere”, die das Fünf-Sterne-Hotel im April um einen 50 Meter langen Infinity-Pool, eingebettet in einen großen See, erweitert. „Dafür wird es mehr Smoothies, regionale Säfte und eine Highball-Karte geben“, erklärt Hatzer seinen Part bei der mächtigen Baustelle im Salzburger Land.
Diese Getränkeentwicklung stellt aber nur eine Weiterentwicklung einer Konstante der Hotelbar dar, die auch gern von Einheimischen frequentiert wird. „Essenzen der Umgebung“ nennt sich alles, was aus dem Kräutergarten von Ella Altenberger kommt. Die sichtbarste Hommage ist der „Ellas Garten“ von der nicht-alkoholischen Karte, der auf einem Basilikum-Rosmarin-Sirup basiert und nicht nur nach dem Skilaufen am Asitz für Erfrischung sorgt.
Die Glocke (im Hotel Krallerhof)
Botanik mit und ohne Promille
Frau Ellas Holunderblüten-Sirup sorgt dann im „Heimatleuchten“ für die Süße; der „low ABV“-Angebot mit Wermut und Verjus trägt damit die dritte österreichische Nuance. Die Seniorchefin liefert aber auch die Basis für den aktuellen, nicht-alkoholischen Bestseller der Glocke, dem mit Salbei, Blütenhonig, Limette und Cranberrysaft gemixten „Das Morgenrot“. Es ist ein Drink der auch zur Farbgebung der Bar am Rande des Fine Dining-Bereichs des Krallerhofs passt. Hier hat ein befreundeter Sammler von Naturpigmenten seine Signatur hinterlassen. Ocker aus Roussillon trifft auf Goldpigmente aus dem Fluss. Dahinter reihen sich die Flaschen auf, auf denen Hatzer seine Drinks aufbaut.
Hat man es erst so weit geschafft, weiß man auch, woher Die Glocke ihren Namen bezieht. Denn man schreitet direkt unter dem massiven Metall-Teil hindurch, das ominöser Weise seit dem Dreißigjährigen Krieg überlebt hat, ohne eingeschmolzen zu werden. Selbst die Hoteliersfamilie entdeckte die Glocke, heute ein stolzes Resilienz-Symbol, in einem Versteck.
Das Ende des saisonalen Leidens
„An manchen Feiertagen, immer aber am Silvester, läuten wir sie auch“, erklärt Philipp Altenberger, der Juniorchef und so etwas wie der geistige Vater der Neuausrichtung an der Bar. Freimütig berichtet der 32-Jährige von den Problemen, die jedem (alpinen) Hotelbetreiber nur allzu bekannt vorkommen dürften. „Irgendwann war ich es leid, jede Saison mit einem neuen Charakter starten zu müssen.“ Da gab es ein offensichtliches Alkoholproblem, dort mangelnde Arbeitsmoral, aber auch Selbstverwirklichungen am Hotelkonzept vorbei kamen schon mal vor – der Salzburger hat das alles gesehen. Und die Bar daraufhin zur Chefsache erklärt. Für sie erwies sich am Ende der lokale Weg als der Beste. 2020 stieg Daniel Hatzer, der keinen weiten Weg ins Hotel hat, ein.
Aus einem Gespräch mit einem Hotelgast ergab sich dann ein Sparring Partner für die Kreativität Daniel Hatzers. Denn zufällig nächtigte nach einer Messe Reinhard Pohorec (Tür 7, Wien und MIXOLOGY-Autor) im Pinzgau. „Der Organisator hatte ihn bei uns einquartiert“, erinnert sich Philipp Altenburger an das Treffen mit Folgen. Der Lockdown erwies sich dann als letzten Anstoß in Leogang, auch die Bar auf Fünf Stern-Level heben zu wollen. Im Triumvirat wurde in den Monaten der Unterforderung eine Karte entwickelt, die noch berühmt werden sollte.
Der Meister der (Cocktail-)Menüs
Auch an ihr – einem violetten Lederband mit Silberschnitt und Lesebändchen – wirkte ein regionaler Könner mit. Christian Fuchs aus dem nahen Saalfelden lebt für Spezialaufträge aus der Gastronomie, etwa die 20 Stück, die er für Red Bull-Gründer Dietrich Mateschitz polynesische Privatinsel „Laucala Island“ fertigte. Dass ein Cocktailmenü den Oscar der deutschen Formgebungspreise holt, ist selten genug. Doch zum Red Dot Award in der Kategorie „Special Publication“ 2022 kamen weitere Designpreise.
Für die neue Saison legte man eine zweite Edition auf, die mit Illustrationen von Erhard Wanderer nicht minder schmuck ausfällt. Detailreich bekommt man auf einer Doppelseite die Kreationen vorgestellt; auch, was die Zutaten betrifft. „5% Birkenrauch und 95% geheimer Negroni-Mix“ schlüsseln etwa die DNA eines weiteren Bestsellers auf. Auf einer Scheibe Holz als nachhaltigem Coaster reicht Daniel Hatzer diesen „Birkenholz Negroni“. Das Räuchern, oft genug schon am Tresen gesehen, ist hier kein Gimmick. Der zarte Geschmack von Holz als trockenem Element nimmt etwas Süße aus dem Drink, der Rauch wiederum ergänzt eine Geschmacksnote. Und ein bisserl Instagramability ist auch im Pinzgau nicht verboten.
Zwischen Zirben und Zigarrenrauch
„Die neue Barkarte kommt mega-gut an“, bestätigt Hatzer gleich darauf, „auch mit den Raritäten und der Zigarrenseite“. Denn ehe es an die Liste der Gin & Tonics im Bar-Buch geht, finden sich auch einige der Puros aus dem Zigarrensalon eine Etage höher beschrieben. Es ist ein Statement, dass man diesen Raum zur Verfügung stellt, in dem nichts konsumiert werden darf (da haben die Austro-Gesetzeshüter etwas dagegen). Doch nicht jedes Winkerl trägt im Familien-geführten Hotel eine Deckungsbeitrags-Kennzahl vom Controller. Fast trotzig steht daher das aufwändig restaurierte NSU-Motorrad den Genussrauchern zur Seite und verweist mit chromblitzenden Speichen auf den Glanz anderer Zeiten.
Einen Stock tiefer geht die botanische Lehrstunde weiter, wenn die „Zirbenstube“ vorbereitet wird. Hausgemachter Zirbensirup und Himbeeressig ergänzen Gin und Zitrone in einem mit Tonic aufgegossenen Drink voller sauer-frischer Anmutung. In Hatzers Worten: „Ein Spaziergang durch die Wälder und Wiesen um unser Haus, ohne es zu verlassen.“ Doch bei aller Heimatliebe darf es auch international werden im Shaker. Der „Bloody Mezcal“ etwa sorgt mit Sellerie und Tomatensaft (16% und 25% in der „Glocke“-Arithmetik) für ordentlich „Umami“ in der Salzburger Bergwelt.
Dass man sich auf Milk Punch und Fat Wash versteht, sei der Vollständigkeit halber erwähnt, auch wenn es mit Olivenöl gepimpten Dirty Martini in der aktuellen Karte nicht mehr gibt. Dafür ehrt man die Heidelbeere mit einem ungewöhnlichen Partner: Cognac (genauer: 42% Vol.) darf für den „Moosbee“, das lokale Synonym der schwarzen Frucht (20% Vol., so die Karte), in den Shaker.
Und auch in diesen Tumbler klingt das Bar-Mantra „Essenz der Umgebung, international interpretiert“ nach – wie eine Glocke.
Credits
Foto: Krallerhof